Auswanderer: Der Wiesbadener Dieter Schonebohm liebt Uruguay,...

Dieter Schonebohm lebt im Stadtteil Pocitos. Der Strand ist einer seiner Lieblingsplätze in Montevideo.Foto: Christopher Schäfer  Foto: Christopher Schäfer

„Nein, ich habe nicht gesagt: ‚Ich gehe jetzt einfach mal nach Uruguay‘“, sagt Dieter Schonebohm. Und sein Schmunzeln verrät: Er hat bereits einige Leute getroffen,...

Anzeige

MONTEVIDEO/WIESBADEN. „Nein, ich habe nicht gesagt: ‚Ich gehe jetzt einfach mal nach Uruguay‘“, sagt Dieter Schonebohm. Und sein Schmunzeln verrät: Er hat bereits einige Leute getroffen, die sich gewundert haben, was ihn als Wiesbadener ans andere Ende der Welt bewegt hat. Das kleine Land ist in Mitteleuropa allerhöchstens für seine „Celeste“ bekannt, die Nationalmannschaft, die immerhin zweimal Fußball-Weltmeister war und bis heute bei kaum einem großen Turnier fehlt. Ansonsten herrscht das große Unwissen. Und gäbe es die Liebe nicht, wäre Dieter Schonebohm wohl auch nicht in Montevideo gelandet.

Ein Urlaubertraum für blasse Mitteleuropäer

„Ich habe meine Frau in Freiburg kennengelernt, sie stammt aus Uruguay und wollte gerne wieder zurück in die Heimat. Da bin ich mitgegangen.“ Mit seiner Frau und den Kindern lebt der 62-Jährige seit 1986 in Montevideo. Wiesbaden besucht er aber mindestens einmal jährlich: „Das muss sein.“ Seine Mutter lebt in einem Seniorenheim im Dichterviertel, außerdem will er wissen, wie sich die Stadt weiterentwickelt.

Anzeige

Auch für Menschen ohne große Liebe in Montevideo ist es gar nicht so abwegig, dort zu leben: Die Stadt hat einen kilometerlangen Strand am Río de la Plata, gesäumt mit Palmen, das Klima ist mediterran geprägt: ein Urlaubertraum für blasse Mitteleuropäer. Auf den ersten Blick betrachtet geht die 1,3 Millionen-Einwohner-Metropole als spanische Großstadt durch: Die Stadt wirkt weit weniger exotisch, als man es vermuten könnte. In Uruguay gibt es Demokratie, ein gut funktionierendes Gesundheitssystem und für südamerikanische Verhältnisse ist es im Land so sicher, dass die Brasilianer in Massen ihren Urlaub dort verbringen.

„Die Stadt ist sehr grün, ich habe das Meer vor der Haustür, es gibt ein großes Angebot an Musik, Theater, Kino und einen ellenlangen guten Karneval“, sagt Dieter Schonebohm. Mit seiner Frau hat er eine Wohnung im Ausgehviertel Pocitos. Die Uruguayos bezeichnet er liebevoll als „konservative Anarchisten“, immer offen für Neues, aber auch mit einer Portion Skepsis gegenüber Veränderungen.

1986 nach der Ankunft bekam er beruflich schnell Boden unter den Füßen. In Frankfurt und Freiburg hatte er Geschichte, Politik und Romanistik studiert: Also unterrichtete er nun Politökonomie an der Universität in Montevideo, später bekleidete er eine Forschungsstelle zur Stellung der Frau in Uruguay. Auf Dauer entscheidender war aber sein Faible für Sprachen. Und die Diltheyschule hat ihren Anteil daran: Dort lernte Schonebohm Latein, Griechisch, Englisch und freiwillig Französisch. Um dann als Zivildienstleistender noch Spanisch an der Volkshochschule aufzusatteln. So dauerte es in Montevideo auch nur wenige Jahre, bis er begann, Dolmetscher zu werden. Und wenn heute etwa die Deutsche Botschaft oder politische Stiftungen einen Dolmetscher für Spanisch-Deutsch suchen, ist er ein gefragter Experte. Außerdem unterrichtet er Deutsch und hat als Vorsitzender des Verbands der Deutschlehrer erreicht, dass es im Land demnächst ein offizielles Studium an der Hochschule gibt.

Es geht ihm gut dort unter Palmen, das ist zu spüren, und wenn man bei Dieter Schonebohm nachhakt, was er denn an Deutschland und Wiesbaden vermisst, muss er einige Momente grübeln. Er legt das schmale Kinn in die Hand, überlegt, bis ihm dann doch was einfällt: „Es ist in Deutschland gut, Verlässlichkeit zu haben, sodass die Dinge funktionieren.“ Schonebohm spielt auf die Bürokratie an: Schreibe man in Deutschland an eine Behörde, könne man davon ausgehen, eine Antwort zu bekommen. „In Uruguay muss man oft telefonisch noch mal nachfragen, es gilt das gesprochene Wort.“

Interesse an Wiesbaden ist nie abgerissen

Anzeige

An Wiesbaden ist er in den ganzen Jahren immer interessiert gewesen. Wie geht es mit der Stadtbahn weiter? Wie kommt das neue Messezentrum an? Bleibt Sven Gerich Oberbürgermeister? Fragen, die ihn in 11 000 Kilometer Entfernung beschäftigen. „Apropos, kann man kommunal auch per Briefwahl wählen?“, fragt er in den Raum. Schonebohm würde es gerne tun. Denn: „Wiesbaden gehört zu mir. Die Stadt ist meine Heimat. Aber Montevideo ist auch zu meiner Heimat geworden.“ Bei Besuchen in Wiesbaden freut sich Dieter Schonebohm besonders, wenn er die Bäckerei betritt: „Wenn die Verkäuferin beginnt, hessisch zu babbeln, weiß ich, dass ich daheim bin“, sagt er mit Blick auf das Meer und sein eben noch nachdenklicher Blick ist wieder einem freudigen Schmunzeln gewichen.