So studiert man „Klima” an der TH Bingen

Klima-Serie: So studiert man "Klima" an der TH Bingen - Die TH Bingen bietet als erste Hochschule Deutschlands den Studiengang "Klimaschutz" an. Wir treffen uns mit Studierenden, die uns davon erzählen. Kai Zwiessler, Klara Strohmeier und Janina Celikkiran. Foto: Sascha Kopp / VRM Bild
© Sascha Kopp

Weltweit ist die TH Bingen die einzige Hochschule, die „Klimaschutz” in dieser Form anbietet. Drei Studierende erzählen von ihrem Uni-Alltag und welchen Klischees sie begegnen.

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Bingen. Greta Thunberg, Luise Neubauer, Fridays for Future und die Letzte Generation - sie alle wollen mit ihren Aktionen auf die Tragweite des Klimawandels aufmerksam machen. Bei vielen stoßen diese aber vor allen Dingen auf eines: Unverständnis. Von Ökos ist die Rede, Panikmacher, Klima-Kleber oder gar Klima-Terroristen. Für Kai Zwiessler, Klara Strohmeier und Janina Celikkiran ist das ein Problem. Die Klimaschutz-Studierenden der Technischen Hochschule Bingen bekommen die Stigmatisierungen selbst im Freundeskreis zu spüren. „Ach, du Öko”, heißt es, oder auch: „Bist du so ein Klima-Kleber?”

Weltweit einzige Hochschule mit Studiengang „Klimaschutz und Klimaanpassung”

„Viele Leute kennen das Klima nur aus den Medien”, sagt Strohmeier. „Wir sind mit diesen Menschen nicht mehr auf einer Argumentationsebene, dabei können wir voneinander lernen.” Die Diskussion um Klimaschutz sei medial so aufgeladen, dass es die öffentliche Meinung verderbe, betont sie. Vor allen Dingen der Trubel um Klima-Aktivistin Greta Thunberg wird zur Stigmatisierung genutzt. „Greta ist wichtig für die Klimaschutzbewegung, aber die Leute vergessen das Thema, was dahinter steckt”, sagt Strohmeier. Aufklärung betreiben, wissenschaftliche Beweise liefern und belegen, argumentativ gegenhalten - das wollen alle drei. „Wir sind weltweit die einzige Hochschule, die Klimaschutz in dieser Form anbietet”, erklärt Studiengangsleiter Professor Dr. Oleg Panferov. „An anderen Universitäten wird sich eher auf die Theorie des Klimawandels spezifiziert.”

Klimaschutz, das heißt, sich mit den Ursachen und Folgen des Klimawandels zu beschäftigen. „Wir müssen den Einfluss auf das Klima reduzieren, um die Katastrophe, die wir beobachten, nicht noch stärker werden zu lassen.”, sagt Panferov. Klimaanpassung dagegen beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Gesellschaft, sich den bereits vorhandenen Klima-Änderungen anzupassen - und sich auf diese vorzubereiten. „Die Probleme sind schon da”, sagt Panferov. „Wir haben in den letzten Jahren Extremwetter-Ereignisse erlebt wie wochenlange Dürren oder die Flut im Ahrtal. Es ist höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Wenn man den Regenschirm jetzt kauft, bevor es regnet, bleiben wir trocken.”

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Klima-Labor, Begrünungsanlagen und Konfrontationskurs

Sieben Semester dauert die Regelstudienzeit. Studierende können zwischen einem regulären Vollzeitmodell oder einem praxisintegrierten Studium wählen. Dazu zählt auch das Klima-Labor der Hochschule. Hier können Studierende sogenannte meteorologische Variablen, also Luftfeuchte, Lufttemperatur und Windgeschwindigkeit anhand von Messungen und Analysen untersuchen. Die Arbeit im Klima-Labor soll die jungen Wissenschaftler unter anderem auf den Umgang mit manuellen und automatischen meteorologischen Messgeräten vorbereiten.

Auch der eigene Begrünungsversuch auf dem Campus hilft bei der Suche nach Möglichkeiten der Klimaanpassung. „Wir haben vier verschiedene Messstationen und unterschiedliche Habitate”, erklärt Kai Zwiessler. „Da ist zum Beispiel der Asphalt auf der Straße oder ein Feld mit niedrigem sowie hohem Bewuchs. Anhand von Klima-Variablen, also Windrichtung, Sonneneinstrahlung oder Windstärke, können wir erkennen, wie sich diese auf die unterschiedlichen Habitate auswirken.” So lässt sich ablesen, dass bereits 20 Meter Entfernung zwischen diesen Habitaten ausreichen, um Unterschiede in der Umgebungstemperatur festzustellen. „Egal, ob Innenstädte sich dafür entscheiden, der extrem hohen Temperatur entgegenzuwirken oder ob es der eigene Garten ist - Pflanzen sorgen für lokale Abkühlung”, sagt Zwiessler.

Naturwissenschaften machen den größten Teil des Studiums aus. Biologie, Chemie und Mathematik stehen auf dem Semesterplan. Angst vor zu viel Mathematik braucht man allerdings nicht zu haben. „Die Grundlagen reichen”, sagt Strohmeier. „Man muss kein Genie sein.” Kommilitonin Janina Celikkiran stimmt da zu. „Es ist ein interdisziplinärer Studiengang, der auch juristische und wirtschaftliche Grundlagen beinhaltet.” Das lässt den Studierenden Freiraum in ihren Jobmöglichkeiten, denn Klimaschutzmanager werden in Städten und Kommunen dringend gesucht und können nur dann etwas gegen den Klimawandel und für die Klimaanpassung unternehmen, wenn sie einen fundierten Bildungshintergrund aufweisen. „Durch das Studium habe ich auch viel mehr Interesse an Politik und Gesellschaftsthemen bekommen”, sagt Celikkiran. „Es ist wirklich für jeden was dabei, das Angebot an der Hochschule ist toll. Vor allen Dingen natürlich, dass man in verschiedene Richtungen eintauchen kann.”

Wenn man den Regenschirm jetzt kauft, bevor es regnet, bleiben wir trocken.

PD
Professor Dr. Oleg Panferov Studiengangsleiter Klimaschutz und Klimaanpassung, Technische Hochschule Bingen
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Abseits von Mathe, Chemie und Co. müssen die Studierenden aber auch den Umgang mit Klima-Skeptikern und Klima-Leugnern lernen. „Es werden zum Training zwei Gruppen gebildet”, erklärt Zwiessler. „Die eine stellt die Klima-Leugner dar, die anderen die Wissenschaftler, die argumentieren sollen, warum es den Klimawandel gibt und warum es jetzt Zeit ist, zu handeln.” Dabei kitzelt Seminarleiter Oleg Panferov immer mehr aus seinen Studierenden heraus. „Aber nur so lernen wir es”, sagt Zwiessler. Er selbst hat vor einiger Zeit mit der Stadt Bingen ein Projekt in der Fußgängerzone verwirklicht. Mit aussagekräftigen, teils provozierenden Plakaten zum Klima hat er gezielt Menschen angesprochen, um mit ihnen den Klimawandel zu diskutieren - und so die Klima-Kommunikation zu fördern. Die Resonanz? „Durchwachsen”, sagt er. „Wenn ich nicht bewusst auf die Leute zugehe, dann laufen sie einfach an mir vorbei. Vielleicht schauen sie mal, bleiben stehen. Aber gehen dann weiter. Je nachdem, wie ich auf die Leute zugekommen bin, konnte ich die Distanz überwinden oder bin daran gescheitert.” Und das hatte erstmal nichts mit dem Klimawandel zu tun. „Es ist sehr politisch geworden. Es gab auch einige Pöbler, aber dennoch ist es ein Schritt auf die Gesellschaft. Nur so kann man wissen, wie das Bild der Gesellschaft zum Klima ist.”

Influencer Rezo half bei der Wahl des Studiums

Zwiessler selbst hat vor seinem Studium acht Jahre als ausgelernter Elektriker gearbeitet. „Die Arbeit hat mich nicht mehr erfüllt. Ich wollte mein Leben verändern und habe ein Studium in Betracht gezogen. Ich habe schon immer eine gewisse Naturverbundenheit verspürt, und jetzt zu wissen, wie der Wind kommt, den ich täglich spüre, ist klasse.” Bei Strohmeier waren es ein Schulreferat - und Influencer Rezo. „Ich hatte erstmal eine große Präsentation in der zehnten Klasse zum Klimawandel und habe mir dann auch das Video von Rezo angesehen, in dem er über die Zerstörung der CDU spricht und eben auch den Klimawandel. Ich wusste, was Klimawandel ist, aber nicht, wie krass es ist. Jetzt will ich dagegen ankämpfen.”

Solidarität mit den Aktivisten der Letzten Generation

Die rasante Änderung des Klimas zwingt die Gesamtbevölkerung zu drastischen Maßnahmen: Katastrophenschutz, Schutzmauern vor Hochwasser, Warn-Apps. Und trotzdem werde die Gefahr unterschätzt, sagt Panferov. „Erst, wenn die Katastrophe vor der eigenen Haustür stattfindet, sind die Leute motiviert, etwas zu tun.” Ein Problem dabei: die sozialen Medien. „Die Leute können sich dort ganz leicht Infos besorgen, die sie nebenher konsumieren”, erklärt Zwiessler. „Aber man muss sich durch den Themenkomplex erstmal durcharbeiten, um ihn zu verstehen.” Klebe-Aktionen wie die der Letzten Generation würden zwar Aufmerksamkeit generieren, und generell solidarisiere man sich mit dem Grundgedanken, aber: „Das geht in die falsche Richtung. Klima darf dabei nicht in den Hintergrund geraten.”