In den April geschickt: 68 Millionen Euro für Bobbahn?
Am Schläferskopf könnten künftig Kim Kalicki und andere Bobpiloten im Eiskanal starten? Natürlich nicht. Das war unser Aprilscherz.
Von Olaf Streubig, Torsten Muders und André Domes
Springen die Bobfahrerinnen und Fahrer (in unserem Bild ist die Wiesbadener Bobpilotin Kim Kalicki zu sehen) demnächst am Schläferskopf in den Schlitten?
(Foto: dpa)
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WIESBADEN - Der Schläferskopf könnte bald aus seinem Dornröschenschlaf erwachen: Nach Informationen dieser Zeitung plant die Landeshauptstadt gemeinsam mit zwei Investoren, rund um den 454 Meter hohen Berg eine Bobbahn und ein Sportzentrum zu errichten (lesen Sie nun das Ende des Textes).
Wie berichtet, stehen der denkmalgeschützte Turm und das frühere Restaurant seit 2017 leer. Die Suche nach einem Betreiber war in mehreren Anläufen erfolglos geblieben. Das Gelände und die Immobilien gehören der Landeshauptstadt, die nun ein umfangreiches Nutzungskonzept für das Areal sowie den angrenzenden Stadtwald erstellt hat. Die Sitzungsvorlage, unterzeichnet von Oberbürgermeister und Sportdezernent Gert-Uwe Mende (SPD), soll am kommenden Dienstag im Magistrat beschlossen werden.
Wiesbadener Wintersport-Tradition
Wiesbaden hat eine lange Tradition im Wintersport und verfügte einst auch über Sportstätten wie eine Skischanze zwischen Rambach und Naurod.
Nahe der Hohen Wurzel im Taunus war bis in die 60er Jahre eine Natur-Schlitten- und Bobbahn zu finden, auf der sogar deutsche Meisterschaften im Rodeln anno 1931 und 1956 ausgetragen wurden. Damals gehörte auch in vielen hessischen Schulen der Rodelsport zum Schulsport. Heute gibt es die nächste Bobbahn erst im rund 180 Kilometer entfernt liegenden Winterberg im Hochsauerland.
Im Jahr 2015 wurde bei Eintracht Wiesbaden eine Bobsportabteilung gegründet, für die unter anderem Olympiateilnehmerin Kim Kalicki startet.
Südkoreanischer Investor will die Bahn zehn Jahre betreiben
Das elfseitige Papier liegt der Redaktion in Auszügen vor und birgt einiges an Zündstoff: Ab dem Jahr 2026 soll vom höchsten Punkt des Bergs ein Eiskanal in südwestlicher Richtung hinab ins Tal führen. Die 1350 Meter lange Bahn soll für Bob- und Rodelsport sowie Skeleton nutzbar sein, sie wäre eine von dann vier wettkampftauglichen Bahnen in Deutschland.
Das Engagement für den Wintersport stellt eine überraschende Kehrtwende dar, nachdem die Landeshauptstadt sich zuletzt nicht einmal in der Lage sah, den Wiesbadener Bobsportlern eine Anschubbahn für Trainingszwecke zu realisieren. Ein Dutzend Athleten war deshalb nach Frankfurt gewechselt.
Ob sie nun wieder nach Wiesbaden zurückkehren, ist noch unklar. Die hessischen Bobsportler allgemein wie auch die Wiesbadener Bobpilotin und zweifache Vize-Weltmeisterin Kim Kalicki, die erst diese Woche ihrem Heimatverein Eintracht Wiesbaden die Treue gehalten hat, dürften auf alle Fälle über eine Bobbahn vor der eigenen Haustür erfreut sein.
Ob Wiesbaden sich damit für Weltcup-Rennen bewerben will, dazu möchte sich Oberbürgermeister Mende auf Anfrage nicht äußern. Er sei „äußerst irritiert, dass eine so bedeutende Sache mal wieder zuerst im Wiesbadener Kurier steht, ehe es in den politischen Gremien beraten wurde“. Er hofft, dass sein Vorhaben dadurch keinen Schaden nimmt. Zumal es das erste eigene Großprojekt des Oberbürgermeisters wäre. Mende sagt: „Nach dem bitteren Aus für den Ball des Sports wäre dieses Projekt die richtige Antwort der Sportstadt Wiesbaden.“
68 Millionen Euro soll das Prestigeprojekt kosten. Zur Erinnerung: Rund 65 Millionen Euro waren ursprünglich auch einmal für den Sportpark Rheinhöhe veranschlagt worden, in der Zwischenzeit geht man für Schwimmbad und Eisstadion von Kosten weit über 100 Millionen Euro aus.
Bei der Bobbahn soll das Budget auf keinen Fall überschritten und mit dem Bau bereits im Sommer 2023 begonnen werden. Investor sei ein südkoreanisches IT-Unternehmen, berichten Rathaus-Insider. Angeblich will der Geldgeber zwei Drittel der Baukosten tragen und die Bahn zehn Jahre lang auch selbst betreiben.
Mountainbiker sind empört
Erste Vergaben haben – dem Vernehmen ohne vorherige Ausschreibung – bereits stattgefunden: Ein Planungsbüro aus Oberhof (Thüringen) will das Kunsteis im Betonkanal durch klimaneutrale Wärmepumpentechnik kühlen, das Wasser soll aus dem Schläferskopfstollen kommen, der Strom von den neuen Windrädern auf dem Taunuskamm. Klare Vorstellungen gibt es auch bezüglich der Streckenführung. Diese sei „aufgrund der günstigen Erschließungsparameter alternativlos“, heißt es in der Begründung der Sitzungsvorlage. Der Eiskanal soll ausgerechnet über dem bestehenden Downhill-Trail für Mountainbikes verlaufen, der (noch) rund 1400 Meter lang ist. Die Strecke muss verändert und vor allem stark verkürzt werden, da Start- und Zielbereich des Eiskanals Raum benötigen. Auch Zuschauer und Medien brauchen Platz.
Noch ahnen die vielen Mountainbiker nicht, was ihnen droht. „So ein Beton-Monster in den Wald zu bauen, wäre ein Skandal“, sagt ein hochrangiges Mitglied der Gravity-Pilots. Aus Sorge vor militanten Wintersportfans will er seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Der Verein Gravity-Pilots hat die Strecke mit 12,8 Prozent Gefälle und vielen Hindernissen ehrenamtlich gebaut. Der Mountainbiker sagt: „Es handelt sich um ein Schutzgebiet gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Wir Mountainbiker achten auf den Lebensraum von Äskulapnatter und Wildkatze, aber die Bobfahrer machen fürchterlichen Lärm.“
Weniger Streit dürfte es über das ebenfalls geplante Sportzentrum auf dem Schläferskopf geben, das direkt neben dem markanten Kaiser-Wilhelm-Turm entstehen soll. Dessen Sanierung hat die Stadt zur Bedingung für einen Investor gemacht, ebenso den gleichzeitigen Betrieb von Ausflugslokal und Catering im Sportzentrum. Otto Barth (Taunus Wunderland, Winterstubb) wird als möglicher Interessent genannt. Nach Informationen dieser Zeitung soll Wirtschaftsdezernent Oliver Franz (CDU) bereits ein beschleunigtes Verfahren zugesichert haben.
Ausschreibungen und Interessenbekundungsverfahren für gehobene Gastronomie am Standort hatten mehrmals ohne Ergebnis geendet. Die über der Gaststätte mit dem historischen Kaiser-Wilhelm-Saal gelegenen Bereiche sollen nun ebenso wie die Untergeschoss-Wohnung für die Unterbringung von Athleten ausgebaut werden.
Doch nicht nur diese Leistungssportler können künftig den Eiskanal nutzen. Ein besonderer Clou und Besuchermagnet: „Es wird auch einen Gästebob geben, den Besucher buchen können. Damit werden wir Touristen aus dem In- und Ausland anlocken. Sogar aus Jamaika“, hofft Bürgermeister Oliver Franz. Auch ein Name ist für die Bahn bereits gefunden: Siebenschläferbahn, in Anlehnung an die possierlichen Nager, die am Berg leben.
178 Bäume sollen durch den „Hinterzimmer-Deal“ fallen
Deren Lebensraum wird allerdings um viele Bäume, größtenteils Fichten, ärmer. Insgesamt 178 Bäume sollen fallen. „Dagegen werden wir bis zur letzten Fichtennadel kämpfen“, zeigt sich Uta Brehm erbost. Die Vorsitzende der Wiesbadener Grünen und die Parteibasis sind stinksauer und schimpfen über eine „den Klimanotstand mit Füßen tretende Hinterzimmerpolitik“. Bitter, dass ausgerechnet Umweltdezernent Andreas Kowol (Grüne) den Deal mit eingefädelt haben soll: Er erhofft sich durch das Wintersport-Großprojekt nämlich einen weiteren Schub zur Reaktivierung der Aartalbahn. Deren Bahnhof Eiserne Hand liegt ganz in der Nähe.
Ja, die Vizeweltmeisterin im Zweierbob, Kim Kalicki, saust weiterhin für Eintracht Wiesbaden durch den Eiskanal. Und ja, die hessische Landeshauptstadt hat eine Wintersporttradition. Die Skisprungschanze am Kellerskopf gab es wirklich und auch die Deutschen Meisterschaften im Rodeln 1931 und 1956 haben wir uns nicht ausgedacht: Nahe der Hohen Wurzel gab es bis in die 60er-Jahre eine Natur-Schlitten- und Bobbahn. Dass es aber ab 2026 am Schläferskopf einen modernen Betonkanal mit Kunsteis nebst Sportzentrum geben soll, stellte den diesjährigen Aprilscherz der Redaktion dar. Für das fiktive 68-Millionen-Euro-Projekt werden folglich keine „Steuergelder verbraten“, wie ein aufgebrachter Leser schimpfte, auch die Investoren existieren nicht. Aufatmen also bei den Umweltschützern, dass keine 178 Fichten fallen, und bei den Mountainbikern, deren Abfahrt nicht verkürzt wird. Schade nur, dass der Dornröschenschlaf des Gebäudeensembles erst einmal bleibt.
Die in unserem Text am 1. April zitierten Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD), Bürgermeister Oliver Franz (CDU) und Grünen-Vorsitzende Uta Brehm hat die Redaktion vorgewarnt, den Text aber noch nicht verraten. Danke, dass sie den Spaß mitgemacht haben. „Leider steht nicht drin, dass der Strom für die Kältemaschinen aus den Windrädern am Taunuskamm kommt. Das war mein Angebot an die Grünen“, kommentiert Mende den Artikel mit einem Augenzwinkern.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 01.04.2022 um 08:00 Uhr publiziert.