Wer in einer Notsituation einen Schlüsseldienst sucht, kann leicht an einen unseriösen Anbieter geraten. Das zeigt der Fall einer Wiesbadenerin, die von einem Dienst aus ihrer...
WIESBADEN. "Ich hatte Angst“. Claudia Schneider (Name geändert) hatte auch allen Grund dazu. Sie wurde abends in ihrer eigenen Wohnung plötzlich von kräftigen Männerhänden von hinten über den Brustkorb derb gepackt, trotz strampelnder Gegenwehr durchs Zimmer in den Flur gezerrt und vor ihrer Wohnungstür wie ein Bündel auf die Treppe plumpsen lassen. Täter war ein Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes. Er oder sein Kollege schlugen dann laut krachend die Wohnungstür ins Schloss. Claudia Schneider war erneut aus ihrer eigenen Wohnung ausgesperrt.
Ein Akt von Selbstjustiz. Der Auftrag, eine ins Schloss gefallene Tür zu öffnen, endete mit einer Strafanzeige wegen Verdachts der Körperverletzung, der Nötigung und des gewerbsmäßigen Betruges. Die Polizei hat bislang einen möglichen Verdächtigen, weil sich in seinem Fall ein Rechtsanwalt gemeldet hat. Den Auftrag hatte ein „Schlüsseldienst Wiesbaden“. Er wirbt mit den Sätzen: „Haben Sie sich ausgesperrt? Wir helfen Ihnen günstig in 99% aller Fälle ohne Beschädigungen rund um die Uhr (24/7)!“ In der Wohnung von hilfsbereiten Nachbarn war Schneider nach ihrem Missgeschick mit der ins Schloss gefallenen Tür im Internet auf diesen Anbieter gestoßen. Wiesbadener Nummer, Wiesbaden im Namen, das erweckte den Anschein eines örtlichen Schlüsseldienstes. Später gibt es einen Hinweis, dass die Auftragsannahme in Bremen sitzen könnte.
Es geht um gewerbsmäßigen Betrug in großem Stil
Nach ihrem Schlüsselerlebnis weiß Schneider nur eines ganz sicher – mit Wiesbaden hat der Dienst nichts zu tun. An welche Firma sie tatsächlich geraten ist, wer verantwortlich ist, weiß sie nicht. Auch die Polizei ist bei ihren Ermittlungen bislang nicht weit gekommen. Wer sich auf die Spurensuche nach „Schlüsseldienst Wiesbaden“ macht, wird in die Irre geführt. Das hat System. Es geht um gewerbsmäßigen Betrug in großem Stil.
Bevor sich die Monteure an Schneiders Tür an die Arbeit machen, notieren sie auf einem Zettel verschiedene Rechnungsposten. Schneider überschlägt die Kosten, etwa 220 Euro. Viel Lehrgeld, denkt die junge Frau. „Aber soll ich machen?“ Die Tür, ein normales Schloss, ist in Sekunden geöffnet. Dafür fordern die Monteure 355 Euro, allein 179 Euro Anfahrtskosten. 355 Euro – das erscheint Schneider überteuert. Selbstkritisch sagt sie im Nachhinein: „Ich habe alle Fehler gemacht, die man machen kann“. Gutgläubig den erstbesten Anbieter genommen, keinen festen Preis vereinbart, keine Zeugen. Schneider fühlt sich überrumpelt. Das sagt sie den Monteuren auch. „Ich wollte ja zahlen. Aber nur das, was als Forderung berechtigt ist.“
Auftreten wird zunehmend aggressiv
In diesem Punkt tat sie genau das Richtige, wie Ute Bitter von der Verbraucherzentrale Hessen bestätigt. „Man muss eine solche Rechnung niemals sofort in voller Höhe bezahlen. Wir empfehlen in solchen Fällen eine Teilzahlung, und zwar in der Höhe, die als schlüssig betrachtet wird. Auf der Rechnung muss aber schriftlich festgehalten werden, dass die Teilzahlung keine Anerkenntnis der Rechnung insgesamt ist.“ Die Rechnung könne man überprüfen lassen. „Das machen unsere Kollegen in den Verbraucherzentralen.“ Werde zur Zahlung genötigt, müsse man sich sofort Hilfe holen. Bitter empfiehlt ohnehin, nie alleine aufzutreten.
Claudia Schneider ruft an jenem Abend Bekannte an, will Rat, ob sie auch auf Rechnung bezahlen könne. Die Monteure reagieren ungehalten. Sie wollen die 355 Euro. Ihr Auftreten wird zunehmend aggressiv. Weil Schneider sich nicht mehr zu helfen weiß und ein mulmiges Gefühl kriegt, ruft sie bei einem Polizeirevier an. Sie dreht dabei den Männern den Rücken zu, sie sagt ihnen aber, dass sie sich nun bei der Polizei schlaumachen wolle. „Polizei“ – das wirkt wie ein Startsignal. „Da wurde ich gepackt.“ Schneider schreit „Hilfe“ und dass sie „überfallen“ werde. Die Polizei hört mit. Dann wird die Frau aus ihrer Wohnung rausgeschleppt.
Beim Eintreffen der Polizei sind die Monteure verschwunden
Eine Nachbarin sieht kurz darauf, wie einer der Monteure in ein Auto einsteigt, sein Begleiter läuft dem Auto hinterher. Ein sonderbares Verhalten. Die Polizei wird das später so erklären, dass der Mann offenbar das Kennzeichen abdecken wollte. Die Zeugin kann dennoch ein Essener Kennzeichen ablesen. Beim Eintreffen der Polizei sind die Monteure verschwunden. Die Polizisten kümmern sich um Schneider, dann um die Tür. Eine Sekundensache. Kostenlos.
Für den Inhalt von „Schlüsseldienst Wiesbaden“ im Internet soll laut Impressum ein Yücel N. verantwortlich sein. Er wird bei der bundesweiten Spurensuche bald vertraut: zum Beispiel bei den Schlüsselnotrufen Mainz, Darmstadt, Essen, Bochum, Dortmund, Neuss. Laut Impressum ist immer er verantwortlich. In Wiesbaden mit der Adresse Gustav-Stresemann-Ring 1. Dort kennt man weder ihn noch den „Schlüsseldienst Wiesbaden“. In allen Städten handelt es sich immer um Adressen eines Bürodienstes. Fingierte Adressangaben, wie der Büroservice bestätigt. Gemeldet ist Yücel N. in Löhne in Ostwestfalen. Gemeldet bedeutet nicht, dass er für Anfragen erreichbar wäre.
Spuren verlaufen im Sand
Im Nichts endet in Wiesbaden auch eine weitere Angabe. Der Monteur vor Ort soll Norbert B. heißen, Eichendorffstraße 1. Laut Einwohnermeldeamt hat es einen Norbert B. dort nie gegeben. Bleibt die Telefonnummer, die 0611-36187019. Inhaber der Rufnummer soll eine SNAV GmbH in der Dörrgasse 4a in Wiesbaden sein. SNAV GmbH ist dort nie gemeldet gewesen. Eine SNAV Schlüsselnotdienst Auftragsvermittlung GmbH findet sich dann doch – in Essen. Das Geschäft von Omar F. Er will aber mit dem Impressum und dem „Schlüsseldienst Wiesbaden“ nichts zu tun haben, behauptet er. Er würde nur andere aus der Kette beauftragen. Dafür kassiert er entsprechend. Bei der Recherche stößt man im Fall Schneider noch auf einen Ömer G. und einen Abed El-H. Namen und angebliche Adressen passen nicht zueinander. Wen wundert’s.