Ein Stolperstein erinnert in Eltville an Elisabeth Berg
Die Gedenkquader aus Messing sind NS-Opfern gewidmet. Zu ihnen gehört eine Eltvillerin, die zuerst in die Klinik auf dem Eichberg eingewiesen und später in Hadamar ermordet wurde.
Elisabeth Berg kam 1935 in die Klinik auf dem Eichberg, sechs Jahre später wurde sie in Hadamar ermordet. Seit Kurzem erinnert in Eltville ein Stolperstein an ihr Schicksal.
(Foto: Helmut Fell)
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ELTVILLE - (red). „Wir wissen nicht, warum unsere Großmutter auf den Eichberg kam“, sagt Rosemarie Zindel. Für ihre Großmutter, Elisabeth Berg, geborene Kremer, hat Gunter Demnig, der Initiator der Stolpersteine, unter großer Beteiligung der Familie unlängst am Petersweg 3 in Eltville einen solchen Gedenkstein verlegt. Mit den Messingsteinen erinnert der Künstler an die Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Die Steine werden am letzten regulären Wohnort der Betroffenen verlegt. Zu diesen Opfern gehörte auch Elisabeth Berg, die 1935 in die Klinik auf dem Eichberg eingewiesen wurde. Verheiratet war sie mit Michael Berg, sie hatten eine Tochter, Justina Berg. Rosemarie Zindel und Karlheinz Zindel, die das Schicksal Elisabeth Bergs und die von Ungewissheit geprägte Situation der Familie beschreiben, sind die Enkelkinder der Ermordeten. Rosemarie Zindel erzählt, dass sie mit der Trauer ihrer Mutter Justina, ohne Mutter aufgewachsen zu sein, groß geworden sei. Justina habe den Beistand ihrer Mutter schmerzlich vermisst.
Enkelin der Ermordeten stellt Nachforschungen an
Michael Berg besuchte seine Frau, die fünf bis sechs Jahre in der Psychiatrie auf dem Eichberg war, jeden Sonntag mit seiner Tochter Justina. Seine Frau, von Beruf Schneiderin, sprach nicht mehr, schaute sich aber das Kommunionkleid, das Justina bei einem Besuch trug, genau an. In der Familie wurde darüber gesprochen, was Elisabeth Berg widerfuhr. Und die Großväter väterlicher- und mütterlicherseits opponierten. Nach einigen Jahren auf dem Eichberg wurde Elisabeth Berg, Jahrgang 1902, nach Hadamar verlegt, wo sie 1941 getötet wurde. Ihre Tochter Justina war damals gerade zwölf Jahre alt. Michael Berg war klar, was seiner Frau in Hadamar angetan wurde. Auch in Eltville wusste man, was auf dem Eichberg passierte: Denn man sah die grauen Busse, die mit verhängten Fensterscheiben durch Eltville nach Hadamar fuhren.
Von diesen Erfahrungen und den Erzählungen ihrer Mutter in Kindheit und Jugend geprägt, stellte Rosemarie Zindel Nachforschungen über das Schicksal ihrer Großmutter an. Die Stationen der Suche waren die Klinik und Gedenkstätte Hadamar, die Klinik auf dem Eichberg und das Staatsarchiv Wiesbaden. Nach der Wiedervereinigung gab es die Möglichkeit, noch vorhandene Krankenakten, die ursprünglich Bestandteil der Stasi-Akten waren, in Berlin-Hoppegarten einzusehen. Vor Kriegsende hatten die Nazis noch versucht, so viele Akten wie möglich zu vernichten. So verbrachte Rosemarie Zindel einen ganzen Tag damit, 500 Krankenakten von Patienten des Eichbergs, die in Hadamar getötet worden waren, einzusehen – allerdings fand sich die Akte ihrer Großmutter nicht. Auch ein Nachforschungsantrag blieb ohne Erfolg.
Elisabeth Berg kam 1935 in die Klinik auf dem Eichberg, sechs Jahre später wurde sie in Hadamar ermordet. Seit Kurzem erinnert in Eltville ein Stolperstein an ihr Schicksal. Foto: Helmut Fell
Elisabeth Bergs Enkelin Rosemarie Zindel (zweite von links), mit den Initiatorinnen des Stolperstein-Projekts in Eltville Waltraud Wolter (links) und Brigitte Scheu sowie dem Historiker Sebastian Koch. Foto: Helmut Fell
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In den 1990er Jahren wurde in Hadamar für Mediziner eine Tagung angeboten, welche die Euthanasiemorde zum Thema hatte. Rosemarie Zindel, selbst Juristin, war mit einem Arzt verheiratet und fuhr an seiner Stelle zu der Tagung. Hier erfuhr sie Einzelheiten über die Todesmaschinerie der Nazis, bekam Hintergrundinformationen, beispielsweise über die Umstände der Auswahl und über die Festlegung der Todesursache. Bei ihrer Großmutter war es angeblich eine „akute Hirnschwellung“, an der sie „plötzlich und unerwartet gestorben“ sei, wie die Todesnachricht vom 30. Januar 1941 aus der „Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar“ an Michael Berg gelautet hatte. Hier erfuhr sie auch, dass ihre Großmutter im ersten oder zweiten Transport gewesen war, der vom Eichberg nach Hadamar gegangen war.
Berg taucht auf Liste israelischer Organisation auf
Justina Zindel bekam später eine kleine Entschädigung. Geld kann das Unrecht, die Demütigung und Entwürdigung in keiner Weise wiedergutmachen. Darum ging es ihr auch nicht. Für sie war es eine späte Anerkennung dessen, dass ihrer Mutter größtes Unrecht geschehen war und auch ihr Leid zugefügt wurde.
„Im Mai 2003 las ich einen Zeitungsartikel, dass eine Liste von Euthanasieopfern von einer israelischen Organisation, der IAAPA, ins Internet gestellt worden sei. Auf dieser Liste fanden wir den Namen unserer Großmutter“, berichtet Karlheinz Zindel. Aufgrund der unermüdlichen Nachforschungen der Familie und der Ergebnisse des Historikers Sebastian Koch, der die Recherche für die Stolpersteine in Eltville übernommen hatte, konnte jetzt ein Gedenkstein für Elisabeth Berg gesetzt werden. Die Patenschaft, welche die Pflege des Steins beinhaltet, hat die Familie selbst übernommen. Unter den Euthanasieopfern, für die in Eltville ein Stolperstein verlegt wurde, ist Elisabeth Berg die Einzige, über die es Informationen gibt.
Auf Antrag von Grünen und CDU hatte die Eltviller Stadtverordnetenversammlung im März 2015 beschlossen, mit Stolpersteinen an NS-Opfer zu erinnern. An bislang drei Terminen hat der Künstler Gunter Demnig die Gedenksteine in Eltville und den Stadtteilen verlegt, zuletzt 13 Exemplare am 23. Oktober. Sie sollen die Erinnerung wachhalten – verbunden mit der Aufforderung, wachsam zu sein, dass so etwas nie wieder passiert. „Die Grundlagen dafür, dass Ausgrenzung, Abwertung, Entwürdigung anderer nicht geschieht, werden in der Familie gelegt. Daran müssen wir arbeiten“, erklärt Rosemarie Zindel.