In der Familienbildungsstätte entdecken die Kinder seit 60 Jahren gemeinsam spielerisch die Welt. Fotos: Ev. Familien-bildungsstätte Wiesbaden
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WIESBADENEs waren die evangelischen Frauen der Lutherkirchengemeinde, die damals fanden, dass Frauen mit Kindern in der Alltagsbewältigung Unterstützung brauchten. Sie gründeten 1958 die "Evangelische Mütterschule" in der Burgstraße, die damals im Bereich Säuglingspflege und Geburtsvorbereitung in Wiesbaden Pionierarbeit leistete. Heute feiert die Evangelische Familien-Bildungsstätte, mittlerweile im Haus an der Marktkirche beheimatet, ihren 60. Geburtstag.
Schon 1968 wurden die Räume in der Burgstraße zu klein, die "Mütterschule" zog in die Emser Straße um und wurde umbenannt in "Haus der Familie - Ev. Mütterschule Wiesbaden". 1971 wurden die ersten Spielkreise für Mütter und Kinder angeboten, um, wie es damals hieß, "die Kleinfamilie aus ihrer Isolierung herauszulösen".
Bis heute sind diese Spielkreise Bestandteil im Angebot der Familienbildung. Geändert haben sich dabei nur die Schwerpunkte: Während früher einfach das Beisammensein mit dem Kind und der Austausch der Mütter im Vordergrund standen, wünschen sich Eltern heute eher eine gezielte Förderung etwa in den Bereichen Musik, Kreativität und Bewegung.
ZAHLEN KOMPAKT
Die Evangelische Familienbildungsstätte Wiesbaden (FBS) wurde 1958 in der Burgstraße gegründet. 1968 zieht sie in die Emser Straße 3. Seit 2010 ist sie im Haus an der Marktkirche am Schlossplatz beheimatet. In der FBS Wiesbaden sind derzeit 14 Mitarbeiterinnen beschäftigt. Dazu kommen mehr als hundert Honorarkräfte für Kursleitungen.
Bis Ende 2017 war die FBS in Trägerschaft des "Verbandes Evangelischer Frauen in Hessen und Nassau". Seit dem 1. Januar ist das Evangelische Dekanat Wiesbaden der Träger. Die FBS ist in 14 evangelischen Kirchengemeinden des Dekanats - vom Rheingau bis nach Wallau - mit ihren Angeboten aktiv. Sie zählt jährlich zwischen 6000 bis 7000 Teilnehmende.
Für FBS-Leiterin Betina Seibold ist aber noch ein weiterer Unterschied wesentlich: "Früher haben wir die Familien mit unseren Angeboten mindestens drei Jahre stabil begleitet. Heute ist es kaum mehr als ein Jahr. Das Thema Zeit und Zeitknappheit spielt in den Familien eine große Rolle." Hinzu komme, dass die institutionalisierte Betreuung durch Kindertageseinrichtungen enorm gewachsen sei und die Eltern wieder früh in ihren Beruf zurückkehrten.
"Angebote für die gesamte Familie wie Kanufreizeiten oder Kreativangebote wie die Weihnachtswerkstatt haben wir seit Jahren nicht mehr im Programm", so Seibold. Dafür werde der Bereich Gesundheit, Ernährung, Bewegung und Entspannung stark nachgefragt.
Und noch ein Jubiläum: Seit 20 Jahren bietet die FBS die Tagesmüttervermittlung in Kooperation mit dem Amt für Soziale Arbeit an: "Früher war die berufstätige Frau eine Ausnahme, heute ist es die Regel. Die Eltern wollen einfach wissen: ,Wie kriege ich das organisatorisch hin?' - und darauf reagieren wir mit unserem Angebot", sagt Seibold.
Die ersten Kurse für Väter und Hausmänner
Familienbildung spiegelt immer den gesellschaftlichen Zeitgeist wider und ist deswegen zwangsläufig dynamisch. Das ist für Betina Seibold, die selbst seit 1992 in dem Bereich arbeitet und seit 2005 Leiterin der FBS ist, nichts Neues. Während es in den 60er und 70er Jahren vor allem um die Themen Kinder, Küche, Kirche ging und die Zielgruppe ausschließlich Frauen, vor allem Hausfrauen, waren, fällt 1983 das Wort Mütterschule im Namen komplett weg. Es werden die ersten Kurse für Hausmänner und Väter angeboten. Und die FBS ist die erste Einrichtung in Wiesbaden, die einen Säuglingspflegekurs für Väter anbietet.
Heute gehen die Männer und Väter auf dem Flur der FBS ein und aus - auch wenn nach wie vor der größere Teil der Kursteilnehmer Frauen sind. Und nach wie vor gehören auch Näh-, Koch- und Kreativkurse zum Kurs-Repertoire.
Die Jahre 1989 bis 1998 sind von einem gesellschaftlichen Wandel geprägt, jede dritte Ehe wird geschieden. Die Themen Trennung, Ehescheidung, Stieffamilien und Alleinerziehende spielen nun auch im Programm der FBS eine Rolle. Mit dem gesellschaftlichen Wandel bricht das traditionelle Familienbild auf, und bis heute finden Familien aller Art - Alleinerziehende, Geschiedene, Geflüchtete, Eltern in prekären Lebenssituationen, Regenbogen- und Patchworkfamilie - in der FBS Begleitung und ein Forum zum Austausch.
Auch wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gewandelt haben, nehmen die Mitarbeiterinnen der Familienbildungsstätte dennoch wahr: "Die Begleitung der Eltern am Anfang des Lebens ihres Babys - das ist im Kern über die Jahrzehnte eigentlich gleich geblieben. Heute benennen wir manches nur anders."