Jugendamt Wiesbaden hat 105 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in seiner Obhut
Unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) - das sind Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern oder andere Erziehungsberechtigte nach Deutschland einreisen. Für sie gelten im Asylverfahren spezielle Regeln. Das Jugendamt in Wiesbaden betreut aktuell 105 UMA - die Zahlen sind allerdings rückläufig.
Von Wolfgang Degen
Mitarbeiter Lokalredaktion Wiesbaden
Der Bevölkerungsanteil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz beträgt zum Stichtag 18. Oktober 0,056 Prozent.
(Archivfoto: dpa)
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WIESBADEN - Das Jugendamt der Landeshauptstadt hat aktuell 105 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut oder in Hilfe zur Erziehung. „Deutlich rückläufig“ seien die Zahlen, sagt Christa Enders, die Leiterin des Wiesbadener Amts für soziale Arbeit. Rund 90 Prozent dieser in Wiesbaden erfassten jungen Flüchtlinge sind männlich, ihr Alter liegt bei 15 Jahren aufwärts.
Wie wird verfahren? Unbegleitete Minderjährige werden vom Jugendamt zunächst in vorläufige Obhut genommen. Das ist eine gesetzliche Verpflichtung gemäß Sozialgesetzbuch. Während dieser vorläufigen Inobhutnahme ist unter anderem auch einzuschätzen, ob der junge Flüchtling tatsächlich unter die Minderjährigen-Regelung fällt. Viele der jungen Flüchtlinge haben keine Ausweispapiere oder sie geben vor, keine Papiere zu haben, aus denen das Alter hervorgeht.
Wie läuft die Alterseinschätzung ab? Um einschätzen zu können, ob ein junger Flüchtling minderjährig ist oder doch schon volljährig sein könnte, führt das Wiesbadener Jugendamt eine „qualifizierte Inaugenscheinnahme“ durch. In Wiesbaden werden auch in Zweifelsfällen keine medizinischen Untersuchungen – etwa durch Röntgen der Handwurzel – vorgenommen, um das Alter einschätzen zu können. In anderen Jugendämtern schon.
UMA
- Unbegleitete Minderjährige sind Kinder und Jugendliche, die ohne Personensorgeberechtigte (in der Regel die Eltern) oder Erziehungsberechtigte nach Deutschland einreisen. Für sie gelten im Asylverfahren spezielle Regeln. Es gilt das Primat des Kindeswohls. Die Unterbringung erfolgt anders als bei begleiteten Minderjährigen oder erwachsenen Geflüchteten in Einrichtungen der Kinder-und Jugendhilfe.
- Unbegleitete Minderjährige werden behandelt wie andere gefährdete Kinder und Jugendliche. Sie werden nach den Regelungen des Kinder- und Jugendhilferechts untergebracht, versorgt und betreut. Volljährige Geflüchtete dagegen unterliegen primär dem Asylbewerberleistungsgesetz.
- Für unbegleitete Minderjährige muss ein Vormund bestellt werden. Wer die Vormundschaft letztendlich übernimmt, wird vom Familiengericht entschieden. Eine Vormundschaft besteht in der Regel bis zur Volljährigkeit. In Wiesbaden ist das Jugendamt in aller Regel Vormund der jungen Menschen.
Was bedeutet Inaugenscheinnahme? Es handelt sich um eine umfassende Befragung des jungen Flüchtlings. Beteiligt sind stets zwei Mitarbeiter des Jugendamts, dazu ein Dolmetscher. Der Flüchtling wird insbesondere befragt zum Werdegang, zu Familie, Schulbesuch und Flucht „Dabei geht es um die Plausibilität und die Schlüssigkeit der Schilderungen“, sagt Christa Enders. Passen die Schilderungen, die zum Beispiel ein junger Afghane macht, zu einem 16-Jährigen? Oder sind Zweifel anzumelden? Könnte er nicht schon deutlich älter sein, und rechtlich damit ein Erwachsener, weil die Schilderungen nicht passen?
Was passiert, wenn die Einschätzung „minderjährig“ nicht getroffen wird? „Wenn die Mitarbeiter zu dieser Einschätzung kommen, wird der junge Flüchtling nicht in Obhut genommen. Er wird dann an die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen verwiesen. Das kommt ab und an vor“, sagt Enders. „Das freut die jungen Menschen nicht immer.“ Denn: „Es hat natürlich eine hohe Attraktivität, minderjährig zu sein.“ Das garantiere einen besonderen Schutzstatus.
Können Betroffene gegen die Zuschreibung „volljährig“ vorgehen? „Sie könnten gegen unsere Entscheidung klagen, aber das passiert nicht“, beschreibt Enders die Praxis.
Was passiert in Zweifelsfällen? In Zweifelsfällen werde für die Minderjährigkeit entschieden, sagt Enders. Und schiebt ein Aber nach: „Aber das heißt nicht, dass wir junge Menschen bei Zweifeln unbedingt in die Minderjährigkeit reden. Wir gehen mit der Alterseinschätzung seriös um.“ Das Thema werde nach ihrer Auffassung in der öffentlichen Debatte ohnehin völlig überschätzt. Es gehe um eine „Einschätzung“, und das sei nun mal keine genaue Feststellung des konkreten Alters. „Für uns geht es darum: minderjährig und damit besonders schutzbedürftig im Sinne des Gesetzes oder doch schon volljährig?“
Was ist in Wiesbaden der durchschnittliche Tagessatz der Inobhutnahme oder Heimunterbringung unbegleiteter Minderjähriger? Der Tagessatz liege bei rund 170 Euro pro Person, sagt Enders. Die Kosten werden vom Land erstattet. Bei den Kosten müsse berücksichtigt werden, dass eine Heimunterbringung grundsätzlich teuer sei. Es sei eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung an sieben Tagen. Um das zu gewährleisten, brauche es bei einer der üblichen Neuner-Gruppe fünf Betreuer.