Mordprozess Susanna: Schirm-Attacke auf Ali Bashar
Der Prozess gegen Ali Bashar vor dem Wiesbadener Landgericht wird unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen geführt. Wie konnte eine Mutter den Angeklagten trotzdem angreifen?
Von Wolfgang Degen
Mitarbeiter Lokalredaktion Wiesbaden
Symbolbild. Archivfoto: Sebra/Fotolia
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WIESBADEN - Der Angriff kommt aus dem Nichts. Er überrascht alle im Gerichtssaal. Denn eigentlich scheint es so, dass die Mutter mit ihrer Tochter den Saal verlassen würde. Die Tochter hat am Mittwochnachmittag vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Wiesbaden im Mordprozess Susanna als Zeugin ausgesagt. Die in der Nacht zum 23. Mai 2018 in Wiesbaden-Erbenheim getötete Susanna aus Mainz war ihre Freundin.
Plötzlich schnellt die Mutter mit wenigen kurzen Schritten nach links in Richtung Anklagebank, und dann schleudert die Frau mit aller Kraft aus kurzer Entfernung einen Knirps auf Ali Bashar. Den Angeklagten. Das Wurfgeschoss verfehlt das Ziel und landet hinter der Bank. „Du Hurensohn! Du Arschloch!“, schreit die Mutter. Es ist ein Ausbruch der Wut. Zwei Wachtmeister springen nach vorn und drängen die Frau ab. Sie habe, wie sie später sagen wird, immer an die getötete Susanna denken müssen. Ein Mädchen von 14 Jahren. Und daran, dass auch ihr Kind hätte Opfer sein können.
Freunde waren kurz nach dem Verbrechen eingeweiht
Der Zwischenfall zeige, warum für diesen Prozess verschärfte Sicherheitsvorkehrungen angeordnet seien, sagt anschließend der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk. Es stellt sich aber die Frage, warum allen akribischen Kontrollen zum Trotz die Frau als Zeugenbeistand ihrer Tochter den Knirps hatte in den Saal mitnehmen dürfen, wo doch ansonsten genau darauf geachtet wird, dass Zuschauer nichts dergleichen mitbringen. Es muss alles abgeliefert werden.
VRM-STORYS
Plötzlich ist das eigene Kind weg. Für die Angehörigen ein Albtraum. Der Fall der getöteten Susanna. 14 Jahre alt. Ihr Tod wühlt Deutschland auf. Das Verbrechen wird zu einer weiteren gesellschaftlichen Zerreißprobe. Und zum Politikum. Weil der Täter auch in diesem Fall ein junger Flüchtling ist. Bekannt wird er als Ali Bashar, ein abgelehnter Asylbewerber aus dem Irak.
Die bisher erschienenen Texte zum Fall finden Sie hier.
Die Knirps-Attacke auf den Angeklagten beendet einen Verhandlungstag, bei dem Zuhörer mit dem Verstehen ringen müssen. Wie geht man damit um, wenn junge Mädchen schildern, dass sie schon wenige Tage nach dem Verbrechen eingeweiht wurden, dass ihre Freundin vergewaltigt, getötet und verscharrt sein soll. Es war Gesprächsstoff. „Wir konnten das nicht so richtig glauben“, meint eine der jungen Zeuginnen.
Und man muss sich vorstellen, dass einerseits fieberhaft nach einem Hinweis auf die als vermisst gemeldete Schülerin gesucht wurde, andererseits aber immer mehr Jugendliche wussten oder zumindest ahnten, dass Susanna nie mehr lebend auftauchen würde. Der Täter selbst hatte schon am Nachmittag des 23. Mai seinem Freund Mansoor die Verbrechen detailreich geschildert. Und dieser Mansoor setzt eine Info-Kette in Gang, und das mündet darin, dass er am 29. Mai, eine Woche nach Susannas Verschwinden, drei Mädchen mit ins Feld nach Erbenheim nimmt. „Ich zeig‘ euch den Platz“, soll er gesagt haben. Eines der Mädchen habe gedrängt: Was ist dran an der Geschichte? Sie seien im Gelände herumgelaufen und Mansoor soll erzählt haben, dass die Leiche „drei Meter tief“ vergraben sei. Eines der Mädchen stochert mit einem Stock im Boden herum. Der Stock bricht, die Erde ist knochentrocken. Da wurde nicht gegraben. Man fragt sich, wie groß der Druck war, den die Mädchen fühlten. Sie dürften nicht weiter erzählen oder gar zur Polizei gehen – „dann macht euch Ali was“, ihnen werde passieren, was mit Susanna passiert sei, soll Mansoor eingeschärft haben. Und Alis jüngster Bruder, 13 Jahre alt, soll einer Zeugin gesagt haben: „Sag‘ das niemand, sonst bring‘ ich dich um.“ Das habe sie aber nicht Ernst genommen, denn er habe dabei gelacht. Was war das für ein Klima?
Am Abend des 29. Mai ruft das Mädchen Susannas Mutter an, erfindet einen anonymen Anruf und sagt der verzweifelten Mutter: Susanna sei tot, die Leiche sei in Erbenheim verscharrt. „Es musste raus“, begründet das Mädchen dem Gericht den Anruf bei der Mutter. Es wird in Wiesbaden in jenen Tagen viel erzählt, wer alles beim „Verbuddeln“ – sie nennen es so – geholfen haben soll. Zur Polizei geht niemand.