Geschäftsführer Jan Görnemann hat eine turbulente Woche hinter sich. Die Reduktion des Busfahrplans sorgt für Ärger in der ganzen Stadt. Wir sprachen mit ihm über mögliche Auswege.
WIESBADEN. Viel war diese Woche los bei Eswe Verkehr, die am Montag den Busfahrplan aufgrund von Fahrermangel reduzieren mussten. Das hat in der Stadt für Aufruhr gesorgt. Wir haben den Geschäftsführer Jan Görnemann gefragt, wie für die Gesellschaft die Woche gelaufen ist und wie die Zukunft aussehen kann.
Herr Görnemann, es war eine ereignisreiche Woche. Wie geht es Ihnen und was ist zurzeit Ihre größte Sorge? Ich bin jetzt 25 Jahre in verschiedenen Funktionen im öffentlichen Verkehrsbereich tätig und habe so etwas in dieser Form noch nie erlebt. Dass wir sagen müssen, dass wir derzeit nicht zuverlässig ein verlässliches ÖPNV-Angebot anbieten und bedienen können, ist besorgniserregend. Wegen des Krankenstands und der Fluktuation gab es aber keine andere Lösung. Wir arbeiten auch daran, es wieder hinzubekommen, aber solange das nicht der Fall ist, kann man natürlich nicht zufrieden sein. Ich bin natürlich auch persönlich nicht glücklich damit.
Die Fahrplanreduktion war einschneidend für die gesamte Stadt. Wie viele Busfahrten sind es aktuell weniger als beim normal regulären Fahrplan? Wir haben normalerweise im regulären Fahrplan 3700 Fahrten. Derzeit sind es nach der Reduktion ungefähr 2800 Fahrten. Man muss also ehrlicherweise sagen, dass wir mit rund einem Viertel unserer Fahrten in die Knie gegangen sind. Wir legen jedoch jeden Tag Fahrten nach. Im Vergleich zum regulären Samstagsfahrplan, an dem 120 Busse im Einsatz sind, schicken wir im Frühbereich derzeit sogar 160 mit Zusatz- und Verstärkerfahrten ins Rennen.
Wie kommt die Fahrplanreduktion bei den Fahrern an? Sehr unterschiedlich. Wir haben so viele Fahrerinnen und Fahrer, die letztlich auch ein Spiegelbild der Gesellschaft darstellen. Einige finden es gut, es gibt aber auch welche, die finden das schwierig. Andere merken, dass durch die vollen Busse, die Fahrgastwechselzeiten länger dauern, wodurch am Morgen ihre Pausen auch mit draufgehen und sind deshalb unzufrieden. Wir muten den Kollegen natürlich speziell am Anfang viel zu, eben weil wir mit unserem Angebot noch nicht so stabil sind. Wir haben aber auch Kollegen, die die Situation sehr gut an uns herantragen, sodass wir an entsprechenden Stellen nachjustieren können. Alles in allem ist es aber noch zu früh, um den Kollegen eine spürbare Entlastung zu geben, was ja unser vorrangiges Ziel war.
Apropos weniger Fahrten: Von vielen Seiten hört man, dass sie parallel zum Beginn der Reduktion, einige Fahrer in den Urlaub beziehungsweise Fahrer zum Abfeiern ihrer Überstunden geschickt haben. Stimmt das? War der Zeitpunkt gut gewählt? Und wie viele Fahrer sind denn betroffen/ von wie vielen Überstunden reden wir? Wir haben einige Kollegen zum Tag der Reduktion direkt in den Urlaub geschickt. Ich gebe zu, dass das vom Zeitpunkt her ein Fehler war. Wir hätten lieber eine Woche warten sollen, weil wir dann für den Start noch ein paar mehr Kollegen gehabt hätten, da gerade bei einer solchen Umstellung zusätzliche Reserven natürlich gut sind. Dennoch: Ich glaube, wir kommen in eine Stabilität, wenn wir den Überstundenabbau nun in ein vernünftiges Maß bringen. Wir haben Kolleginnen und Kollegen mit fester Urlaubsplanung und mit flexibler Planung. Da gibt es aber auch einige, die eben seit Monaten ohne Unterbrechung durchgefahren sind. Damit uns diese Kollegen nicht in Krankheit abrutschen, haben wir bei einigen eben auch gesagt, dass es jetzt höchste Zeit wird. Das ist ein normales Vorgehen in jedem Verkehrsunternehmen. Wir lagen jetzt vor Beginn der Fahrplanreduktion bei insgesamt 16.000 Überstunden, was natürlich gigantisch ist.
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Wie ist die Resonanz der Kundschaft von Eswe Verkehr? Steht das Telefon im Kundencenter überhaupt noch still? Die Resonanz ist natürlich sehr stark. Es ist verständlich, dass niemand anruft und sagt, wie super sie das finden. Die Anrufer sagen zu uns, dass wir den Schuss nicht gehört haben oder in die nächste Kanone gestopft gehören, unseren Job nicht verstehen. Das ist hart an der Grenzen des Zumutbaren für unsere Kolleginnen und Kollegen im Kundendialog. Das betrifft aber auch die Fahrer. Wir erleben eine deutliche Zunahme an verbaler Aggressivität. Das ist auf die ein oder andere Art verständlich, aber wie es passiert, ist nicht in Ordnung. Ein Busfahrer von Eswe Verkehr kann für die jetzige Situation überhaupt nichts. Es gab aber auch konstruktive Kritik. Unter anderem haben uns Schülervertreter kontaktiert, die uns gute Hinweise für den Schülerverkehr gegeben haben.
Aktuell liefert Eswe Verkehr weniger Leistung. Dennoch wurden erst kürzlich die Preise seitens der RMV (Rhein-Main Verkehrsbund) erhöht. Findet da in naher Zukunft eine Anpassung nach unten statt? Die S-Bahn Berlin musste vor 13 Jahren mal deutlich ihr Angebot einschränken. Die regelmäßigen Fahrgäste bekamen da über ihre Monats- und Dauerkarten eine Gutschrift und Vergünstigungen in ihrem Abonnement. Zusagen kann ich das für Wiesbaden auf keinen Fall. Zumal wir als Mitglied des RMV in Sachen Tarifen ja auch gebunden sind. Ich kann aber versprechen, dass wir mit allen Aufgabenträgern und der Stadt reden, sofern wir einen längeren unzumutbaren Zustand für unsere Fahrgäste haben. Wenn die Situation so bleibt, wie sie aktuell ist, werden wir schauen, ob da was geht.
Mal unabhängig von Corona. Bei ihrem Antritt im Herbst vergangenen Jahres muss es doch auch schon erste Mängel im Personalwesen gegeben haben. Was ist ihre Erklärung dafür, dass es da bereits eine Unterdeckung an Fahrern gab? Es sind mehrere Komponenten. Als ich kam, hatten wir eine Unterdeckung von täglich 30 Fahrern, diese Zahl hat sich durch Abgänge in rekommunalisierte Betriebe und durch Renteneintritte auf über 50 erhöht. Man hat bei Eswe Verkehr bereits vor längerer Zeit den Anschluss verloren, was Wertschätzung und den empathischen Umgang mit den Kollegen angeht. Wir haben in den letzten Jahren viele Fahrer aus dem EU-Ausland rekrutiert. Das gab ja auch Streit: Es stellte sich die Diskussion, ob wir unseren griechischen Kollegen ausreichend die Wahl zur Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsrat erklärt haben. Wenn so etwas, in so einer Form eskaliert, zeigt das ja schon, dass wir die Mitarbeiter schon länger verloren hatten. Diese Unzufriedenheit lagert sich dann eben auf solche Nebenkriegsschauplätze aus. Wir wollen wieder näher an die Mitarbeiter und fangen damit Schritt für Schritt an. Ich sage ganz ehrlich: Meine Vision ist, wir stehen an den Endstationen und bieten für unsere Kolleginnen und beispielsweise Schuldnerberatungen, Grippeschutzimpfungen und wenn nötig auch psychologische Betreuung an. Wir müssen für die Mitarbeiter etwas tun, weil das genau die Punkte sind, die sich im Tarifvertrag rumsprechen und die dann klar für eine Beschäftigung hier in Wiesbaden sprechen.
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Was kann die Stadtpolitik tun, damit es wieder bergauf geht? Frustriert es Sie, dass aktuell vermehrt Verlautbarungen kommen, was schiefläuft, aber weniger Lösungsansätze? In Wiesbaden steht und fällt es mit Kindergartenangeboten, mit bezahlbarem Wohnraum, also all die Themen, die neben der Bezahlung eine Rolle spielen. Die Politik kann aber auch dazu beitragen, wenn sie mehr Wertschätzung und Achtung den städtischen Gesellschaften gegenüberbringt und auch die eigenen Wähler und Menschen in dieser Stadt auffordert, dies gleichzutun. Frustration ist vielleicht zu hochgegriffen, aus manchen politischen Lagern waren ja auch konstruktive Dinge zu hören.
Sollte sich Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne), der ja auch Aufsichtsratsvorsitzender von Eswe Verkehr ist, stärker zur Gesellschaft positionieren? Als ich hier angefangen habe, konnte ich ohne die Erlaubnis des Aufsichtsratsvorsitzenden keine Gehaltserhöhung durchsetzen. Dass er sich bisher nicht groß öffentlich geäußert hat, sehe ich auf der einen Seite als einen Vertrauensbeweis mir gegenüber an. Die Geschäftsführung entscheidet nun mal über die operativen Geschicke. Es kann nicht die Aufgabe eines Aufsichtsratsvorsitzenden sein, sich um solche Themen im Einzelfall zu kümmern. Als Dezernent hätte er das auf der anderen Seite aber natürlich tun können. In der öffentlichen Wahrnehmung ist jede Unterstützung immer wünschenswert. Ich bin jeden Tag mit Herrn Kowol im Austausch, der über alle Vorgänge informiert ist. Wenn der Dezernent sich nicht öffentlich äußern will, ist das für mich aber auch ein Signal, dass wir das eben tun müssen.
Wie haben Sie vor, die Situation zumindest mittelfristig zu verbessern? Mittelfristig ist das oberste Gebot, die Stabilität und weitgehende Verlässlichkeit zu garantieren. Das muss das Maß sein. Wir werden mit dem aktuellen Plan die nächsten Wochen ins Rennen gehen, ihn aber vor allem morgens stabiler machen. Wir schauen uns die Entwicklung nun an, sagen aber gleichzeitig zu, dass es keine weiteren ad hoc Maßnahmen wie bei der jetzigen Reduktion mehr geben wird. Künftig wird es einen längeren Vorlauf geben, damit sich die Menschen besser darauf einstellen können. Die Rekrutierung von Fahrpersonal und die Rückkehr der Kollegen aus dem Krankenstand sind für die Stabilität des Fahrplans unerlässlich.
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Eine Möglichkeit ist ja eben die Rekrutierung von Nachwuchs? Wie wird ausgebildet und wie viele Ausbildungsstellen sind derzeit bei Eswe Verkehr besetzt? Wir bilden Busfahrer ausschließlich über den zweiten Bildungsweg aus. Da haben wir jedes Jahr 60 Personen, die in die Ausbildung gehen und bei uns den entsprechenden Führerschein erwerben können.
Eine weitere Möglichkeit sind ja Leihkräfte, die wie wir gehört haben, schon in absehbarer Zeit zum Einsatz kommen sollen? Stimmt das und wie sollen diese bezahlt werden? Ja, wir sind da in Gesprächen. In der jetzigen Situation werden wir da auch nicht drum herumkommen. Diese Leihkräfte werden auch noch in diesem Jahr zum Einsatz kommen, um einfach zusätzliche Entlastung zu gewährleisten. Es wird definitiv passieren, dass künftig nicht alle Busfahrten von Eswe Verkehr von Mitarbeitern der Gesellschaft gefahren werden. Die privaten Busunternehmen brauchen diese Unterstützung. Bei der Bezahlung gilt der Tarifvertrag. Bezahlung und Tarifvertrag sind hier gute Stichwörter. Ist denn eine Höhergruppierung des Tarifs bei den Bestandsfahrern eine Option? Auch um attraktiver als Arbeitgeber zu wirken. Durch die Inflation und die Kostenentwicklungen, die wir haben, wird das kommen, sonst haben wir keine Chance. Wir bereiten zudem vor, alle derzeitigen Zulagen und Prämien, gegen eine transparentere und klarere Vergütung abzulösen. Eine grundsätzlich höhere Grundvergütung kann da ebenfalls ein Weg sein. Die Zulagen beschränken sich dann auf die gesetzlichen Vorgaben. Wir werden schauen, was da künftig für die Fahrer geht und den Tarifvertrag allgemein auf modernere Füße stellen.
Wie schlägt sich die aktuelle Situation auf das Finanzergebnis von Eswe Verkehr aus? Hilft oder schaden weniger Fahrten der Bilanz? Weder noch, es nützt und schadet uns finanziell nicht. Wenn wir auf die nächsten Jahre schauen, machen wir uns aber natürlich Gedanken. Wir haben eine mittelfristige Planung für die nächsten fünf Jahre gemacht, hatten aber natürlich die jetzige Energiepreisentwicklung nicht auf dem Schirm. Da kostet jede Fahrt Geld. Wir fahren aktuell auch erheblich weniger mit den Batteriebussen, weil wir gerade alles an Diesel-Gelenkbussen in die Fahrten investieren, was geht (Derzeit gibt es bei Eswe Verkehr keine Batterie-Gelenkbusse Anm.d.Red.). Damit sind wir natürlich auch von diesen Kostensteigerungen betroffen.
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Sie betonen ja häufiger, dass andere Städte ähnliche Probleme haben. Gibt es denn bundesweit ein positives Beispiel, wie man vielleicht aus so einer Situation herauskommt? Nein, da ist mir nichts bekannt. Alle Verkehrsgesellschaften sind derzeit in der Aufarbeitung ihrer jahrzehntelangen Personalpolitik und damit beschäftigt, sich neu zu positionieren. Eswe Verkehr ist ein Beispiel von vielen. Alle haben diese Probleme mit dem Fachkräftemangel.
Geben Sie doch mal eine Prognose ab. Wie lange wird der derzeitige Zustand anhalten? Sehen sie es mir nach, dass ich mich mit Prognosen komplett zurückhalte. Das wäre nicht fair gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die so zusätzlichen Druck bekommen würden. Wir sagen zu, dass wir es rechtzeitig ankündigen, sofern Verbesserungen auftreten, aber wir müssen ehrlich sein, dass uns die jetzige Phase noch eine Weile begleiten wird. Die Fragen stellte Henri Solter.