Mordprozess Susanna: Wilde Geschichten oder Wahrheit?
Wie belastbar sind die Zeugenaussagen im Mordprozess im Fall Susanna, wenn Zeugen den Täter Ali Bashar ebenso als „korrekt“ bezeichnen wie sein Opfer?
Von Wolfgang Degen
Mitarbeiter Lokalredaktion Wiesbaden
Ali Bashar vor Gericht.
(Archivfoto: dpa)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
WIESBADEN - Als der achte Verhandlungstag am Montagabend zu Ende ist, kann man das Wort „korrekt“ nicht mehr hören. In diesem Mordprozess ist „korrekt“ eine verbale Pein. Das Opfer, die getötete 14 Jahre alte Schülerin Susanna aus Mainz, sei ein „korrektes“ Mädchen gewesen. Das ist so falsch nicht. Warum in aller Welt soll dann aber der Angeklagte, der dieses Mädchen getötet hat, auch „korrekt“ gewesen sein? Zumindest einige Zeit. „Beide waren gleich“, behauptet der Zeuge.
Man will nicht glauben, was man hört. Was ist das für eine Gedankenwelt? Was für ein Wertesystem? 14 ist der Zeuge, der das von sich gibt. Ein junger Flüchtling. In der Nacht zum 23. Mai 2018 hatte der von ihm als „korrekt“ beschriebene Ali Bashar Susanna in der Gemarkung Wiesbaden-Erbenheim getötet und die Leiche in einem Dickicht verscharrt.
„Korrekt“ ist der Auftakt zu einem derartigen Lügen, dass der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk die Zeugenvernehmung abbricht. Ein Akt der Fürsorge. In seiner Vernehmung bei der Polizei am 6. Juni 2018 hatte der junge Zeuge eine Vielzahl belastender Aussagen zu Protokoll gegeben. So soll der Angeklagte am späten Abend dem Zeugen und anderen Jugendlichen gedroht haben: „Geht nach Hause, oder ich stech‘ euch ab!“ Er soll das gesagt haben, um mit dem späteren Opfer und seinem kleinen Bruder alleine zu sein. Die Vernehmung des Zeugen vor Gericht und die Vernehmung bei der Polizei könnten unterschiedlicher nicht ausfallen. Er schildert nun einen gänzlich anderen Ablauf und will das als wahr beschwören. „So wie du das sagst, bedeutet schwören gar nichts“, stellt Bonk klar.
Es ist ein weiterer Verhandlungstag, an dem sehr viel erzählt wird. Das Problem liegt in der überprüfbaren Substanz. Was ist glaubhaft? Wer ist glaubwürdig? Was sind wilde Geschichten, Aufschneiderei oder Wichtigtuerei? Was könnten Übertreibungen sein, um selbst besser dazustehen? Die Anklage wirft dem als Asylbewerber abgelehnten 21 Jahre alten Ali Bashar Mord und Vergewaltigung vor. Kronzeuge ist Alis früherer Freund Mansoor, ein junger Flüchtling aus Afghanistan.
Er gab nach Alis Flucht in den Irak der Polizei den entscheidenden Hinweis. Ali soll ihm die Details des Tötens geschildert haben, und dass er Susanna gegen deren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen hätte. Ali soll ihm zuvor bei einer Busfahrt gesagt haben: „Wenn sie nicht mit mir schläft, bringe ich sie um.“ War das so angekündigt? Es ist bei keiner früheren Vernehmung die Rede davon gewesen? Warum kommt es nun? Und warum hat Ali das Verbrechen offenbart? „Weil ich ein guter Junge bin“, sagt Mansoor. „Und wir gute Freunde waren.“ Und dann zählt er auf, was ihn auszeichne: „Ich war ein ehrlicher Junge, habe nicht gelogen, war kein Dieb.“ Er sei auch „immer ins Training gegangen“. Außen vor bleibt: Er und Ali sollen auch gemeinsam Täter gewesen sein – bei der Vergewaltigung einer Elfjährigen. Das wird in einem anderen Prozess verhandelt.