Vor mehr als 20 Jahren ist Anne D. in ihrer Badewanne gestorben. Die Staatsanwaltschaft spricht von Mord. Vor Gericht stützt jetzt ein Gutachter diese These.
WIESBADEN/LORCH - „Mit einem einfachen Sturz lassen sich diese Verletzungen an der Toten nicht erklären“, sagt Klaus Püschel. Eine der wenigen Aussagen, bei denen sich am Montag der Gutachter festlegen will. Es seien zu viele frische Verletzungen gewesen, und an den unterschiedlichsten Stellen des Körpers. Es sind gerade auch Verletzungen am Hals der Toten, die schlüssig erklärt werden wollen. Es ist der Körper von Anne D. die in der Nacht zum 24. Oktober 1997 tot in der Badewanne des Hauses Wispergrund 11 in Lorch gefunden worden war. Ein ungeklärter Todesfall.
Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Uniklinik Hamburg, gilt als Koryphäe, wenn es um Todesfälle in der Badewanne geht. Bekanntheit hatte er erlangt, als er 1987 mit dem CDU-Politiker Uwe Barschel befasste, der unter ungeklärten Umständen tot in der Badewanne eines Genfer Hotels gefunden worden war.
Von Püschel hatte sich vor über 20 Jahren die Wiesbadener Staatsanwaltschaft Erkenntnisse erhofft im Todesfall der Anne D.. Was könnte sich abgespielt haben, dass die 32-Jährige ertrunken ist? War es Mord, wie die Staatsanwaltschaft nach über 20 Jahren dem Ehemann Michael D. und seiner damaligen Geliebten Kathleen B. vorwirft? Seit Mitte Januar müssen sich der Ex-Polizist und seine Lebensgefährtin vor der Schwurgerichtskammer des Wiesbadener Landgerichts verantworten. Die Anklage fußt darauf, dass bei einer neuerlichen Auswertung der alten Spuren vom linken Oberarm der Toten DNA-Material der Geliebten gefunden worden war.
Ganz unspektakulär folgt am Montag eine mögliche wissenschaftliche Erklärung: Es könnte ein „Sekundärtransfer“ sein, eine Übertragung beim Schäferstündchen von der Geliebten auf Michael D., der dann wiederum Stunden später bei dem, was er „Abschiedsgeste“ nennt, seine tote Frau berührt haben will.
Viel anschaulicher gestalten sich aus Sicht der Zuhörer in dem auch am fünften Verhandlungstag voll besetzten Saal die Erklärungsvarianten für Art und Verteilung der an Annes Leiche festgestellten Verletzungen vom Kopf bis zu den Füßen. Bei der äußeren Spurenlage im Badezimmer drängt sich ein größeres Sturzgeschehen nicht auf.
Weil ein einfacher Sturz die Verletzungen nicht erklärt, werden am Montag praktisch mögliche und auch nur theoretisch denkbare Szenarien eines „mehrstufigen Sturzgeschehens“ erörtert. Wie und wo könnte Anne in die Wanne eingestiegen sein? Wie könnte sie ausgerutscht und wo mit welchem Körperteil angeschlagen sein? Sie müsste die wildesten Verrenkungen angestellt haben. Sicher steht nur fest: Tod durch Ertrinken, und: „Das ist hier kein normales Untersinken einer Person“, meint Püschel, was seine Kollegin Hannelore Held von der Rechtsmedizin in Frankfurt unterstreicht. Held sagt auch, „dass bei einem ungebremsten Sturz mit größeren und anderen Verletzungen zu rechnen wäre“. Die Gesamtumstände der Spuren lassen sich problemlos mit einer ganz anderen Erklärung in Einklang bringen, wie die Sachverständigen ausführen: Anne könnte gepackt und unter Wasser gedrückt worden sein. Mord. „Auch das erklärt einen Teil der Verletzungen“, sagt Held. Die Spuren am Hals, durch einen Sturz kaum erklärbar, könnten beim Würgen entstanden sein.
Fortsetzung Mittwoch 9 Uhr