Dreyer in Belgien: Gas und Wasserstoff für Rheinland-Pfalz

Das imposante Flüssiggas-Terminal in Zeebrugge: Gas, das hier ankommt, fließt auch nach Rheinland-Pfalz und Hessen. Foto: fluxys.com

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sucht in Belgien Antworten darauf, wie ein Gasnotstand verhindert werden kann. BASF baut in Antwerpen an der Zukunft.

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ZEEBRUGGE/ANTWERPEN. Eine große Anlegestelle, fünf mächtige Tanks, ein Gewirr von Rohren: Das Flüssiggasterminal des belgischen Unternehmens Fluxys ist eine mächtige Industrieanlage, gelegen auf einer künstlichen Insel vor dem Hafen von Zeebrugge, in Sichtweite zu den Badestränden von Knokke-Heist und Blankenberge. Hier kommt der kostbare Brennstoff an, der dafür sorgen soll, dass Europa in diesem Winter nicht friert und die Wirtschaft weiter läuft.

An diesem schwülen Montagnachmittag kann das Fluxys-Management einen prominenten Gast begrüßen: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ist gekommen, um sich zeigen zu lassen, wo das Gas ankommt, dass nicht zuletzt auch die Versorgungssicherheit in Rheinland-Pfalz gewährleisten soll. Vorher hatte sie das BASF-Werk im Hafen von Antwerpen besucht; dort ging es um die Produktion von grünem Wasserstoff. Einen ganzen Tag nimmt sich Dreyer Zeit, um in Belgien nach Lösungen für die akute Energiekrise zu suchen und Anregungen für die Wasserstoffstrategie ihres Bundeslandes zu bekommen. Am Dienstag folgten Gespräche mit der EU-Kommission in Brüssel und ein Treffen mit Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo.

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Rheinland-Pfalz bislang abhängig von Russland

Bisher waren Pralinen ein beliebtes Mitbringsel aus Belgien. Jetzt also Gas? Nein, sie sei nicht auf Einkaufstour, betont Dreyer. Bei ihrer „Informationsreise“ gehe es darum, „wie wir unsere Industrie gut und schnell mit Erdgas und später mit Wasserstoff versorgen und wie die Unternehmen die Transformation zu einer CO2-neutralen Produktion hinbekommen“.

Rheinland-Pfalz, aber auch für die anderen Bundesländer im Südwesten waren bisher besonders abhängig von russischem Gas, nicht zuletzt wegen der großen industriellen Verbraucher wie BASF in Ludwigshafen. Die Flüssiggas-Terminals, die jetzt an der Nordsee bei Brunsbüttel und Wilhelmshaven entstehen, sind weit entfernt; wie viel von diesem Gas in Ludwigshafen, in Mainz oder in Südhessen ankommen wird, das ist die Frage.

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Hier kommt Zeebrugge ins Spiel. 57 Milliarden Kubikmeter Gas wurden hier 2021 ins europäische Netz gespeist, was etwa zwölf Prozent des europäischen Gasbedarfs entspricht, berichtet Fluxys-Sprecher Laurent Remy. Neun Milliarden Kubikmeter waren umgewandeltes Flüssiggas. Von Zeebrugge aus wird das Gas in Belgien verteilt, aber auch nach Nordfrankreich und Westdeutschland transportiert. Dafür stehen 12.000 Kilometer Pipelines zur Verfügung. Das Naturgas, das in Zeebrugge ankommt, stammt aus den Niederlanden, Norwegen und Großbritannien, die verflüssigte Variante vorwiegend aus den USA, aus Katar und Australien.

Dreyer hat große Hoffnungen

Wie sehr der Rohstoffkrieg das Geschäft verändert hat, zeigt eine Zahl. 2021 hat Fluxys in Zeebrugge 180 Flüssiggas-Schiffe entladen. In diesem Jahr waren es bis Ende Juli bereits 182. Das Geschäft brummt. Sollte Deutschland zusätzliche Lieferungen aus den USA oder Katar an Land ziehen, könnten sie in Zeebrugge in Empfang genommen werden? „Wir sind zwar sehr gut ausgelastet, aber es gäbe noch Kapazitäten“, sagt Fluxys-Sprecher Remy. Man habe durch „Feintuning“ die Zahl der Slots optimiert.

Zukunft mit Wasserstoff: Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor der BASF-Pilotanlage im Hafen von Antwerpen.                Foto: Jens Kleindienst
Zukunft mit Wasserstoff: Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor der BASF-Pilotanlage im Hafen von Antwerpen. (© Jens Kleindienst)

Eine Fluxys-Pipeline, sie trägt das Kürzel TENP, führt mitten durch Rheinland-Pfalz in den Südwesten Deutschlands. In sie setzt Dreyer große Hoffnungen. Die Belgier haben ihre Lieferungen nach Deutschland bereits deutlich gesteigert, stoßen aber an Grenzen. Sie würden investieren, jedoch müsste TENP auch auf deutscher Seite ertüchtigt werden. Beim Gespräch Dreyers mit dem belgischen Premier dürfte das ein Thema gewesen sein.

Allerdings hat Dreyer bei ihrer Infotour in Belgien nicht nur die kurzfristige Absicherung der Gasversorgung im Blick. „Es geht um den Weg zum grünen Wasserstoff“, erklärt sie. Dieser wurde mit Hilfe von Erneuerbarer Energie gewonnen, ist also CO2-neutral. In der chemischen und der Grundstoffindustrie soll er einmal Erdgas als Rohstoff und Energieträger ersetzen. Der Weg dorthin ist steinig. Fertigungsprozesse müssen umgestellt werden, außerdem werden sehr große Mengen grüner Strom benötigt, die Europa nicht allein produzieren kann. Grüne Energieträger werden also in Zukunft in großer Menge aus Südamerika oder Afrika nach Europa exportiert werden müssen.

In Antwerpen erprobt BASF die Zukunft

Auch für BASF ist der Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff von zentraler Bedeutung. In Antwerpen, mit 3600 Beschäftigten das zweitgrößte Werk des Konzerns, werden gerade 300 Millionen Euro in eine neue Produktionsanlage für Wasserstoff gesteckt. Partner ist der Gase-Spezialist Air Liquide. Auch dieses Projekt hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin nach Belgien gelockt. Was in Ludwigshafen im Laborformat entwickelt wurde, gehe nun in die Erprobung in großem Stil, erklärt Jan Remeysen, BASF-Chef in Antwerpen. Dabei sei man noch nicht so weit, Grünen Wasserstoff zu produzieren, in der Anlage in Antwerpen falle noch CO2 an. Das Klimagas soll jedoch ab 2023 nicht mehr in die Atmosphäre gepustet, sondern aufgefangen werden, eine Zwischenetappe zum klimaneutralen „grünen“ Wasserstoff. Der Energieeinsatz gegenüber bisherigen Verfahren sei schon jetzt deutlich geringer, Remeysen spricht von „Low-Carbon“-Wasserstoff. Das Projekt sei „für die gesamte BASF von größter Relevanz“, glaubt Dreyer.

Wie wichtig für BASF die mittelfristige Abkehr vom Erdgas ist, zeigen die aktuellen Probleme des Konzerns. Die Preisexplosion beim Erdgas habe die Wertschöpfungsketten durcheinandergebracht, erklärt Remeysen. So habe BASF seine eigene Ammoniakproduktion in Antwerpen und Ludwigshafen gedrosselt, weil es derzeit billiger sei, diesen Ausgangsstoff für zahlreiche Produktionsprozesse zu importieren. Bleibe das Preisgefälle beim Gas zwischen Europa und den anderen Regionen längerfristig bestehen, sei man auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. Ministerpräsidentin Dreyer dürfte das mit Sorge vernommen haben.

So soll klimaneutrale Energieversorgung funktionieren

Der belgische Infrastrukturspezialist Fluxys betreibt nicht nur ein Flüssiggasterminal in Zeebrugge, er hat große Pläne für die Zukunft. Die Idee: Das Terminal, das heute nur Flüssiggas ins Pipelinenetz speist, wird zum Drehkreuz für das Management flüssiger Energieträger und für eingefangenes CO2.

Nach den Worten von Fluxys-Sprecher Laurent Remy werde grüner Wasserstoff das Flüssiggas als Energieträger sukzessive ablösen. Das erfordere erhebliche Umrüstungen am Terminal und im Pipelinenetz. So müsse Wasserstoff für den Transport in flüssiger Form wesentlich stärker heruntergekühlt werden als Erdgas; auch müssten die Leitungen geeignet sein – das heute nicht immer der Fall. Das aus Naturgas hergestellte Flüssiggas wird in den Transportschiffen auf minus 162 Grad heruntergekühlt und extrem komprimiert. In Zeebrugge wird es aus den Schiffen in riesige Tanks geleitet und dort weiter gekühlt. 560.000 Kubikmeter Flüssiggas können die fünf Tanks in Zeebrugge aufnehmen.

Ein Teil des Flüssiggases geht über Tanklaster direkt an Industriekunden. Soll es ins Pipelinenetz eingespeist werden, muss es auf knapp über null Grad erwärmt und damit zurück in Gasform gebracht werden. Das kostet viel Energie, allerdings investiert Fluxys gerade in eine neue Generation Wärmetauscher, die mit Meerwasser arbeiten. Remy: „Auch wir arbeiten an unserem internen CO2-Fußabdruck.“

CO2 könnte gelagert werden

Remy warnt davor, sich bei grüne Energieträgern komplett auf Wasserstoff festzulegen, er spricht lieber von „Molekülen“ (Brennstoffen) in Konkurrenz zum Strom. Über größere Entfernungen sei es effizienter, Energie über Pipelines zu transportieren, bei elektrischen Leitungen seien die Verluste größer. Dabei könnten unterschiedliche Moleküle zum Einsatz kommen, neben Wasserstoff zum Beispiel auch Ammoniak. Oder es wird mit Strom aus Wind und Sonne „grünes Methan“ hergestellt, das chemisch dem Erdgas entspricht. Dann kann die vorhandene Infrastruktur genutzt werden. Ein Terminal für Ammoniak hat Fluxys bereits in Planung.

Doch die Belgier wittern noch ein anderes Geschäft. Es gebe etliche Produktionsprozesse, bei denen auch in Zukunft Kohlendioxid anfallen werde. Damit stelle sich die Frage, was mit dem CO2 passiert. Soll es nicht in die Atmosphäre gelangen, muss es im Produktionsprozess abgeschieden werden. In verflüssigter Form könne man das CO2 zwischenlagern, in Gasform wie Wasserstoff oder Erdgas über Pipelines transportieren.

Fluxys sieht sich als Drehkreuz der Zukunft

Und wohin mit dem CO2? Es lasse sich unterirdisch einlagern, erklärt Remy, zum Beispiel in ausgebeuteten Erdölfeldern unter der Nordsee. In Deutschland ist diese Technologie politisch höchst umstritten. In Belgien, Großbritannien und Norwegen sind die Planungen für diese Variante der Dekarbonisierung teilweise weit fortgeschritten.

Fluxys sieht sich auch hier als Drehkreuz für den Transport der Gase. Das Pipelinesystem sei in weiten Teilen doppelt ausgelegt und werde weiter ausgebaut. Dann, so Vision, wird durch den einen Strang grüner Wasserstoff geliefert und durch den anderen Strang Kohlendioxid von den Emittenten abgeholt. Am Terminal in Zeebrugge wird es verflüssigt und auf Schiffe verladen, oder es fließt über Pipelines direkt zu seinen Lagerstätten.