WIESBADEN - Ein gemeinsamer Antrag von SPD, CDU und Grünen hat in der Stadtverordnetenversammlung für eine lange und kontroverse Debatte gesorgt. Das Kenia-Bündnis will die Wiesbadener Wirtschaft an den Kosten der Kinderbetreuung beteiligen, im Gegenzug die Gewerbesteuer senken. Ein Modell, das es in Deutschland bisher noch nicht gebe, und das beispielhaft für andere Kommunen werden soll. „Wir können damit von Wiesbaden aus ein Signal in die Republik senden“, sagte CDU-Fraktionschef Bernhard Lorenz, der den Antrag begründete.
Die heimische Wirtschaft habe daran ein großes Interesse, glaubt Lorenz: In Zeiten des Fachkräftemangels müsse man bessere Betreuungsangebote für Kinder schaffen – und damit Eltern für den Arbeitsmarkt mobilisieren. „Stabile Einnahmen aus der Wiesbadener Wirtschaft“ will Lorenz den Unternehmen mit einer Senkung der Gewerbesteuer schmackhaft machen. Dazu soll der Magistrat mit der Landesregierung, dem Städtetag und Vertretern der Wirtschaft in Verhandlungen treten und das Vorhaben rechtlich prüfen.
„Von der rechten Tasche in die linke Tasche“
„Wie ich hörte, hat Herr Lorenz diese Idee in der Kooperation lautstark durchgesetzt. Gegenüber dem Land wird das nicht klappen. Gesetzlich geht so etwas nicht“, entgegnete Petermartin Oschmann. Er war viele Jahre Wirtschaftsexperte der CDU-Fraktion, hat Partei und Fraktion mittlerweile den Rücken gekehrt und ist fraktionsloser Abgeordneter. „Ein solches Modell kann nur freiwillig sein und da geht nicht jeder Betrieb mit“, sagte Oschmann. In Frankfurt und Schwalbach am Taunus hätten ähnliche Versuche keinen Erfolg gehabt. Auch Christian Bachmann (Freie Wähler) zweifelte, „ob da überhaupt Unternehmen Interesse haben“. Eckhard Müller (AfD) bezeichnete den Antrag als „absolut nicht seriös“. Außerdem sei es eine „Rechnung von der rechten in die linke Tasche“.
Selbst Petra Vogt vom Kooperationspartner SPD gab zu, dass sie „nicht zu 100 Prozent überzeugt“ sei. In Richtung Lorenz sagte sie: „Sie haben mit Nachdruck versichert, dass es uns gelingen wird. Wir vertrauen auf Ihren Einfluss auf die Landesregierung.“
Darauf will die FDP nicht vertrauen. „Es sind mut- und zahnlos gezündete Nebelkerzen, wenn Sie hoffen, dass der Landesgesetzgeber irgendwann mal irgendwas macht“, echauffierte sich FDP-Vize Lucas Schwalbach. Er schlug – in seltener Einigkeit mit der Fraktion Linke/Piraten – vor, stattdessen auf Betriebskindergärten zu setzen. Am Antrag der Kooperation kritisierte Schwalbach, dass eine Senkung der Gewerbesteuer zwar in der Überschrift, nicht aber im Antragstext auftaucht. Auch wird darin nicht beziffert, auf welchen Hebesatz die Steuer gesenkt werden soll. Von den derzeit 454 Punkten will die FDP die Gewerbesteuer in den kommenden Jahren stufenweise bis auf 430 Punkte senken.
„Dadurch würde die Landeshauptstadt doppelt bestraft“, erklärte Lorenz. Denn neben geringeren Steuereinnahmen, würden dann auch weniger Schlüsselzuweisungen vom Land, das den Satz von 454 für den kommunalen Finanzausgleich voraussetzt, fließen. Eine Senkung der Gewerbesteuer sei daher nur „flankiert vom Landesgesetzgeber“ möglich.
Diese Idee bekräftigte auch Reinhard Völker, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Wiesbadener CDU. „Wir müssen mit dem Land sprechen und neue Wege erproben.“ Angesichts der Rekordeinnahmen von mehr als 300 Millionen Euro aus der Gewerbesteuer sei eine Senkung angebracht. Nur dann könne es eine Beteiligung der Wirtschaft an der Kinderbetreuung geben. „Wir Grünen sind keine Fans von Gewerbesteuersenkungen, aber offen für kreative Ideen“, sagte Felix Kisseler. Folglich verabschiedeten Grüne, SPD und CDU ihren gemeinsamen Antrag, gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen. Sollten die nun angestoßenen Verhandlungen zwischen Landeshauptstadt, Wirtschaft und Land erfolgreich sein, könnte die Idee von 2020 an erprobt werden.