Herausforderung Fußgängerzone: Wenn die Leute zum Einkaufen nicht mehr in die Stadt gehen
In zehn Jahren ist der Wiesbadener Mauritiusplatz auch abends ein Treffpunkt für ganz verschiedene Leute, mehrere Restaurants laden zum Bleiben ein.
Von Anke Hollingshaus
Lokalredakteurin Wiesbaden
In der Wiesbadener Innenstadt muss mehr geboten werden. Dann kommen auch die Menschen zurück. Foto: Sascha Kopp
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WIESBADEN - In zehn Jahren ist der Mauritiusplatz auch abends ein Treffpunkt für ganz verschiedene Leute, mehrere Restaurants laden zum Bleiben ein. Der Platz ist sicher und dort ist es sauber. Das ist die Wunschvorstellung von Andreas Steinbauer. Ob es tatsächlich so kommen wird, vermag auch der Fachmann für Gewerbeimmobilien nicht zu sagen. Jedenfalls, davon ist er überzeugt, werden die Innenstädte, speziell die Fußgängerzonen, künftig weniger fürs Einkaufen interessant, mehr fürs „Erleben“. Das besagen auch Veröffentlichungen der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA), wie Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel (CDU) betont. Zum Erleben braucht es aber auch kulturelle Angebote. Und die, so Steinbauers Wunsch, gibt es in Wiesbaden dann im Walhalla, hoffentlich auch in der Citypassage.
Aktueller Anlass, über die Zukunft zu debattieren, ist das Hin und Her um Esprit. Die Filiale des Bekleidungsherstellers bleibt ja, wie ausführlich berichtet, nun doch am Mauritiusplatz. Also alles wieder gut mit der Wiesbadener Einkaufswelt? „Nein“, sagt Steinbauer, gebürtiger Wiesbadener, der vor 32 Jahren sein Immobilienunternehmen gründete und den Überblick über die Eigentumsverhältnisse in der Wiesbadener Innenstadt hat. Ist nun ein Punkt erreicht, an dem die Mieten einfach nicht mehr steigen können, nachdem das Unternehmen Esprit eine wohl drohende Mieterhöhung nicht akzeptiert und mit dem Wegzug gepokert und sich letztlich gegenüber der Eigentümerin des Lorey-Hauses auch durchgesetzt hat? „Das ist keine Wiesbadener Frage. Schon im vergangenen Jahr sind die Gewerbemieten bundesweit in den Innenstädten und Fußgängerzonen um 2,6 Prozent gefallen“, weiß Steinbauer.
"Es gibt unheimlich viele Baustellen"
Und rechnet vor: Vor Jahren habe man die Kalkulation gehabt, dass etwa acht Prozent des Umsatzes für Mietkosten draufgehen. Heutzutage rechnet man mit mindestens zehn. Wenn man, mal angenommen, in einer 1a-Lage monatlich 15.000 Euro Miete für 100 Quadratmeter bezahlt, sind das 180.000 Euro Miete jährlich. „Dann muss ich schon einen Umsatz von 1,8 Millionen im Jahr machen, um das gut zahlen zu können. Dafür muss ich schon ganz schön viele Hosen und Pullover verkaufen.“ Nur bei entsprechender Kunden- und Kauffrequenz sei das überhaupt möglich. Diese geht aber zurück. Die Gründe sind bekannt: Online-Handel auf der einen Seite, ein fehlender Wohlfühlfaktor auf der anderen Seite.
90 Prozent sind Ketten
Die Fußgängerzone ist von Ketten dominiert. Das hat mit den hohen Mietpreisen zu tun, die in Wiesbaden in den 1-A-Lagen sehr stark variieren. Laut IHK-Gewerbemietspiegel liegen sie zwischen sieben und 140 Euro je Quadratmeter. Andere Quellen nennen für die Kirchgasse 120 bis 140, für die Langgasse 50 bis 100 Euro Miete je Quadratmeter, so IHK-Standortexperte Florian Steidl. In den 1-B-Lagen, zu denen die Gassen neben der Fußgängerzone gehören, liegen die Quadratmeterpreise bei Neuvermietungen zwischen 6,50 und 90 Euro.
Die Zahlen basieren auf einer Befragung von Maklern, Wirtschaftsförderern und Sachverständigen zu neu abgeschlossenen Mietverträgen im Juni 2016.
Für Wiesbaden gelte speziell: „Es gibt unheimlich viele Baustellen, die Vielfalt ist zurückgegangen. Uniformität zieht noch weniger Leute in die Stadt.“ Einerseits. Andererseits hält Steinbauer die Stadt für „durchaus wirtschaftlich gesund.“ Und das macht er fest an den gut besuchten Geschäften und Gastronomiebetrieben nur wenige Meter von Kirch- und Langgasse entfernt. Mauergasse und Ellenbogengasse zum Beispiel. „Inzwischen auch die Grabenstraße“, führt der Wiesbadener an. Da läuft‘s. Aber in der Mauergasse, weiß Steinbauer, „sind auch 80 Prozent der Läden inhabergeführte Geschäfte.“ Die Kirch- und Langgasse sind zu fast 90 Prozent von Ketten besiedelt. Florian Steidl, Standortexperte der Wiesbadener IHK, erwähnt die Nerostraße, in der in jüngster Zeit mehrere Cafés eröffnet haben. „Da tut sich Einiges.“
Eine ähnlich kleinteilige Aufteilung von Flächen ist in der Kirch- und Langgasse kaum denkbar. Dort gehören nahezu alle Häuser großen Fondsgesellschaften oder sind wie beispielsweise der Komplex Langgasse 52 bis 56, der Aachener Grund, komplett im Besitz der katholischen Kirche. Ob die Stadt auf die Entwicklung der Fußgängerzone Einfluss nehmen kann? Steinbauer findet schon und macht auch gleich Vorschläge: „Die hässlichen Pös‘schen Müllcontainer müssen weg.“ Sie blockierten sogar manchen Eingang.“ Außerdem, manchen Baumschützer wird dieser Vorschlag wurmen, müssten die großen Bäume weg. Sie nähmen nicht nur den Blick auf die Fassaden, sondern zögen auch Tauben an. „Wer will dann unter einem solchen Baum schon sitzen?“
Bewusstsein bei der Bevölkerung schaffen
Und für mehr Sauberkeit muss die Stadt auch sorgen, fordert Andreas Steinbauer. „Das ist möglich. Auf der Frankfurter Zeil sieht es so sauber aus wie in Singapur.“ Warum sollte das in Wiesbaden nicht gehen, fragt er sich. Wirtschaftsdezernent Bendel findet zwar auch, dass die Sauberkeit zu wünschen übrig lässt, betont aber: „Dort wird 13 Mal in der Woche gereinigt.“ Werde noch öfter sauber gemacht, werde dies auch für die Anlieger teurer. IHK-Geschäftsführer Gordon Bonnet verweist auch auf Frankfurt. Zwar sei auch dort nicht alles geglückt, aber man habe mit einer großen Kampagne und höheren Bußgeldern versucht, bei der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu schaffen, eben das Papiertaschentuch nicht einfach fallen zu lassen. Und direkt neben dem Mauritiusplatz, am seit Juni 2015 leer stehenden Bellwinkel-Haus, sehe es in Wiesbaden eben schlimm aus. Alte Plakate sind keine Zierde. „Und vor Kurzem hat dort sogar jemand seinen Hausmüll abgestellt.“
Die Stadt habe aber weitere Einflussmöglichkeiten. Sie könne zum Beispiel kleineren Unternehmen Flächen anbieten, findet Steinbauer. „In Pavillons, die für eine bezahlbare Miete zu haben wären. Damit sichert man Vielfalt.“ In anderen Städten gibt es so etwas bereits.
Vielfalt sei wichtig, andererseits sieht der Immobilienmakler es auch nicht als Katastrophe an, wenn sich Restaurantketten in den Fußgängerzonen ansiedelten. „So lange sie gute Qualität anbieten.“ Der Zulauf zum Beispiel für die Burgerkette „Hans im Glück“ an den Vier Jahreszeiten zeige doch, dass der Bedarf da sei.
Hoffen auf Walhalla und die Citypassage
Um auch abends, wenn die Fußgängerzone oft gähnend leer ist, wenn man mal von den Jugendlichen absieht, die sich rund ums McDonalds treffen, weitere Zielgruppen in die Stadt zu locken, „ist ein gutes Kulturprogramm nötig.“ Da hofft Steinbauer auf das Walhalla und auch auf die Citypassage. Und bringt die Idee von Kinos wieder ins Spiel, die vor vielen Jahren schon mal diskutiert wurde. „Es müsste sich dort aber wirklich bald etwas tun“, findet Steinbauer.
Es könnte sich im kommenden Jahr am Mauritiusplatz etwas tun. Nachdem man mit der „Winterstubb“ gute Erfahrungen gemacht hat, sagt Marketing-Chef Martin Michel, „könnte doch in der wärmeren Jahreszeit auch mobile Gastronomie auf den Mauritiusplatz kommen.“ Nostalgiker denken jetzt vielleicht an den Bratwurststand, der jahrzehntelang dort war. So ist es aber nicht gemeint. „Auch kein Fast Food“, meint Michel. Aber ein Angebot, das „auch Leute aus der Region anzieht, sich länger in der Stadt aufzuhalten.“ Dezernent Bendel hatte vor wenigen Tagen auch laut darüber nachgedacht. Aber gleich betont: „Es soll nicht der zehnte Backshop sein.“