Dienstag,
29.01.2019 - 02:00
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Landgericht Wiesbaden setzt Indizienprozess um den Tod einer jungen Frau fort

Von Wolfgang Degen
Lokalredakteur Wiesbaden
WIESBADEN/LORCH - Von Außen betrachtet erscheinen die Antworten der Angehörigen in ihrer Summe als emotionales Bollwerk. Und das soll nicht durchdrungen werden. „Für uns war und ist es ein Unglücksfall gewesen,“ sagt der Bruder des Angeklagten Michael D. am Montag. Was denn sonst sollte es gewesen sein? Und überhaupt: „So genau habe ich da nicht gefragt“. In über 21 Jahren will kein anderer Gedanke bei ihm auch nur ganz sachte angeklopft haben – hey, könnte es auch anders gewesen sein? Schwer vorstellbar, dass sich keine Fragen aufgedrängt haben sollen. Das emotionale Bollwerk erklärt auch, dass so manches in der Zeugenaussage allzu gefällig als Entlastung erscheint. Es geht um den Tod von Anne D., die 32-Jährige wurde am 24. Oktober 1997 in Lorch in der Badewanne des Einfamilienhauses gefunden. Ein ungeklärter Todesfall. Es müssen, ob man als Bruder des Angeklagten nun will oder nicht, andere Gedanken zugelassen werden, denn der Ex-Polizist Michael D. und seine damalige Geliebte und spätere Lebensgefährtin Kathleen B. müssen sich seit Mitte Januar vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts verantwort. Angeklagt des Mordes aus Habgier, heimtückisch begangen. Anne sei betäubt, dann in die Badewanne gelegt und ihr Kopf unter Wasser gebracht worden, so die Staatsanwaltschaft. Anne D., Mutter eines kleinen Jungen, war ertrunken. Es ist ein Indizienprozess, und dass er überhaupt stattfindet, ist den seit 1997 immer weiter verfeinerten Möglichkeiten der DNA-Auswertung zu verdanken. Auf einer der Folien, mit der damals der Körper der Toten routinemäßig abgeklebt worden war, um Faserspuren zu sichern, wurde nach Jahrzehnten DNA-Material entdeckt – DNA von der damaligen Geliebten. Bei welcher Gelegenheit konnte diese Spur auf den Oberarm der Ehefrau gelangt sein? Die Ermittler hatten seit dem Auffinden der Toten ein Bauchgefühl: Einiges schien nicht zusammenzupassen. „Es war kein alltäglicher Fall“, erinnert sich der Beamte, der am Morgen des 24. Oktober 1997 die Spurensicherung vorgenommen hatte. „Ein Unfall schien mir am unwahrscheinlichsten“, fasste er seine Einschätzung zusammen. Auch einen Suizid schloss er eher aus. „Es gab für mich Verdachtsmomente, dass ein Tötungsdelikt vorliegen könnte“. Dann sei aber nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft die Anweisung gekommen, dass Michael D., Polizist in Rüdesheim, als Zeuge und nicht als Beschuldigter, und das Badezimmer nicht als Tatort zu behandeln sei. Ein dann doch gegen ihn eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde später eingestellt. Ein Verdacht ließ sich nicht weiter erhärten. Der Fall schien ungeklärt.
Der Verdacht schwebte weiter, all die Jahre. Damit mussten die Familien leben – die der Toten, die immer Gewissheit haben wollte, unter welchen Umständen Anne in der Wanne ertrunken ist, und die ihres Ehemannes. „Hoffentlich kommt die Wahrheit ans Licht“, soll Michael D. in jener Nacht im Wohnzimmer gesagt haben. Sagt das ein völlig verzweifelt Wirkender, der kurz zuvor seine Frau tot in der Wanne gefunden haben will? „Dieser Ausspruch hat mich stutzig gemacht“, sagt am Montag der damalige Leiter der Polizeistation Rüdesheim. Der Witwer sei ihm in seiner Verzweiflung und in seinem Jammern ein bisschen „theatralisch“ vorgekommen.
Fortsetzung 1. 2., 9 Uhr