Ist Eswe Verkehr ein „umfassender Mobilitätsdienstleister“?
Die Gesellschaft hatte einst diesen Auftrag bekommen. Doch was bedeutet das überhaupt? Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Begriffs und wie die Umsetzung des Auftrags läuft.
Von Henri Solter
Lokalredakteur Wiesbaden
Viele Aufgaben erfüllt Eswe Verkehr, doch der Busverkehr ist die Hauptaufgabe.
(Foto Tim Würz)
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WIESBADEN - Wer im politischen Wiesbaden Eswe Verkehr hört, der hört oft auch von einer zweiten Vokabel: Ein umfassender Mobilitätsdienstleister soll die städtische Gesellschaft sein. Was dies genau bedeutet, wissen außerhalb der Verkehrspolitik nur die wenigsten. Wir werfen einen Blick auf die Entstehungsgeschichte des Begriffs und darauf, wie es um die Umsetzung des Auftrags an Eswe Verkehr bestellt ist (siehe Infokasten).
Opposition übt Kritik
Erstmals taucht der Begriff „umfassender Mobilitätsdienstleister“ in Wiesbaden 2016 auf. CDU und SPD hatten Eswe Verkehr damals mit der Aufgabe betraut. 2020 wurde der Auftrag, dann unter der Beteiligung der Grünen, in einem Antrag konkretisiert. „Die Eswe Verkehrsgesellschaft soll sich unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verkehrsträger sowie neuer Verkehrstechnologien und Verkehrsangebote zum führenden Mobilitätsdienstleister der Landeshauptstadt Wiesbaden entwickeln.“ Ob das gelungen ist, wird bis heute kontrovers diskutiert.
Mobilitätsangebote von Eswe Verkehr – ein Sachstand
Busverkehr: Aktuell hat Eswe Verkehr große Probleme, den Busverkehr in Wiesbaden zu stemmen. Anfang Juli waren 130 Busfahrer ausgefallen, viele Fahrten mussten gecancelt werden. „Der Busverkehr in Wiesbaden war, ist und wird immer das Kerngeschäft von Eswe Verkehr bleiben. Die aktuellen Probleme im Busverkehr haben andere Ursachen. Neben dem krankheitsbedingten Fahrerausfall durch die Corona-Pandemie leidet Eswe Verkehr unter dem akuten Mangel an Fachkräften, wie er in ganz Deutschland vorherrscht“, so Spannaus.
„Mein Rad“: Auch der Radverkehr zählt zu den Bürger-Bedarfen, denen Eswe Verkehr gerecht werden will. Doch wie berichtet, ist das hauseigene Projekt „Mein Rad“ aufgrund ständig sinkender Nutzerzahlen sowie zu hoher Kosten im Mai eingestellt worden. Nun soll künftig mit einem bereits etablierten Anbieter zusammengearbeitet werden. Das städtische Bike-Sharing-Angebot wird also künftig mit einem Partner betrieben, aber Eswe Verkehr übernimmt weiter die Koordination für die Stadt.
Digi-P: Das Thema Parken und Parkraummanagement ist ein noch relativ junges Projekt von Eswe Verkehr. Im Auftrag der Stadt arbeitet die Gesellschaft daran, eine verbesserte Organisation des öffentlichen und privaten Parkraums zu erreichen. Künftig soll das Parkraummanagement und damit auch die Parkraumbewirtschaftung auf Basis eines gesamtstädtischen und abgestimmten Konzepts geregelt werden. Derzeit läuft ein Pilotprojekt, bei dem vier Parkflächen mit Parkplatzsensoren zur digitalen automatischen Erfassung der Parkplatzbelegung ausgestattet sind. Dadurch soll langfristig der Parksuchverkehr in Wiesbaden minimiert werden.
Car-Sharing: Insgesamt 170 Plätze soll es im Stadtgebiet bis Ende des Jahres geben. Die vorhandenen Anbieter sind Scouter, Book’n’drive und Stadtmobil. „Neu ist, dass nun auch viele weitere Stationen in den äußeren Stadtbezirken hinzukommen, was die Attraktivität noch mal deutlich steigert. Das Angebot wird sehr gut angenommen“, berichtet der Eswe Verkehr-Sprecher.
Besonders die heutige Opposition hat da ihre Zweifel, dass die städtische Gesellschaft ihrer Rolle als Mobilitätsdienstleister derzeit gerecht werde. CDU, die einst noch an dem Auftrag beteiligt war, und FDP hatten in der jüngsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung in einem Antrag gefordert, Eswe Verkehr vom „Mobilitätsdienstleister“ zur „Mobilitätsplattform“ umzuwandeln. Erklärung: Auf so einer Plattform sollen verschiedenen Mobilitätsangebote der städtischen Gesellschaften und privater Anbieter gesammelt angeboten werden. Die Opposition will diese Plattform dann von einem externen Projektmanager verwalten lassen. „Der Konzern sollte sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren – und das ist der Busverkehr. Aktuell ist dies in Wiesbaden nicht gewährleistet“, sagte Alexander Winkelmann (FDP), der auch aufgrund gescheiterter Projekte wie „Mein Rad“ und Digi-S das Projekt umfassender Mobilitätsdienstleister als erfolglos ansieht.
Wer die Verkehrsgesellschaft selbst nach ihrer eigenen Definition fragt, erhält folgende Antwort: „Im Rahmen unserer Aufgaben als Wiesbadens umfassender Mobilitätsdienstleister sind wir gemeinsam mit den städtischen Behörden zuständig für die Etablierung vernetzter Mobilitätsangebote, die multimodal organisiert sind. Das bedeutet, dass Bürgern neben dem ÖPNV, je nach individuellem Bedarf, unterschiedliche Mobilitätsangebote zur Verfügung stehen.“
61 Millionen Fahrgäste jährlich
Wie man den Auftrag erfüllen soll, darüber haben Eswe Verkehr und die Opposition Vorstellungen, die eigentlich gar nicht so weit auseinanderliegen. „Laut entsprechendem Beschluss (von 2016, Anm. d. Red.) zählen zu den Aufgaben des Mobilitätsdienstleisters beispielsweise „die Bereitstellung öffentlich nutzbarer Mietfahrradsysteme, moderner Carsharing-Angebote“ und so weiter. Eswe Verkehr ist also bereits der Mobilitätsdienstleister der Stadt und hat in dieser Funktion bereits verschiedene Projekte realisiert“, so Eswe-Verkehr-Pressesprecher Micha Spannaus, der betont, dass die Bezeichnung „umfassender Mobilitätsdienstleister“ nicht bedeute, dass man alle Mobilitätsangebote selbst betreibt. Das entspreche in keiner Weise der gelebten Praxis.
Für Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) ist das sowieso kein Problem: „Wir haben 61 Millionen Fahrgäste jährlich und peilen bald 80 Millionen an. Wir sind mit Digi-P und Carsharing auf einem sehr guten Weg und haben von den 111 Maßnahmen des Luftreinhalteplans bereits eine Vielzahl umgesetzt und das trotz der Salzbachtalbrücke.“
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 06.08.2022 um 05:00 Uhr publiziert.