Asyl: Ein mutmaßlicher tunesischer Terrorist und etliche Taliban-Kämpfer bleiben vorerst in Hessen
Er hat sich in Syrien der Terrororganisation „Islamischer Staat“ angeschlossen, pflegte unter anderem Kontakte zu den Drahtziehern der Terroranschläge von Paris. Dennoch darf der Terrorverdächtige Haikel S. in Deutschland bleiben. Denn in seinem Heimatland warten Folter und Todesstrafe auf ihn.
Von Christoph Cuntz
Redakteur Politik
Am 1. Februar endeten monatelange Ermittlungen gegen Haikel S. mit einer Razzia auch in einer Frankfurter Moschee. Der Tunesier sitzt seither in Untersuchungshaft. Archivfoto: dpa
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WIESBADEN - Unter afghanischen Flüchtlingen steht derzeit der „Taliban-Trick“ hoch im Kurs. Er basiert auf der Einschätzung, dass die Verfolgung durch deutsche Strafverfolgungsbehörden das weitaus angenehmere Los ist im Vergleich zu einer Abschiebung ins Heimatland. Jedenfalls geben immer mehr junge Afghanen an, sie seien gegen ihren Willen von den Taliban rekrutiert worden, hätten sich aber mittlerweile von den Islamisten distanziert und seien deshalb geflohen. Mit dieser Begründung bekommen sie in Deutschland zwar kein Asyl. Aber sie werden nicht abgeschoben. Denn zurück in Afghanistan drohen ihnen Folter, vielleicht sogar die Todesstrafe.
Der Trick hat Erfolg, wie der Fall Haikel S. zeigt. Der 36-Jährige ist zwar kein Afghane, vielmehr Tunesier. Aber abgeschoben werden kann auch er nicht, wiewohl er „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ eine Gefahr für die Allgemeinheit und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt, wie das Verwaltungsgericht Frankfurt urteilte.
Kontakte zu den Drahtziehern der Terroranschläge von Paris
Haikel S. hatte sich in Syrien der Terrororganisation „Islamischer Staat“ angeschlossen, war danach über die angeblich geschlossene Balkan-Route nach Frankfurt gekommen. Hier notierten die Sicherheitsbehörden, die ihn monatelang im Visier hatten, sein Verhalten lasse auf „kriminelle Professionalität“ schließen, er gehöre wohl einer Medien- und Cybereinheit der Terroristen an.
Die Regeln
Nach dem Aufenthaltsgesetz kann ein Ausländer, der in Deutschland Asyl beantragt hat, abgeschoben werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet.
Ausländer dürfen nicht abgeschoben werden, wenn sie dadurch der Gefahr der Folter ausgesetzt sind. Das regelt unter anderem Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Haikel S. pflegte Kontakte zu den Drahtziehern der Terroranschläge von Paris, chattete mit den Spitzen von IS und Al Qaida. Ein ernst zu nehmender Informant wusste sogar zu berichten, der Tunesier plane einen Anschlag. Und die Polizei hatte beobachtet, wie seine Komplizen Gegenstände kauften, die zum Bau von Bomben verwendet werden können.
Bundespolizei holt Tunesier aus dem Flugzeug - kurz vor der Abschiebung
Fazit der monatelangen Ermittlungen: Als Terror-Verdächtiger sollte er nach Tunesien abgeschoben werden. Um 9.30 Uhr sollte der Flieger starten. Doch um 9.11 Uhr beantragte sein Anwalt Asyl: Die Bundespolizei holte ihn aus der Maschine, die schon auf dem Rollfeld stand.
Seither lebt der mutmaßliche Terrorist zwischen Baum und Borke: Asyl hat er zwar nicht erhalten. Doch hat das Verwaltungsgericht jetzt seine Abschiebung an Bedingungen geknüpft: Erstens müsse Tunesien garantieren, dass Haikel S. nicht zum Tode verurteilt wird. Zweitens müsse die deutsche konsularische Vertretung in Tunesien jederzeit ungehinderten Zugang zu dem 36-Jährigen haben, solange sich dieser in Haft befindet. Drittens müsse sein Anwalt das Recht haben, bei Vernehmungen anwesend zu sein. Denn in tunesischen Gefängnissen sei Folter „noch kein überwundenes Problem“. In diesem Fall könne sie nicht ausgeschossen werden, weil Haikel S. auch in Tunesien bezichtigt werde, Mitglied einer Terrorzelle zu sein.
Bei hessischen Strafverfolgungsbehörden hält man die Bedingungen des Gerichts für unerfüllbar: Sie stellten einen für den tunesischen Staat nicht akzeptablen Eingriff in die hoheitlichen Rechte dar.
Bleibt der 36-Jährige aber in Hessen, ist es zweifelhaft, ob die hier gesammelten Beobachtungen und Indizien für eine nennenswerte Verurteilung reichen. Er war zwar mehrfach gegen seine Frau gewalttätig geworden, hatte sie am Hals gewürgt. Das aber reichte gerade für eine Geldstrafe.
Anwalt nennt Vorwürfe „bloße Spekulationen“
Dann gibt es noch die Detailaufnahmen von IS-Opfern im Augenblick ihrer Hinrichtung, die bei ihm gefunden worden waren. Oder die zahlreichen Tarnnamen, die er sich gegeben hatte. Doch sein Anwalt argumentiert schon jetzt, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien nicht belegt und bloße Spekulation. Kommt er aber wieder frei, müsste er als Gefährder rund um die Uhr beschattet werden.
Der Trick könnte also klappen, die Rechnung aufgehen: Wer in einem anderen Land mit Todesstrafe oder Folter bedroht ist, kann in Deutschland bleiben – unabhängig von den Straftaten, die er zu verantworten hat. Das gilt möglicherweise auch für die jungen Afghanen, die sich jetzt als Taliban geoutet haben. Wie viele von ihnen in Hessen Asyl beantragt haben, wollte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht sagen: Dies sei Verschlusssache.