Stadt Frankfurt bietet Event-Führungen durch das bekannteste Haus der Altstadt an
Die Goldene Waage ist das prächtigste Haus der wiedererbauten Altstadt in Frankfurt. Die Stadt bietet regelmäßig Führungen an. Bei denen spukt es bisweilen.
Von Katja Sturm
Die beiden Schauspieler Volker Heymann und Gudrun Schnitzer bei ihrer Aufführung in der Goldenen Waage.
(Foto: Katja Sturm)
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FRANKFURT - Ein Schrei hallt durch das Haus. Signal dafür, nicht stehen zu bleiben. Weiterzulaufen, treppauf, treppab, den Geheimnissen des früheren Frankfurt auf der Spur. In der „Goldenen Waage“ ist das möglich. Im Prunkstück der neuen Altstadt duldet Joost van Hamel, Investmentbanker und Nachfahre von Abraham van Hamel, dem Erbauer des Originals, Gäste, wenn er selbst mal da ist. Doch er lebt nicht allein in dem aufwändig restaurierten Gebäude. Ein Hausgeist macht ihm zu schaffen. Er quietscht und rumpelt, verursacht schleifende Geräusche. „Jede Wohnung hat einen Haken“, betont der Besitzer. Seine Zuhörer wissen das nur zu gut. Hier ist es eben der unliebsame Mitbewohner, den man ertragen muss.
Plötzlich erscheint eine Frau, gewandet wie eine historische Magd, fast lautlos durch die Stube schleichend. Das Gespenst in Person? Aber nein. Schnell wird klar, diese Angestellte steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, hat viel und vor allem Deutliches zu sagen und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn ihr Chef von vergangenen Ereignissen erzählt und sie selbst sich gedrängt fühlt, Wahrheiten hinzuzufügen.
Unter der Regie von James Lyons und dem Titel „Spuk in der Goldenen Waage“ gestalten die beiden Schauspieler Volker Heymann und Gudrun Schnitzer mehrmals im Monat eine etwa 90 Minuten lange Führung besonderer Art durch die prächtigen Räume des mittelalterlich nachgebauten Fachwerkhauses.
Lebensgeschichten der ehemaligen Eigentümer
Erklärungen zur Einrichtung, zur Stuckdecke in der Großen Stube, den schweren, dunklen Möbeln oder zu dem für die heutige Zeit ungewöhnlich kurzen Bett im Schlafzimmer vermischen sich beim Rundgang mit den Lebensgeschichten der Eigentümer, den Ereignissen, vor denen diese sich abspielten, und dem Rätsel um einen verschwundenen Ring. So entstehen vor den Augen der Zuhörer lebendige Bilder der Stadt, wie sie sich einst darstellte.
Der Zuckerbäcker und Gewürzhändler Abraham van Hamel war 1599 als reformierter Glaubensflüchtling aus dem heute zu Belgien zählenden Tournai nach Frankfurt gekommen. Er stellte damit kein Einzelfall dar. Ewa zehn bis 20 Prozent Niederländer befanden sich in der damaligen Bevölkerung, die nur einen Bruchteil von den 750 000 zählte, die heute in der Metropole am Main ihre Heimat haben. Sie sorgten zwar für einen Bauboom, mit der Integration war es dennoch nicht einfach. Vor allem, wenn man so auffiel wie dieser Kaufmann, der sein Vermögen dadurch zur Schau stellen wollte, indem er statt des vorherigen Eckhauses am Markt ein Gebäude plante, das aus der Umgebung hervorstach. Den Widerstand im Rat und der Nachbarschaft konnte der wohlhabende Zuzügler zwar nicht vollends brechen und musste sich damit abfinden, nur drei statt der angedachten vier Stockwerke hochziehen zu dürfen. Doch mithilfe seines Geldes konnte van Hamel bis zur Fertigstellung 1619 doch das eine oder andere Unerlaubte in die Tat umsetzen.
Ein beliebter Einwohner war der Handelsmann dadurch nicht. Seiner Witwe und dem Bruder, die gemeinsam die Geschäfte nach Abrahams Tod 1623 weiterführten, sollten noch ganz andere Probleme zu schaffen machen. Während des Dreißigjährigen Krieges stand Frankfurt von 1631 an unter schwedischer Besatzung. In dieser Zeit sollte sich auch die gefürchtete Pest einschleichen, die in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Tausende dahinraffte. Von Hungersnot und Elend erzählen Joost und die vorlaute Grete, davon, wie sich die Ratten in den Straßen breitmachten.
1638 erwarb der Frankfurter Handelsmann Wilhelm Sonnemann die „Goldene Waage“, Ende des 19. Jahrhunderts war sie im Besitz der Stadt, wurde jedoch, wie viele andere Gebäude, beim Luftangriff im März 1944 zerstört.
Das lauschigste Plätzchen im Nachbau befindet sich im Belvederchen. In der dunklen, kalten Jahreszeit werden vor dem Betreten des zugigen Dachpavillons Decken gereicht, denn die Garderobe geben die Besucher gleich zu Beginn der Führung ab. Man würde sich jedoch wünschen, an einem sonnigen, warmen Tag hierher zurückzukehren, um, den Domturm fast zum Greifen nahe, einen Kaffee zu genießen.