Donnerstag,
04.07.2019 - 02:30
3 min
Seit 1836: Orthopädische Klinik in Wiesbaden

Von Eva Bender
Lokalredakteurin Wiesbaden

Älter als das St.-Josefs-Hospital (Joho) ist die Orthopädische Klinik in Wiesbaden. Vielen ist noch ihr Standort an der Mosbacher Straße (oben links) bekannt. Dort wurden die jungen Tuberkulosepatienten auf der Sonnenterrasse behandelt (oben rechts). Zuvor war die Klinik in der Rheinstraße (unten links) und in der Mozartstraße (unten rechts) untergebracht. Im Jahr 2004 ist die Klinik ins Joho umgezogen, zu dem sie seit dem Jahr 2000 gehört. (Fotos: Joho)
WIESBADEN - Es ist ebenfalls Juli, damals 1836, als die Orthopädische Klinik in Wiesbaden in einem dreistöckigen Gebäude, heute die Rheinstraße 35, eröffnet wird. Die Gründung der ersten deutschen orthopädischen Anstalt ist zu diesem Zeitpunkt erst zwei Jahrzehnte her. Und es wird noch einige dauern, bis Wiesbaden seinen Ruf als Weltkurstadt erlangt. Dreimal ist die Klinik seit ihrer Eröffnung umgezogen: erst in die Mozartstraße, dann die Mosbacher Straße, schließlich ins St. Josefs-Hospital (Joho), zu der sie heute gehört. Weit schwerwiegender als die räumlichen Veränderungen in diesen 180 Jahren wiegen die fachlichen.
Schon früh wurden hier zerstörte Gelenke ersetzt
Dass Wiesbaden damals eine orthopädische Klinik bekam, lag nicht nur an den Heilquellen, es war auch eine Geldfrage, erklärt Joachim Pfeil – von 1996 bis zum Jahresende 2018 war er Chef der Klinik und hat sich mit ihrer Geschichte ausführlich auseinandergesetzt. „In Wiesbaden hat es schon immer einen gewissen Reichtum gegeben – und ein Bett in der Orthopädie musste man sich damals erst mal leisten können.“ Patienten waren vor allem Jugendliche mit Rückgratverkrümmungen. „Damals wurde viel mit Gips gearbeitet, was man heute kaum noch sieht. Dafür wurde kaum operiert“, erzählt Pfeil. Viele Leiden seien nicht heilbar, nur verbesserbar gewesen. „Die Orthopädie hatte ein völlig anderes Behandlungsfeld.“
Heute, mehr als 180 Jahre später, sind die Patienten der Orthopädie am Joho in der Regel deutlich älter. Und den größten Anteil der Behandlungen machen endoprothetische Gelenkersatzoperationen, vor allem an Hüfte und Knie, aus – mehr als 2000 im Jahr. „Jede Klinik hat ihren Schwerpunkt, das ist unserer. Wir operieren in dem Feld deutlich mehr als die anderen Wiesbadener Kliniken zusammen“, so Pfeil. Mehrmals im Monat hospitieren erfahrene Ärzte aus aller Welt bei den OPs im Joho.
Zerstörte Kniegelenke wiederherzustellen, daran hatte sich schon ein früherer Vorgänger Pfeils, Dr. Joseph Borggreve, geübt: mit der Umkehrplastik, zu der er 1929 eine Publikation herausbrachte. Da es erst seit den 1960er Jahren künstliche Ersatzgelenke gibt, ersetzte Borggreve das Kniegelenk bei Tuberkulosepatienten durch eine 180-Grad-Drehung des Unterschenkels mit dem Sprunggelenk: ein beachtlicher Ansatz in Zeiten, zu denen es zum Beispiel noch keine Antibiotika gab.
Auch unter Pfeil wurden am Joho neue orthopädische Ansätze entwickelt. Darunter der „Wiesbadener Zugang“, durch den alle anatomischen Strukturen erhalten bleiben und der sich inzwischen durchgesetzt habe. Zudem die Kurzschaftprothese, die möglichst viel Knochen erhält. „Wir haben hier im Haus immer wissenschaftlich gearbeitet, auch gemeinsam mit der Uni Mainz.“
Joachim Pfeil plädiert weiter für Medizinische Hochschule
Dass Wiesbaden die einzige Landeshauptstadt ohne eigene medizinische Fakultät ist, habe ihn immer geärgert, bestätigt Pfeil. „Wir hätten hier das Potenzial und die Kliniken dafür. Zudem fehlen Mediziner überall.“ Viele Gespräche habe er in der Vergangenheit in dieser Sache geführt – ohne Erfolg. „Das wäre der Knüller, genau das, was man braucht.“
In der Orthopädie habe sich viel verändert, nicht nur seit ihrer Gründung, auch im Laufe seines Berufslebens: „Unsere Planung ist inzwischen digital, Röntgenbilder werden in Computerprogramme eingespielt, durch die wir Implantate schon vor der OP virtuell einsetzen können und das so mit Patienten besprechen.“
Von der Vorbereitung auf die OP bis in die Reha seien die Behandlungspläne für Patienten vorgegeben. „Die Struktur reinzubringen, hat uns geholfen“, sagt Pfeil. Gerade mit Blick auf die Behandlungszahlen, die enorm gestiegen sind. „Unsere Bettenzahl hat sich seit 1996 nicht verändert, die Fallzahl hat sich aber vervierfacht, weil die Patienten viel weniger liegen und schneller wieder auf den Beinen sind.“
Ob nicht zu oft Gelenke ersetzt werden? Pfeil sagt: „Die Qualität hängt natürlich an der Fallzahl. Wir haben so viele Patienten aus der gesamten Region und weit darüber hinaus – wir operieren nur bei entsprechender Indikation.“ Die ganze Versorgung in der Orthopädie habe sich verändert, so Pfeil. Niedergelassene Ärzte hätten früher konservativ behandelt, heute operieren sie selbst, „weil sie sonst auch nicht überleben könnten“.