Mittwoch,
17.07.2019 - 05:00
4 min
Urteil im Mordfall Susanna: Was bedeutet „lebenslang“?

Von Wolfgang Degen
Lokalredakteur Wiesbaden

Als Untersuchungsgefangener sitzt der Iraker in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt I in Preungesheim. (Foto: dpa)
WIESBADEN - Wie geht es weiter mit dem Mann, den die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Wiesbaden wegen Vergewaltigung und Ermordung der Mainzer Schülerin Susanna vergangene Woche zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt hat? Das Gericht hatte die besondere Schwere der Schuld festgestellt und die Sicherungsverwahrung vorbehalten. Es wird seither viel spekuliert, wie lange in diesem Fall „lebenslang“ sein könnte.
Was ist der Sachstand?
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, und es könnte voraussichtlich auch noch sehr lange dauern, bis es Rechtskraft erlangt.
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Warum?
Die Pflichtverteidiger haben das Rechtsmittel der Revision eingelegt. Das teilte eine Sprecherin des Wiesbadener Landgerichts mit. Das ist völlig legitim, um ein Urteil rechtlich überprüfen zu lassen. Darüber entscheidet der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
Was bedeutet Revision?
Anders als bei der Berufung werden nicht noch einmal die tatsächlichen Umstände des Falles untersucht, neue Beweise erhoben oder Zeugen befragt. Das Urteil wird lediglich auf Rechtsfehler überprüft.
Worauf könnten die Verteidiger in diesem Fall abzielen?
Ansatzpunkte könnten die vom Gericht festgestellte verschärfende Schwere der Schuld und der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung sein. Überprüft werden soll aber gerade auch, ob überhaupt gegen den Iraker verhandelt werden durfte. Das hatten die Verteidiger anders gesehen. Es geht um die Umstände, unter denen er nach seiner Flucht in den Irak am 9. Juni 2018 aus seiner Heimat Irak nach Deutschland zurückgebracht worden war. Das passierte außerhalb eines förmlichen Auslieferungsverfahrens.
Wie war es dazu gekommen?
Zwischen Deutschland und Irak existiert kein Auslieferungsabkommen. Das irakische Verfassungsrecht kennt ein Auslieferungsverbot eigener Staatsangehöriger an ausländische Staaten. Die Besonderheit liegt darin, dass der Mann irakischer Staatsbürger ist, aber in der Autonomen Region Kurdistan gefasst wurde. Die Übergabe an Deutschland lief an den irakischen Behörden vorbei. Die Autonome Region ist aber an die irakische Verfassung gebunden. Damit wurde irakisches Recht verletzt, der Irak protestierte aber nicht förmlich.
Wie sehr wiegt dieses nicht rechtmäßige Verbringen nach Deutschland?
Es ist ein Abwägen im Einzelfall. Zwischen dem persönlichen Unrecht, das er beim Rückholen erlitten haben kann, und der Schuld, die er mit seinen Verbrechen auf sich geladen hatte. Mord wiegt da besonders schwer. Das Abwägen fiel im Vorfeld des Prozesses beim Oberlandesgericht gegen den Iraker aus, wie auch beim Landgericht – es verhandelte. Der Fall könnte wegen der grundsätzlichen Bedeutung auch vor dem Bundesverfassungsgericht und/oder dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen.
Was ist mit dem zweiten Prozess in Wiesbaden, in dem er sich wegen Vergewaltigung einer Elfjährigen verantworten muss?
Ein mögliches Urteil ist noch in weiter Ferne. Das Gericht hat vorläufig Termine bis Ende Oktober angesetzt. Es wird nichtöffentlich verhandelt, weil ein Mitangeklagter als Jugendlicher eingeschätzt wurde.
Wie wirkt es sich aus, wenn er in diesem Prozess verurteilt wird?
Entgegen der weitverbreiteten Meinung würde eine Strafe nicht an das „lebenslang“ aus dem Mordprozess „Susanna“ drangehängt, quasi als Verlängerung. Aus dieser Strafe und den bereits verhängten Strafen im Mordfall wird, wenn beide rechtskräftig wären, vielmehr eine neue Gesamtstrafe gebildet. Mehr als lebenslang geht aber nicht, denn das ist die höchste verhängbare Strafe.
Kann auch in diesem Vergewaltigungsprozess die besondere Schwere der Schuld festgestellt werden?
Nein, die besondere Schwere der Schuld wird nur bei einer Verurteilung zu einer „lebenslangen“ Freiheitsstrafe festgestellt. Weitere Verbrechen und die Tatsache, dass das Opfer ein Kind war, werden aber später bei der Gesamtschau zur Bewertung der Gefährlichkeit und der Persönlichkeit eine Rolle spielen. Wenn es um die Entscheidung geht, wie viele Jahre „x“ über die gesetzliche Mindestverbüßung von 15 Jahren hinaus noch verbüßt werden sollen.
Wie viele Jahre werden durchschnittlich bei „lebenslang“ verbüßt?
Bundesweit gesehen sind es etwa 20 Jahre. Grundsätzlich gilt: Auch zu „lebenslang“ Verurteilten muss eine Chance verbleiben, eines Tages die Freiheit wiederzuerlangen, so das Bundesverfassungsgericht. Im konkreten Fall lassen sich heute noch keine sicheren Aussagen treffen. Die Strafvollstreckungskammer muss dem Iraker, wenn man seinen Fall nach verbüßten 13 bis 15 Jahren erstmals prüft, aber eine Perspektive aufzeigen, wie lange er noch verbüßen muss.
Lässt sich das nicht errechnen?
Die Dauer der tatsächlichen Verbüßung lässt sich nicht einfach mathematisch ermitteln. Es lassen sich keine abschließenden sicheren Aussagen treffen, weil ja nicht absehbar ist, wie sich in den kommenden Jahren die jetzt bescheinigte Gefährlichkeit entwickelt. Er könnte unter den Umständen seines Einzelfalles insgesamt vielleicht 22 bis 25 Jahre verbüßen, schätzen Juristen.
Wo ist er untergebracht?
Bis zur Rechtskraft des Urteils bleibt er in Untersuchungshaft, in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt I. Dort sitzt er seit seiner Rückkehr nach Deutschland. In der Untersuchungshaft soll er 23 Stunden am Tag in der Zelle sein. Hofgang ist, wenn aus Sicherheitsgründen nicht alleine, nur in einer kleinen Gruppe mit ausgewählten anderen Gefangenen möglich.
Wo könnte er nach Rechtskraft des Urteils eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen?
In Frage käme die Justizvollzugsanstalt Butzbach, ein Gefängnis, in dem erwachsene männliche Straftäter untergebracht werden, für die eine besonders sichere Unterbringung im Vordergrund steht.