Verein Chancenwerk bietet an drei Wiesbadener Schulen gegenseitiges Lerntraining
Von Nina Waßmundt
Editorin
Simon Schmidt (rechts) und Dudu Vural (Mitte vorne) von „Chancenwerk“, Hermann Ufer vom Sponsor Rotary Club Wiesbaden (Zweiter von rechts), Stufenleiter Christian Weiner (links daneben) und die Schulkoordinatorin Barbara Wehling (links daneben) organisieren die Nachhilfe an der Schollschule in Klarenthal. Foto: Rene Vigneron
( Foto: Rene Vigneron)
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KLARENTHAL - „Aus der wird mal was“, sagt Barbara Wehling. In ihrer Stimme schwingt Stolz mit. Die Schulkoordinatorin des Vereins „Chancenwerk“ für die Sophie-und-Hans-Scholl-Schule (SHS) meint die 14-jährige Dounia Rahoui. Die Siebtklässlerin der integrierten Gesamtschule möchte gerne Steuerfachangestellte werden wie ihr Bruder. Deshalb sitzt sie heute Nachmittag freiwillig im Klassenraum und lässt sich von den Neuntklässlerinnen Homaira Wahed und Ksenia Lebedev die Englischhausaufgaben erklären.
„Man kann mit ihnen einfach offener reden als mit Lehrern, sie haben mehr Geduld und erklären es zur Not auch mehrmals“, beschreibt Dounia die Nachhilfe der beiden älteren Mitschülerinnen. Zweimal pro Woche lernt sie in einer Kleingruppe von vier bis sechs Mitschülern aus der gleichen Jahrgangsstufe von und mit älteren Schülern aus den Stufen acht und neun. Und das für zwanzig Euro pro Monat. Schüler, deren Eltern Sozialleistungen beziehen, müssen gar nichts bezahlen.
Bildungsgerechtigkeit lautet das Stichwort, für das sich der Verein „Chancenwerk“ mithilfe von Sponsoren einsetzt. Er fördert Schülerinnen und Schüler, deren Eltern aus finanziellen, zeitlichen und sprachlichen Gründen keine Unterstützung beim Lernen bieten können. Die Jugendlichen tauschen Zeit und Wissen im System einer sogenannten „Lernkaskade“ nach dem Prinzip „Geben und Nehmen“: Ältere Schüler (achte, neunte Klasse) werden für ihre Arbeit mit Jüngeren (sechste, siebte Klasse) belohnt, indem sie selbst in einem Fach ihrer Wahl kostenfreie Nachhilfe von Lehramtsstudenten erhalten, die der Verein bezahlt. Außerdem werden sie von den Studierenden in regelmäßigen Workshops auf ihre Rolle als Nachhilfelehrer vorbereitet.
„Mitschüler werden zu Brüdern und Schwestern“
„Wenn man das erste Mal da vorne steht, ist man sehr aufgeregt und will nichts falsch machen“, erinnert sich Homaira Wahed. Aber das lege sich nach einer Woche. Schulkoordinatorin Barbara Wehling beobachtet, dass die Nachhilfe die älteren Schüler zum Vorbild für die jüngeren macht und ihren Bekanntheitsgrad auf dem Schulhof steigert. „Sie werden ein bisschen angehimmelt“, erzählt sie schmunzelnd.
Als entscheidend bezeichnet auch „Chancenwerk“-Mitgründerin Dudu Vural den sozialen Aspekt. „Wir spüren, dass die Hilfsbereitschaft stark ist und Hemmungen abnehmen, miteinander auch außerhalb des Klassenzimmers zu sprechen. Die Schüler werden zu Brüdern und Schwestern“, sagt Vural.
In Wiesbaden nehmen seit 2014 an drei integrierten Gesamtschulen insgesamt 170 Schüler an der Lernförderung teil: Neben der SHS (seit 2016) sind das die Wilhelm-Heinrich-von-Riehl-Schule (seit Juli 2014) und die Wilhelm-Leuschner-Schule (seit September 2015).
Der Kontakt zwischen „Chancenwerk“ und den Wiesbadener Gesamtschulen stellt das städtische Amt für Soziale Arbeit her. Ein „pfiffiges pädagogisches Projekt“, das nur im Zusammenklang von Lehrern, die den Stundenplan danach bauen, „Chancenwerk“, Schülern und Sponsoren funktioniere, betont Dan Pascal Goldmann, der Abteilungsleiter der Schulsozialarbeit. Mit der Grundidee von „Bildung gegen Kinderarmut“ gewinnt „Chancenwerk“ in diesem Jahr zwei Sponsoren: Der Wiesbadener Rotary Club unterstützt den Verein mit 7500 Euro und die Zahnarztpraxis am Kureck mit 10 000 Euro. Das Geld des Rotary Clubs ermöglicht 39 Schülern der SHS Nachhilfe. Das Thema Kinderarmut habe den Club aufgerüttelt, erzählt Präsident Hermann Ufer. Wiesbaden ist nach Offenbach die zweite Stadt in Hessen mit der höchsten Kinderarmutsquote. „Wir wollten eine lokalisierbare Förderung. Die Schüler lernen untereinander viel motivierter und das Team-Gefühl entwickelt eine Dynamik“, meint Ufer. Auch das Netzwerk des Vereins soll durch ein geplantes Sommerschulfest den jungen Menschen zugute kommen.