WIESBADEN - Das Thema „Sucht“ ist schambehaftet. Und dennoch ließen sich viele Interessenten – Betroffene, Angehörige und Fachleute – vom Besuch des 4. Wiesbadener Psychiatrietages im Wiesbadener Rathaus nicht abhalten. Der Ferienzeit und dem schönen Spätsommerwetter zum Trotz. Bis zum Nachmittag führten die Vertreter zahlreicher Hilfseinrichtungen, die sich im Erdgeschoss des Rathauses präsentierten, „viele gute Gespräche“, zeigte sich Daniela Hirsekorn von der Koordinationsstelle Gemeindepsychiatrie zufrieden mit dem Zuspruch. Im Fokus der ganztägigen Veranstaltung, bei der die Besucher alkoholfreie Cocktails und Suppe genießen konnten, standen Vorträge zur Drogensucht und Alkoholmissbrauch, thematisiert wurden ferner die Internet- und Spielsucht sowie die Kaufsucht.
„Sucht ist ein Thema, bei dem wir alle lügen“, konstatiert die Psychiaterin Hirsekorn nüchtern. Und es bekannten sich auch nur wenige Zuhörer im gut besuchten Stadtverordnetensitzungssaal zu ihrer Alkoholsucht – ein Umstand, den Stephan Bieker von der Präventionstheatergruppe „RequiSiT“, das seine Stücke zur Alkoholprävention auch in Schulen aufführt, nicht verwundert haben dürfte. Der Schauspieler, der eine (und damit auch teils seine eigene) Trinker-Geschichte in mitunter drastischen Bildern als Monolog schilderte, hatte für alle seine konzentriert zuhörenden Gäste eine Botschaft: „Es gibt immer einen Ausweg“. Selbst dann, „wenn man selbst nicht mehr daran glaubt“.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums konsumieren 9,5 Millionen Deutsche Alkohol „in gesundheitlich riskanter Form“, etwa 1,3 Millionen Menschen gelten als alkoholabhängig. „Die Sucht kann man in den Griff kriegen, die Abhängigkeit bleibt ein Leben lang“, erklärt Bieker dem Publikum und lässt es teilhaben an einem Kreislauf aus Alkoholexzessen, Phasen der Trockenheit, der Entfremdung von den Kindern, Depressionen und Suizidgedanken. Bis hin zum Suizidversuch.
Vortrag teils als Rollenspiel gestaltet
„Er hat schon wieder…“ hatten der Arzt Carlo Schmid (Fachambulanz der Fachklinik Schloss Falkenhof und die Diplompsychologin Iris Roth (Fachambulanz für Suchtkranke des Caritasverbandes) ihren teils als Rollenspiel gestalteten Vortrag überschrieben. Das Szenario bildet die klassische Situation eines (scheinbar) erfolgreichen Entzugs – bis die Ehefrau dann erneut den im Keller versteckten Alkohol entdeckt. Schmid bestätigte den seit zweieinhalb Jahren trockenen Schauspieler, dass Familie und Freunde als „Belohnungssystem“ von immenser Bedeutung für einen erfolgreichen Entzug seien. Sonst drohe der Griff zur Flasche, um sich zu belohnen. Oder die Frustration erträglicher werden zu lassen.
Den Beobachtungen des Gesundheitsamtes zufolge kiffen immer mehr Jugendliche, die unter psychischen Probleme leiden. Dem Cannabis-Missbrauch Jugendlicher widmet sich der Film „Half Nelson“, der am Donnerstag, 19. Oktober (20 Uhr) in der Caligari Filmbühne gezeigt wird. Nach Ansicht Hirsekorns ein sehr sehenswerter Film, der deutlich macht, dass der Konsum von Drogen alles andere eine Lösung für psychische Probleme ist.