Wie barrierefrei ist Wiesbaden? Unterwegs an den kritischen Stellen
Wiesbaden bemüht sich um Barrierefreiheit. An manchen Stellen besteht jedoch Nachholbedarf. Etwa bei Blindenstreifen, die teils abrupt enden.
Von Natascha Gross
Redakteurin Leben/Wissen
Taktile Leitelemente im Bodenbelag sollen Sehbehinderten helfen. Foto: Joachim Sobek
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WIESBADEN - Es rattert. Es vibriert. Wer mit dem Rollstuhl über die Kopfsteinpflaster auf dem Wiesbadener Rathausplatz fahren muss, wird ordentlich durchgeschüttelt. Nicht viel leichter haben es Rollatorfahrer, Familien mit Kinderwagen oder Reisende mit Rollgepäck. Wer auf eine Gehhilfe angewiesen ist, für den kann ein zu hoher Bordstein schnell zu einem unüberwindbaren Hindernis werden.
Wer eine Sehbehinderung hat, kommt am Hauptbahnhof an der ein oder anderen Stelle nicht weiter, weil der Blindenstreifen abrupt endet. Das sind Beispiele für Orte, an denen es Menschen mit Behinderung in Wiesbaden nicht leicht haben. Trotz allem tut die Landeshauptstadt viel für Barrierefreiheit, ist dafür sogar ausgezeichnet worden. Mal geht es schnell. Mal ist es aufgrund von Denkmalschutz komplizierter. Oft liegt es am Geld.
Tiefbauamt reagiert in der Regel schnell
„Es wird reagiert“, sagt Manfred Kinzer, im Wiesbadener Seniorenbeirat Arbeitskreissprecher für Stadtplanung, Bau und Verkehr. Sieht Kinzer einen zu hohen Bordstein, fotografiert er die Stelle und meldet sie dem Tiefbauamt. Und die reagieren in der Regel schnell, wie zuletzt am Warmen Damm in der Paulinenstraße: Eine Frau im Rollstuhl hatte sich bei Kinzer gemeldet, weil sie von dort aus nicht in den Park gekommen ist. „Innerhalb von zwei Tagen war der Bordstein abgesenkt“, sagt Kinzer.
Barrierefreie Cafés und Restaurants
Lumen, Dernsches Gelände
Cafe Extrablatt, Langgasse 34
Cafe Bastians, Kirchgasse 2
Leib & Seele, Willy-Brandt-Allee 2a
Andechser Ratskeller, Schloßplatz 6
Immer wieder sind es auch Bushaltestellen, an denen nachgebessert werden muss. Wie zum Beispiel in Rambach: Für die Haltestelle „Trompeterstraße“ hat der Seniorenbeirat eine behindertengerechte Umgestaltung beantragt, bemängelt die barrierefreie Ein- und Ausstiegsmöglichkeit. Es bestehe eine erhöhte Unfallgefahr, weil der Bordstein nicht hoch genug ist, um an den Bus anzuschließen. Stadträtin Sigrid Möricke hatte Kinzer vor einem Jahr geantwortet, dass der Umbau nur mit erheblichem Aufwand zu realisieren sei. Ob die Trompeterstraße für 2018 zur Bezuschussung angemeldet ist oder wird, darüber müsse aber nun ihr Nachfolger Andreas Kowol (Grüne) Auskunft erteilen.
13 Haltestellen werden umgebaut
An anderen Haltestellen tut sich aber was: Mit rund 450 000 Euro fördert das Land ein Projekt zum barrierefreien Ausbau von 13 Haltestellen im Stadtgebiet. Umgebaut werden die Bushaltestellen Bahnhof Wiesbaden Ost (beide Richtungen), Berliner Straße (beide Richtungen), Schloss Biebrich (stadtauswärts), Buschungstraße (stadtauswärts), Hauptbahnhof (Bussteig D), Hermann-Löns-Straße (stadtauswärts), Friedhof Kastel (stadtauswärts), Michelsberg (stadtauswärts), Plutoweg (stadtauswärts), und St. Veiter Platz (Richtung Kostheim). Die Warteflächen werden auf 22 Zentimeter erhöht und mit Spezialbordsteinen versehen. Auch taktile Leitelemente im Bodenbelag sollen Sehbehinderten dort künftig helfen.
Ganz und gar nicht zufrieden mit der Situation in Wiesbaden ist Jutta von Bassewitz. Die Rentnerin ist auf einen Rollator angewiesen und sagt, sie habe nicht nur Probleme, eine saubere öffentliche Toilette in der Stadt zu finden. Ebenso wenig könne sie Cafés oder Kulturveranstaltungen besuchen. „Die Toiletten sind in vielen Cafés und Restaurants im ersten Stock oder im Keller, da komme ich ohne Aufzug nicht hin“, sagt von Bassewitz.
Das Problem ist Joachim Mast vom Arbeitskreis der Wiesbadener Behindertenorganisationen bekannt. Doch Gastronomiebetriebe seien meist in privater Hand. Es fehle dann oft nicht nur an finanziellen Mitteln, sondern auch am Willen. Bei öffentlichen Einrichtungen ist Mast jedoch etwas strenger.
Zwei Eingänge, jeweils zwei Stufen. Dann eine Zwischenfläche und wieder vier Stufen: Das Restaurant im Schloss Biebrich ist nicht barrierefrei. Im gesamten Innenraum befinden sich Stufen. „Selbstständig kommt man nicht ins Restaurant“, sagt Mast, der selbst eine Sehbehinderung hat. Das Schloss gehört dem Land Hessen. Deshalb fordert Mast dort einen barrierefreien Zugang. Kein einfaches Vorhaben bei dem historischen Gebäude. Wenn nicht sogar unmöglich. Mast räumt zwar ein, dass das Personal sehr hilfsbereit sei, „ich trete aber für eine selbstständige Teilhabe ein.“
Wunsch und Wirklichkeit
Ob Busfahren, auf den Markt gehen oder im Park spazieren: Selbstständig kann Jutta von Bassewitz vieles nicht mehr. Dabei würde sie doch so gerne ins Theater gehen oder Ausstellungen besuchen, am kulturellen Leben in Wiesbaden teilhaben. „Im Landesmuseum gibt es keinen Aufzug, dass können Sie mit Rollator vergessen“, schimpft die Rentnerin. Doch an dieser Stelle kann sie Mast beruhigen. Dort wird es bald einen Aufzug geben. Auch mit dem Velvets Theater steht der Arbeitskreis in Kontakt. Dort habe man es zwar mit einem privatwirtschaftlichen Vermieter zu tun, der sich aber grundsätzlich kooperativ zeige.
„In Wiesbaden sind wir bei diesem Thema grundsätzlich gut aufgestellt“, sagt Stadtrat Christoph Manjura (SPD) mit Verweis auf Einrichtungen, bei denen Barrierefreiheit gewährleistet ist. „Selbst in Einrichtungen, in denen Auflagen des Denkmalschutzes zu berücksichtigen sind, konnte Barrierefreiheit hergestellt werden“, sagt Manjura. Beispiele dafür seien die Villa Schnitzler und die Villa Clementine.
Wiesbaden für Barrierefreiheit prämiert
Wiesbaden hat sich viel vorgenommen, wurde die Stadt doch 2016 von der Europäischen Kommission für Beschäftigung, Soziales und Integration für ihr Engagement im Bereich Barrierefreiheit geehrt. Gegen 48 Mitbewerber aus ganz Europa hat sich die Landeshauptstadt durchgesetzt und belegte hinter Mailand den zweiten Platz.
Ein Preis, der verpflichtet, auch für die Zukunft. So wurde der Arbeitskreis der Wiesbadener Behindertenorganisationen auch in die Planungen für das Rhein-Main-Congress-Center eingebunden. „Man muss hartnäckig und geduldig sein“, sagt Mast. Das Kopfsteinpflaster lässt sich eben nicht von heute auf morgen aus dem Weg räumen.