Gefahr für die Bäume, sogar das Absterben drohe - Naturschützer beklagen die Ausbreitung der Mistel in Wiesbaden. Die Stadt sieht im Kampf gegen die Schmarotzerpflanze aber...
WIESBADEN. Als immergrüne Blätterkugeln sind sie gerade jetzt im Winter besonders gut in den kahlen Baumkronen zu erkennen. Ein erfreulicher Anblick sind die Misteln auf Wiesbadens Straßenbäumen aber nicht. Mit ihren Saugorganen entziehen die Gewächse ihren Wirten wichtige Nährstoffen. Im Zweifelsfall bis zum Absterben des Baumes.
Große Sorgen über den Befall im Stadtgebiet macht man sich beispielsweise bei der Naturschutzorganisation Naturefund. Laut Aussage der dortigen Baumexperten hat die Situation in Wiesbaden bereits bedenkliche Ausmaße angenommen. Immer mehr Bäume seien durch die Schmarotzerpflanzen geschädigt oder sogar schon am Absterben. Mitschuld daran trage auch die Stadtverwaltung, die den Kampf gegen die Halbschmarotzer nicht ernst nehme. Dort argumentiert man wiederum, effektive Maßnahmen gegen die Misteln seien wahlweise äußerst aufwendig oder für die Bäume riskant.
Mistel befällt gerne geschwächte Bäume
Für einen Parasiten ist die Mistel erstaunlich beliebt: Amerikaner küssen sich zu Weihnachten unter den Zweigen, Gallier brauen im Comic stärkenden Zaubertrank daraus und auch hierzulande sind die Zweige mit ihren weißen Beeren gern gesehene Deko-Pflanzen. Baumpfleger und Streuobstwiesen-Besitzer treiben die Sträucher aber zunehmend Sorgenfalten auf die Stirn. Seit mindestens fünf Jahren seien rapide wachsende Fallzahlen zu beobachten, berichten die Aktiven von Naturefund, die sich im Rahmen eines Streuobstwiesenprojektes in Wiesbaden um 40.000 Obstbäume kümmern. Befallen werden insbesondere schon vorgeschwächte Bäume und Arten mit weichem Holz.
„Manche sprechen schon von einer Epidemie“, erläuterte Grünen-Stadtverordnete Konny Küpper, als das Thema Mistelbefall auf Antrag ihrer Fraktion als Thema im städtischen Umweltausschuss behandelt wurde. Dem entgegnete Thomas Wilkerling vom städtischen Grünflächenamt, von den 45.000 Bäumen in städtischer Obhut seien derzeit etwa 300 mit Mistelbefall kartiert. Und weil es sich bei den Misteln um heimische Pflanzen handele, greife man auch so lange nicht ein, wie der Baum vital sei. Gerade bei den großen und alten Straßenbäumen müsse man gut überlegen, ob man einen Rückschnitt vornehme, um die Misteln zu entfernen. Die säßen dort nämlich oft auf dickeren Ästen. Ein Rückschnitt bringe damit große Schnittflächen und die wiederum eine erhöhte Gefahr für Pilzinfektionen mit sich: „Ein solcher Rückschnitt sorgt also nicht unbedingt für eine Verbesserung der Vitalität.“ Die Alternative sei, nur die Mistelpflanze zu entfernen. Weil die Wurzel so aber im Ast bleibt, kann die Mistel wieder nachwachsen. Die Behandlung müsse also regelmäßig wiederholt werden und verursache nicht unerhebliche Kosten.
Naturefund fordert mehr Geld zur Pflege
„Wenn es weiter so gehandhabt wird, haben wir bald ganz andere Dimensionen des Problems“, warnt Naturefund-Geschäftsführerin Katja Wiese. Je mehr Misteln sich auf Bäumen an Straßen und auf den Wiesen entwickeln, desto schneller könne sich die Pflanze auch weiter ausbreiten – auch in private Gärten. Irgendwann sei dann die Chance vertan, überhaupt noch etwas ausrichten zu können. Einige alte, stattliche Bäume im Stadtgebiet habe es schon erwischt. Schwerpunkte des Befalls seien am Warmen Damm, im Kurpark, hinter dem RMCC und in der Richard-Wagner-Straße. „Und die Stadt macht nichts“, berichtet Wiese, die sich auch mit Umweltdezernent Andreas Kowol (Grüne) schon in der Angelegenheit traf und auf das Problem aufmerksam machte.
Anders als in vielen Ortsbeiräten und bei den Landwirten kann die Naturschützerin aber beim Magistrat kein Umdenken feststellen. Selbst dann, wenn die städtischen Baumpfleger in den Kronen der Straßenbäume unterwegs seien, blieben die Misteln oft unbehelligt stehen. Beim Streuobstwiesenprojekt ihrer Organisation beteilige sich die Stadt zwar mit 15 Prozent der Kosten, das sei angesichts der Aufgabe aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wiese schätzt, für eine effektive Mistelbekämpfung müsse die Stadt jährlich rund 100.000 Euro zusätzlich in die Hand nehmen. Das könnte aus Sicht von Naturefund aber sogar wirtschaftlich sein: „Zum einen ist die Pflege eines alten Baumes günstiger als eine teure Nachpflanzung. Außerdem ist nicht gesagt, dass nicht Bürger irgendwann von der Stadt für Schäden an ihren privaten Bäumen Regress fordern, weil die ihre eigenen Bäume nicht pflegt.“
Von André Domes