WIESBADEN - Die „Europäische Schleierdame“ ist ungenießbar, die Stinkmorchel trägt aufgrund ihrer unverkennbaren Form den wissenschaftlichen Namen „phallus impudicus“ (unverschämter Phallus) und der „Birkenporling“ schützte Ötzi vermutlich vor Magenbeschwerden: Das sind nur drei von 1300 Pilzen inklusive Informationen aus der Ausstellung „Pilze – Nahrung, Gift und Mythen“, mit der das Hessische Landesmuseum dank vieler Superlative nicht nur in der Region Aufsehen erregen wird: Auf 1100 Quadratmetern haben sieben Kuratoren in vier Sälen nach drei Jahren Arbeit „geballtes Wissen nah dran an der Wissenschaft“ so präsentiert, dass auch Besucher fasziniert sind, die sich noch nie zuvor für dieses „bisher am wenigsten verstandene Reich des Lebens“ zwischen Pflanzen und Tieren interessierten. Sie erfahren, was Pilze sind und wo man sie findet, welchen Nutzen und Schaden sie für den Menschen haben und wie schon frühere Kulturen von ihnen profitierten.
Plastische Vergrößerungen von Sporen
Mit einzigartigen Abgüssen ermöglichte es Klaus Wechsler, einer der renommiertesten Präparatoren Deutschlands, die Artenvielfalt bis ins Detail der pilztypischen Behaarung vor Augen zu führen – vom fünf Meter hohen bis zum fünf Mikrometer kleinen Exemplar. Und er überrascht mit plastischen Vergrößerungen von Pilzsporen, etwa der 3D-vermessenen Kragen-Erdstern-Sporen, die wie Ballons von der Decke hängen.
Vor den Vitrinen, in denen die verschiedenen Lebensräume exakt nachvollziehbar sind, erläuterte Kurator Hannes Lerp beim Pressetermin den ihn besonders faszinierenden „Magerrasen, einen der gefährdetsten Standorte“. Der junge Biologe steckte die Besucher mit seiner Begeisterung genauso an wie die anderen sechs Kuratoren, darunter Hermine Lotz-Winter vom Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität. Sie berichtete von einem Forschungsprojekt am Kellerskopf, bei dem ein Team drei Jahre lang regelmäßig auf einer lediglich 500 Meter langen Strecke Pilze gesammelt und dabei mehr als 1000 Arten gefunden hatte. Diese Vielfalt aus Naurod findet sich im Museum natürlich ebenso wieder wie ein Film über die Laborarbeit an der Universität, die unter anderem grundlegend für die Erforschung neuer Wirkstoffe ist.
Welche Farben lassen sich gewinnen?
Wie nutzen wir die Lebewesen, die – anders als früher angenommen – den Tieren deutlich näher stehen als den Pflanzen –, in der Medizin, welche Farben lassen sich aus ihnen gewinnen und welche Bedeutung haben sie beispielsweise für die Restaurierung von Intarsien mit grünem Holz? Und natürlich ist die Frage „essbar oder giftig?“ ein besonderer Schwerpunkt. Mit zusätzlichem Quiz, einer Riechstation, umfassendem Begleitprogramm und Kindgerechtem will man in zwei unterhaltsamen Stunden über ein Thema aufklären, das, so Wechsler, in naturkundlichen Museen bisher trotz seiner entscheidenden Rolle in der belebten Natur zu kurz gekommen sei. Und das gelingt, wie schon ein erster relativ kurzer Rundgang beweist, mit dem Konzept, das Lerp folgendermaßen zusammenfasste: „Durch Ästhetik und Faszination zu Wissen.“