Soll die Stadt Cannabis verkaufen? Parteien in Wiesbaden beraten über Legalisierung von Drogen
Die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung wird auf Antrag der Linken über die Legalisierung von Cannabis diskutieren. Ein von der Stadt gegründeter "Cannabis Social Club" würde den Konsum aus der Schmuddelecke holen, so die Begründung.
Von Manfred Knispel
Der legale Konsum und Verkauf von Cannabis-Produkten wird immer wieder diskutiert. Foto: Marc Faur - stock.adobe.com
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WIESBADEN - Ein Coffeeshop im Rathaus, also ein Laden, in dem Joints, Cannabis und Haschisch verkauft werden – Unfug? Nicht unbedingt, wenn man Ingo von Seemen zuhört. Der ist zwar, wie er zugibt, militanter Nichtraucher. Aber, räumt er ganz unbefangen ein, Cannabis könne man ja auch in Keksen verarbeiten. Rauchschwaden müssten also nicht unbedingt sein.
Ingo von Seemen ist nicht irgendwer. Er ist Stadtverordneter der Linken und stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher, für die Fraktion Linke/Piraten sitzt er auch im Gesundheitsausschuss. Er hat einen Antrag im Stadtparlament eingebracht mit dem Ziel, „Cannabis verantwortungsvoll zu legalisieren“. Der Magistrat möge prüfen, ob nicht die Stadt einen „Cannabis Social Club“ gründet, in dem sie selbst Cannabis-Produkte verkauft. „So könnten wir den Konsum aus der Schmuddelecke holen“, sagt er.
Zu jeder Tageszeit ist Cannabis verfügbar
Es sei doch überhaupt kein Problem, zu jeder Tageszeit irgendwo in Wiesbaden an Marihuana oder Haschisch zu kommen, so von Seemen weiter. Im Kulturpark am Schlachthof etwa, am Bahnhof, in den Parks, in bestimmten Wohnvierteln. Experten gingen davon aus, rechnet er vor, dass es in einer Stadt wie Wiesbaden rund 20.000 Gelegenheits-Konsumenten gibt, regelmäßig würden 2.000 bis 3.000 Menschen zu Cannabis-Produkten greifen. Mit einer Legalisierung könnte Wiesbaden gleichziehen etwa mit Kalifornien, wo seit Anfang des Jahres Cannabis legal ist.
Von Seemen geht damit – unfreiwillig – eine ungewöhnliche Allianz ein. Vor wenigen Wochen hat der Bund der Kriminalbeamten (BdK) mit ganz ähnlichen Forderungen die Öffentlichkeit überrascht. „Uns geht es um die Entkriminalisierung der Konsumenten“, sagt Bernd Schmidt-Sibeth, stellvertretender Vorsitzender des BdK Hessen und Beamter im Präsidium Westhessen in Wiesbaden.
Das sei keineswegs eine Forderung nach Legalisierung von Cannabis, so Schmidt-Sibeth weiter. Er könne sich aber vorstellen, dass Cannabis-Besitz künftig nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit geahndet werde. Zuständig seien dann die Städte, nicht mehr die Polizei. Die könne sich stattdessen mehr um die Dealer kümmern. Und zwar auch in Wiesbaden, sagt der Beamte: „Drogenkonsum und -handel gibt es in allen Städten.“
Das bestätigt auch die Polizeistatistik. 603 Fälle sind in Wiesbaden im Jahr 2016 registriert, bei denen es um Erwerb und Besitz sowie um Fahren unter Einfluss von Cannabis geht. Bei weiteren 52 Fällen geht es um Handel. Das sind laut Pressesprecher Marcus Hofmann, rund zwei Drittel aller Drogendelikte in Wiesbaden.
Der Polizeisprecher weist aber darauf hin, dass es sich bei Drogentaten um „Kontrolldelikte“ handele – je häufiger und je strenger die Polizei kontrolliere, desto mehr Taten würden zu Anzeige gebracht. Und angezeigt werde tatsächlich jeder Drogenfund, egal welche Menge. Schließlich stelle das Gesetz Drogenbesitz grundsätzlich unter Strafe, eine Untergrenze ist nicht genannt. Auf einem anderen Blatt steht indes, dass die Staatsanwaltschaft anschließend Verfahren, bei denen es um eine „geringe Menge“ geht, nahezu automatisch einstellt. Diese „geringe Menge“ liegt in Hessen bei sechs Gramm.
Auch die Zahlen des Wiesbadener Suchthilfezentrums (SHZ) zeigen, dass die Stadt keineswegs eine drogenfreie Insel ist. 700 Menschen wurden im SHZ im Jahr 2016 beraten, davon 123 mit einer Cannabisabhängigkeit. Bei Heroin und anderen Opiaten waren es laut Jahresbericht 345 Abhängige. Auch hier preist von Seemen seinen Vorschlag. Es falle deutlich leichter, sich mit Problemen an eine Hilfeeinrichtung zu wenden, wenn es nicht um illegale Drogen gehe, ist er sicher.
Der Linke will für seinen Antrag ein Schlupfloch im Betäubungsmittelgesetz nutzen. Nach Paragraf 3, so heißt es, könne für „im öffentlichen Interesse liegende Zwecke“ eine Ausnahmegenehmigung erteilen. Das gelte, sagt von Seemen, beispielsweise für Modellprojekte. Im Cannabis Social Club könnte, so seine Idee, die Stadt an Clubmitglieder die Drogen abgeben. Die Konsumenten müssten mindestens 18 Jahre alt sein und nicht vorbestraft. Mit den Einnahmen könnten auch „bedarfsgerechte Präventions-, Informations- und Hilfsangebote“ finanziert werden.
Bundestag diskutierte auch
Rückenwind bekommt von Seemen aus Berlin. Dort diskutierte in dieser Woche der Bundestag über eine Entkriminalisierung von Cannabis. Und ähnlich wie in Berlin, sind es in Wiesbaden neben den Linken auch die FDP und die Grünen, die für eine Liberalisierung eintreten.
Er habe in Gesprächen von beiden Parteien Zustimmung für seinen Antrag signalisiert bekommen, sagt von Seemen. Im März will das Parlament darüber diskutieren. Er hofft bei einer namentlichen Abstimmung auch auf Stimmen der SPD und vereinzelt aus der Union. „Ich halte meinen Antrag nicht von vornherein für verloren“, sagt er.