Medizin im Datenrausch - Internistenkongress in Wiesbaden
8.500 Ärzte, Wissenschaftler und Hersteller diskutieren auf dem Internistenkongress in Wiesbaden über Potenziale und Risiken der Digitalisierung.
Von Karl Schlieker
Redakteur Politik / Wirtschaft
Der Internistenkongress im RMCC in Wiesbaden.
(Foto: Karl Schlieker)
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WIESBADEN - Medizin-Apps für das Handy, digitale Krankenakten, selbstlernende Computerprogramme zur Diagnosefindung oder personalisierten Therapie - die Digitalisierung verändert mit großen Schritten den Alltag der Medizin. „Diese Entwicklung wird mit oder ohne uns Ärzte stattfinden, sie ist nicht aufzuhalten.“ Das betonte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Professor Claus F. Vogelmeier, zum Auftakt des 125. Internistenkongresses in Wiesbaden.
Es liege in der Verantwortung der Mediziner, die Digitalisierung zu steuern, sonst übernähmen das andere. Deshalb stehe der Kongress mit rund 8.500 Teilnehmern unter dem Leitthema „Digitale Medizin - Chancen, Risiken, Perspektiven“.
Der Internistenkongress ist zu seinen Ursprüngen nach Wiesbaden zurückgekehrt. In den vergangenen vier Jahren tagten die Internisten in Mannheim, um die Bauzeit des Rhein Main Congress Centers (RMCC) zu überbrücken. Die Landeshauptstadt ist Sitz der DGIM und Ort des 1. Internistenkongresses. In 375 Sitzungen sowie 1215 Vorträgen und Sitzungen referieren nun mehr als 950 Experten noch bis einschließlich Dienstag im RMCC über medizinische Themen wie beispielsweise „Die Medizin im Datenrausch“.
„Angenehme Anmutung, viel Licht und Holz, klare Ordnung der Räume“, lobt der DGIM-Vorsitzende Vogelmeier das Congress Center als „tollen Tagungsort“. „Das ist ein Haus zum Wohlfühlen.“ Das wird RMCC-Geschäftsführer Martin Michel, der bereits zum Start am Samstagmorgen um acht Uhr vor Ort ist, gerne hören. „Die Internisten haben das Centrum bis zum letzten Raum ausgebucht.“ Es sei der größte Kongress im neu gebauten Congress Centrum. Parallel findet am Samstag auf dem Rathausplatz in Wiesbaden der öffentliche Patiententag statt.
Schwerpunkte des Internistenkongresses sind in diesem Jahr Intensivmedizin, Multimorbidität, nicht medikamentöse Therapien oder seltene Erkrankungen. Die Digitaliserung prägt dabei zunehmend den Alltag der Internisten. „Früher war es ein Problem, Informationen zu bekommen. Heute stellte sich in der Informationsflut die Relevanzfrage“, berichtet Dr. Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Direktor des Instituts für Medizinische Informatik an der Hochschule Hannover. Unter dem Motto „mobile Health - smart, evident, sicher“ entwerfe der Berufsverband deshalb beispielsweise eine Strategie zum Einsatz von Mobiltechnologie und Gesundheits-Apps. Es gehe darum, Orientierungshilfen zur medizinischen Einschätzung der zahllosen Anwendungsprogramme für Handys zu entwickeln. „Die Hersteller müssen dazu die Nutzer der Apps informieren, zu welchen Zwecken die Software taugt und wie Ergebnisse und Empfehlungen zustande kommen.“ Für den Arzt sind Empfehlungen von Apps nach Einschätzung Albrechts nicht ohne Risiko. „Wenn etwas schief geht, steht der Arzt in der Verantwortung.“
Für DGIM-Präsident Vogelmeier geht es weder um Verherrlichung, noch um Verteufelung der neuen Technologien. Wie beim autonomen Fahren müssten Politiker, Juristen, Hersteller und Anwender grundsätzliche Fragen lösen. Wer kontrolliere die Systeme, wer habe Zugang zu den Daten, wie würden die sensiblen Patienteninformationen vor Angriffen geschützt, wer entscheide am Ende über die Anwendung der Systeme? Den Risiken stünden aber ebenso viele Chancen gegenüber. „Die sinnvolle Anwendung digitaler Hilfen kann den Ärzten Zeit verschaffen, sich intensiver um den Patienten zu kümmern.“
Gleichzeitig ermögliche die computergestützte Auswertung großer Datenmengen, Therapien und Medikamente gezielter auf die Bedürfnisse einzelner Patienten abzustimmen. „Es ist wahrscheinlich, dass eines Tages jeder individuelle Tumor und andere Erkrankungen mit molekularen Aspekten so präzise profiliert werden kann, dass man Patienten gezielter behandeln und vieles präventiv verhindern kann“, zeigt sich Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach von Molecular Health in Heidelberg optimistisch.
Aber auch ganz praktisch kann die Digitalisierung den Alltag erleichtern, wie DGIM-Generalsekretär Professor Ulrich R. Fölsch berichtet. So kümmere sich die DGIM in einer Arbeitsgruppe inzwischen stärker um die Bedürfnisse der Hausärzte kümmern. Diskutiert werde beispielsweise die bessere Vernetzung der Hausärzte über eine digitale Plattform. Unter den bundesweit 55.000 Hausärzten seien schließlich 15400 Internisten. „Das ist Anlass genug, deren besondere Interessen besser sichtbar zu machen.“