Essity-Papierwerk: Richtung „Netto Null” beim Klimagas

aus Energiekrise

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Essity hat einen Durchbruch erzielt: Als nach eigenen Angaben erstes Unternehmen der Papierindustrie ist es gelungen, eine Papierrolle CO2-frei herzustellen. Der Werksleiter Thorsten Becherer und der Projektleiter Christian Schüller geben einen Überblick über das erfolgreiche Pilotprojekt. © hbz/Jörg Henkel

Das Essity-Papierwerk in Kostheim produziert nun Papier verstärkt klimagasfrei mit Wasserstoff. Wie das Unternehmen die Energiewende vorantreibt.

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WIESBADEN. Im Essity-Papierwerk in Kostheim ist das Wasserstoff-Zeitalter angebrochen. Andere redeten nur über die Energiewende: "Wir machen sie", sagt der Werksleiter Thorsten Becherer. Am Valentinstag im Februar kam der erste Schwung klimagasfrei produziertes Papier auf die Rolle. Bei Anlagen wie dieser in Kostheim müsse man das Windrad gleich mitdenken, sagte der Wirtschaftsminister Tarek al Wazir (Grüne). In einer Feierstunde präsentierte der schwedische Konzern den Erfolg beim Umstellen der Feuerung von Erdgas auf Wasserstoff.

Es sei eine bahnbrechende Innovation, sagte Christian Schüller, Manager für eine klimagasfreie Produktion. Das Werk Kostheim sei weltweit das erste und konzernweit das einzige, das diesen Schritt in Richtung "Netto Null" beim Klimagas gehe. Essity sei Marktführer und habe den Anspruch, die Zukunft zu gestalten, sagte Werkleiter Becherer.

Noch wird mehr Erdgas verwendet

Noch ist es nicht so weit mit dem 100-Prozent-Eintritt in die postfossile Ära. Die Firma tastet sich an das Ziel heran. Sie befeuert ihr Kraftwerk sowie eine große Papiermaschine mit Gemisch. Der Anteil an Erdgas ist noch höher als der an Wasserstoff. Die nassen Papierbahnen schießen mit über 100 Stundenkilometern aus der Maschine. Sie müssen in Bruchteilen von Sekunden trocken sein, unter Einsatz von Unmengen von Energie. 500 Grad heiße Luft tritt aus dem Gebläse. Schritt für Schritt soll jetzt der Gaseinsatz vermindert werden. "Es funktioniert ohne einen Verlust an Qualität", sagte der Energiemanager Schüller. Zum Beweis hing eine Bahn kohlendioxid-frei hergestelltes Papier an der Wand. Auch bei einer Werksbesichtigung lag einiges an Material an der Papiermaschine zum Befühlen bereit.

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Essity arbeitet in einem Verbund mit den Schott-Glaswerken sowie dem Mainzer Energiepark als großem Lieferanten. Untereinander würden Informationen ausgetauscht. Wenn einer nicht mehr weiter wissen, helfe der andere aus. "Und wenn Dritte uns kopieren wollen, ist es uns nur recht", sagte der W erkleiter.

Bei der Feierstunde wurde der Aufbau eines regionalen Wasserstoff-Netzes mit Essity, dem Industriepark Höchst und dem Flughafen gefordert. Ein Europa-weites Netz sei für 2034 avisiert. "So viel Zeit haben wir nicht", sagte der Werksleiter im Hinblick auf den Schutz des Klimas. Die Papierfabrik werde vorab eine Elektrolyseanlage zum Erzeugen von Wasserstoff aufbauen. Der Strom komme dann nicht von Windrädern, sondern aus Fotovoltaik.

Förderung vom europäischen Regionalfonds

An Essity könne man sich ein Beispiel nehmen, sagte der Wirtschaftsminister Al Wazir. Hessen sei stolz auf solche Innovationen. Das Land habe die größte Bahnflotte, die von Brennstoffzellen angetrieben wird. Der erste Spatenstich für eine Anlage zum Herstellen von synthetischem Kerosin stehe mit Blick auf den Flughafen bevor. Lösungen für klimagas-freie Produktionen fielen nicht vom Himmel, sie müssten entwickelt werden. Das sei in Zeiten von Flutkatastrophen, Dürren und sinkenden Flusspegeln und politischer Erpressung dringlich.

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Essity investiert in das Umstellen auf Wasserstoff-Feuerung vier Millionen Euro. Der europäische Regionalfonds fördert das Pilotprojekt mit 1,4 Millionen Euro. Das Unternehmen arbeitet seit über fünf Jahren an dem Verfahren und an der Infrastruktur. Am Portal entstanden eine Station zum Andocken von Tankwagen sowie eine Mischstation. Außerdem wurden kilometerlange Rohre gezogen sowie neue Brenner installiert. Wasserstoff setzt mehr Hitze als Erdgas frei, die Materialien müssen danach ausgerichtet sein. Die Energiewende im Papierwerk sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, begleitet von Rückschlägen und manchen Versuchen, sie der Firma auszureden. Mit Hartnäckigkeit sei man vorangekommen, stehe noch nicht am Ziel.

Essity stellt Hand- und Wischtücher aus Altpapier her. Neben der reinen Herstellung sollen auch alles Vor- und Nachgelagerte klimagas-frei werden. Essity habe ein großes Verteilzentrum bei den Nachbarn in Gustavsburg. Es werde an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr im Pendelverkehr mit Lastwagen mit Material aus Kostheim bestückt. "Da kommen viele Kilometer zusammen", sagte der Werksleiter. Angestrebt werde das Umstellen der Verbrenner- auf eine Elektroflotte.