Der Wiesbadener OB Gert-Uwe Mende warnt vor einer schnellen Rückkehr zur Normalität. Allerhöchstens sei der Entwurf einer Blaupause für die Lockerung der Corona-Regeln denkbar.
Von Gert-Uwe Mende
Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende macht deutlich: „Die Corona-Lage wird sich auch in den kommunalen Haushalten massiv auswirken.“
(Foto: René Vigneron)
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WIESBADEN - Hektische Wochen liegen hinter uns. Am Anfang der Corona-Krise waren die Kommunen – also die Städte und Landkreise – in vielen Fragen auf sich allein gestellt. Während sich die Landesregierungen und die Bundesregierung noch sortierten, wurden in den Kommunen Krisenstäbe eingerichtet und Allgemeinverfügungen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes erlassen.
Während die Hessische Landesregierung nur empfahl, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen abzusagen, entstanden in den Kommunen die ersten konkreten Verbote für Veranstaltungen mit deutlich kleineren Teilnehmerzahlen. Innerhalb von knapp zwei Wochen wurde aus der Empfehlung „nicht mehr als tausend in geschlossenen Räumen“ eine Anordnung „nicht mehr als zwei in der Öffentlichkeit“.
Diese Dynamik hat alle Ebenen herausgefordert, sie war neu in ihrer Dramatik und trotz des „Hineinstolperns“ in die Corona-Lage, hat Deutschland sich insgesamt bislang recht gut geschlagen. Die Frage, ob Deutschland ausreichend vorbereitet war, ist mit einem ziemlich klaren Nein zu beantworten.
ZUR PERSON
Seit dem 2. Juli 2019 ist Gert-Uwe Mende (57) Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden. 1979 trat Gert-Uwe Mende in die SPD ein, der vor seinem OB-Posten Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion war. Bis zu seiner Wahl als Oberbürgermeister war er stellvertretender Vorsitzender im SPD-Unterbezirk Wiesbaden und seit 2016 Mitglied im Ortsbeirat Dotzheim, zuletzt seit August 2018 Ortsvorsteher. Gert-Uwe Mende ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern.
Doch diese Debatte hilft uns heute nicht weiter, sie muss allerdings geführt werden, wenn die Lage bewältigt ist. Dann wird es nicht nur um Fragen der Pandemieplanung wie die Bevorratung und einheimische Produktion von Schutzmaterial gehen, sondern besonders um den Stellenwert der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kranken- und Altenpflege.
Bislang gelingt das Wichtigste gut, nämlich die Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Es gibt genug freie Klinikbetten und vor allem genug Beatmungsplätze auf Intensivstationen. Wobei allen klar sein muss: Im Falle einer dynamischen Entwicklung können diese Sicherheitsreserven schnell erschöpft sein. Rund 3000 Tote und das bekannt hohe Risiko gerade für ältere Menschen mahnen uns zu größter Vorsicht. Szenarien, die den Tod vieler Menschen in Kauf nehmen, sind herzlos und mit unseren Grundwerten unvereinbar. Deshalb bleibt die größte Aufgabe, Infektionen zu vermeiden.
Es ist viel zu früh eine Bilanz zu ziehen, aber unser Gemeinwesen hat sich trotz aller Unzulänglichkeiten bislang bewährt. Die Kommunen haben bei der Bewältigung der Lage eine zentrale Rolle gespielt und sich dabei als pragmatisch und kompetent erwiesen.
Klar, auch nach einigen Wochen läuft nicht alles rund. Nahezu kein Tag vergeht, an dem zum Beispiel die Hessische Landesregierung nicht eine ihrer Verordnungen nachbessert, durch Auslegungshinweise konkretisiert oder am System der Krankenversorgung herumschraubt. Gefühlt hat es ewig gedauert, bis endlich ein Bußgeldkatalog für Verstöße gegen die Corona-Kontaktbeschränkungen vorlag. Aber das sind eher Details.
Relevant sind hingegen echte Mängel. Vor allem das Fehlen an Schutzausrüstung macht Sorgen. Angesichts des völlig überstrapazierten Markts haben hier Kommunen und auch einzelne Krankenhäuser wenig Chancen, zertifizierte und bezahlbare Produkte zu ergattern. Hier muss sich vor allem der Bund kümmern und große Mengen Qualitätsware bestellen und verteilen.
Über ein Datum für das Ende des allgemeinen Lock-Down zu spekulieren, ist es viel zu früh. Wir sind noch nicht „über den Berg“. Wenn sich die Kanzlerin am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten verständigt, darf das Signal nicht lauten, dass eine schnelle Rückkehr zur Normalität möglich ist. Im Gegenteil: Die Botschaft muss lauten, dass Einschränkungen weiter notwendig sind.
Allerhöchstens kann der Auftrag ergehen, eine Blaupause für die Lockerung der Corona-Regeln zu entwerfen. Einen Plan, der über Wochen, wenn nicht Monate gehen muss. Das akademische Papier der Leopoldina ist kein solcher Plan. Es kann politische Entscheidungen unterstützen aber nicht ersetzen, dazu ist es in Teilen auch schlicht zu weltfremd. Es war vielleicht den Umständen geschuldet, in die Krise hineinzustolpern. Ein Herausstolpern wäre das nicht.
Die Kommunen dürfen nicht wieder von einem Tag auf den anderen vor die Aufgabe gestellt werden, Regelungen zu vollziehen, auf die sie sich nicht vorbereiten konnten. Sie brauchen und erwarten ausreichend Vorlauf. Es darf nicht wieder ein Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen entstehen. Die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen, die Schulen – um nur ein paar Beispiele zu nennen – brauchen Planungssicherheit.
Alle Entscheidungen müssen ein striktes Monitoring der Corona-Zahlen einplanen und so den Effekt jedes Schritts kontrollieren. Denn jede Maßnahme wird erst nach ein bis zwei Wochen statistische Auswirkungen zeigen – und das sind eben nicht bloße Zahlen, sondern menschliche Schicksale. Ein „zurück auf Los“ kann es nicht geben, wenn wir nicht in Kürze vor derselben Situation wie Anfang März stehen wollen. Der Erfolg der tiefen Einschnitte, die wir hingenommen haben, darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.
Und vielleicht nehmen Bund und Länder einen Merkposten in ihren Themenspeicher auf: Die Kommunen, die einen großen Teil der Administration leisten, müssen dazu auch finanziell entsprechend ausgestattet sein. Die Corona-Lage wird sich auch in den kommunalen Haushalten massiv auswirken. Die Städte und Kreise müssen finanziell so ausgestattet werden, dass sich auch nach Corona ihre Aufgaben meistern können.