Beim Gipfeltreffen der beiden Oberbürgermeister von Mainz und Wiesbaden, Michael Ebling und Sven Gerich, zeigten die Stadtoberhäupter, dass sie gut miteinander können. Doch...
MAINZ/WIESBADEN. Mainz und Wiesbaden. In der Fastnacht gerne feindschaftlich, im zwischenmenschlichen Miteinander aber mitunter durchaus freundschaftlich verbunden. Insbesondere, was die beiden Oberbürgermeister angeht. Von Futterneid kann bei beiden keine Rede sein, Sven Gerich und Michael Ebling geben sich gerne flachsend, lachend und kumpelhaft. Beim Gipfeltreffen der beiden Stadtoberhäupter mit den Stadtredaktionen des Wiesbadener Kurier und der Allgemeinen Zeitung Mainz ging es allerdings auch um den Konkurrenzkampf zwischen beiden Städten. Sowohl was Einzelhandel, aber auch Kongressgeschäft oder Hotelübernachtungen angeht.
Herr Gerich, Herr Ebling, beide Städte bemühen sich redlich darum, renommierte Kongresse in ihre Hallen zu holen. Wiesbaden hat mit dem neuen Rhein-Main-Congress-Center, das in wenigen Tagen eröffnet wird, ein Vorzeigeprojekt verwirklicht. Im Hotelbereich gibt es in Wiesbaden dagegen deutlich weniger Kapazitäten als in Mainz, wo in den nächsten Jahren allein 1.500 Betten hinzukommen sollen. Welche Pläne zur Zusammenarbeit gibt es hier?
Gerich: Ich habe Michael Ebling vor einigen Wochen mit einer Mainzer Delegation durch das neue Rhein-Main-Congress-Center geführt. Ich glaube, die Herren waren beeindruckt. Als die Rhein-Main-Hallen geschlossen werden mussten, hat Mainz mit Räumen ausgeholfen. Umgekehrt wird es bei der Sanierung der Rheingoldhalle jetzt so sein, dass auch Wiesbaden den Mainzern aushelfen wird. Wir hoffen natürlich, dass die Kunden, die in Mainz Unterschlupf gefunden haben, jetzt wieder zu uns zurückkommen. Wir haben aber ganz klar festgestellt, dass unsere Kongress-Bereiche von der Ausrichtung her unterschiedlich sind. Es gibt ganz sicher keine Stallordnung, die vorgibt zu schauen, welche Kunden wir den Mainzern abspenstig machen könnten. Ebling: Wir haben uns tatsächlich mit großen Augen im Rhein-Main-Congress-Center umgeschaut, das neue Kongresszentrum ist für Wiesbaden eine beachtliche Leistung. Das ist eine andere Dimension, in den Flächen, der Möglichkeit der Nutzung, als das, was wir in Mainz haben. In der Modernität wollen wir mit der Sanierung der Rheingoldhalle aufholen. Es gibt einen natürlichen Wettbewerb. Aber wir sind nicht diejenigen, die den Wiesbadenern etwas wegschnappen, die Dimension hätten wir in Mainz gar nicht. Da wird jeder seine Rolle im Rhein-Main-Gebiet finden. Die Geschäftsführer handhaben es so, dass sie auch auf die jeweils andere Stadt verweisen. Ein gutes Beispiel ist auch die Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Hof, der hier schon Konzerte auf dem Bowling Green veranstaltet hat. Derzeit ist hier allerdings kein weiteres Konzert geplant. Gerich: Das Konzert war eine gute Kooperation, das war weder in Mainz noch in Wiesbaden ein Thema. Ebling: Auf diesem Niveau sollten wir es belassen. „Gönnen können“ ist eine Tugend, die wir in diesem Bereich beide pflegen. Und jede Veranstaltung, die in Wiesbaden stattfindet, ist mir lieber als eine, die in Köln stattfindet.
Wie geht Wiesbaden mit dem Mangel an Hotelbetten um? Gerade, wenn jetzt die großen Kongresse in die Stadt geholt werden sollen. In Mainz dagegen sprießen die Hotels derzeit aus dem Boden...
Gerich: Wir erhoffen uns insgesamt einen Zuwachs im Kongressgeschäft und verspüren damit auch einen gewissen Druck im Hotelbereich. Am Kureck und an der Mainzer Straße/Ecke Stresemannring werden Hotels gebaut. Und aus dem Wirtschaftsdezernat höre ich, dass es Interessenten für weitere Häuser in Wiesbaden gibt. In der Wiesbadener Innenstadt haben wir allerdings das Problem, dass wir zu wenig Flächen haben. Das eine oder andere Haus könnten wir noch gebrauchen. Und wenn wir nicht alles abdecken können, gibt es ja auch Häuser in Mainz. Ebling: Ich habe es selbst schon in Broschüren von Kongressveranstaltern gesehen, dass auch Wiesbadener Hotels mitangeboten werden. Diese räumliche Nähe müssen wir im Rhein-Main-Gebiet ausnutzen. Ich freue mich auf die erste Veranstaltung, die ich offiziell im RMCC besuchen werde. Das ist der SPD-Bundesparteitag, der ja am 22. April in Wiesbaden stattfindet.
Die räumliche Nähe spiegelt sich auch im Einzelhandel wider. Spüren Sie hier eine Konkurrenz-Situation?
Gerich: Wir müssen im Moment zur Kenntnis nehmen und neidvoll anerkennen, dass Mainz, was die Attraktivität der Innenstädte angeht, die Nase vorne hat. Wiesbaden hat hier Nachholbedarf. Das liegt zum einen am Kaufverhalten der Menschen, unter anderem, was Internetshopping angeht. Zum anderen müssen wir in der Innenstadt Aufenthaltsqualität schaffen. Möglicherweise könnte es auch in Wiesbaden bald eine Art „Citymanager“ geben. Oder wir rufen, wie es das früher schon mal gab, wieder einen „langen Einkaufsabend“ aus. Wir müssen etwas machen, was uns von anderen Städten abhebt. Leider haben wir in der Wiesbadener Innenstadt nicht mehr viele Gebäude, auf die wir Zugriff haben. Hier überlegen wir, wie wir als Stadt, wenn es die Möglichkeit gibt, Immobilien zu kaufen, zuschlagen sollten.
Ist die Mainzer Innenstadt dann auch eine Konkurrenz für die Wiesbadener Innenstadt?
Gerich: Ja, natürlich. Was uns aber viel mehr Sorgen bereitet, ist die Grüne Wiese. Damit meine ich für uns ganz klar das Main-Taunus-Zentrum. Das ist ein riesiger Brocken, der uns Kaufkraft absaugt. Da gibt es kostenlose Parkplätze, das ist gut gemacht, man kriegt dort alles. Das ist für die Kunden hochattraktiv. Da müssen alle Akteure der Innenstadt zusammenarbeiten und dagegenhalten. Ebling: Die Einkaufsgewohnheiten ändern sich, das Problem haben wir alle. Wir müssen der Uniformität der Einkaufsstraßen entgegenwirken. Und wir sind da leider nicht immer diejenigen, die Einfluss darauf haben, welche Läden sich bei uns ansiedeln. Die inhabergeführten Läden verschwinden immer mehr. Ein Laden geht raus, ein Hamburger-Laden geht rein. Und man fragt sich, wie viele Hamburger die Mainzer noch essen können. Wir freuen uns über jeden Gastronomiebetrieb mit regionaler Prägung.
Herr Gerich, wie gefällt es Ihnen, dass sich Decathlon jetzt in Wiesbaden außerhalb der Innenstadt angesiedelt hat – mit zentrenrelevantem Sortiment?
Gerich: Der Bebauungsplan hat das an dieser Stelle hergegeben, da sind uns die Hände gebunden. Die Steuerung ist da außerordentlich schwer. Es entspricht nicht der Lebensrealität der Menschen, außerhalb der Innenstadt alles zu verhindern, um nur noch die Innenstadt zu stärken. Das Einkaufsverhalten wird sich sehr nachhaltig und schnell verändern. Das hat vor allem auch der Einzelhandel selbst lange unterschätzt. Ebling: Das sehen wir auch. Gerade auch im Hinblick auf Aspekte wie Öffnungszeiten. Montagsmorgens liegt das Rheinufer voll mit Touristenschiffen. Die Passagiere gehen dann in die Altstadt, und außer dem Dom ist nichts offen. Das ist ein großes Thema.
Wie groß ist die Konkurrenz durch die Äppelallee für die Innenstädte? Sowohl Mainzer wie auch Wiesbadener fahren dorthin zum Einkaufen.
Gerich: Es hat der Innenstadt sicher nicht gut getan, die Läden in der Äppelallee und der Hagenauer Straße alle zuzulassen. Dort gibt es Schuhgeschäfte, Modegeschäfte und vieles mehr. Der Bebauungsplan stammt aus den 60er Jahren. Die jetzige Einzelhandelslandschaft ist dabei eine Entwicklung der letzten 20 Jahre, als nach und nach entdeckt wurde, welches Baurecht dort besteht. Auch das ist nur ein weiterer Beleg für das veränderte Einkaufsverhalten der Kunden hin zu Grünen Wiese.
Was bedeutet das für Mainz, Herr Ebling? Muss Mainz der Äppelallee etwas entgegensetzen?
Ebling: Auch die Mainzer fahren in die Äppelallee zum Einkaufen. Wenn ich die Erfahrungen aus Wiesbaden höre, kann es aber sicher nicht die Antwort sein, das in Mainz zu kopieren. Wir haben integrierte Standorte für zentrenrelevante Ware außerhalb der Innenstadt. Da ist zum Beispiel Möbel Martin, das Gutenbergcenter oder der Real in Mombach, der demnächst von Kaufland neu gestaltet wird. Wir wollen die Stadtteilversorgung gewährleisten, und das geht nur mit dem Zentrenkonzept. Jedes Konzept hat Vor- und Nachteile. Bei Decathlon wollten wir auch nicht über jedes Stöckchen springen. Trotzdem bleibt Decathlon uns willkommen. Zudem werden wir mit dem Unternehmer Gemünden in der Innenstadt an der Ludwigsstraße eine Aufwertung erfahren und die Innenstadt so stärken.
Welche Rollen spielen Sicherheit und Sauberkeit bei der Attraktivität der Innenstadt? Und wie bewerten die Mainzer die in Wiesbaden diskutierte Knöllchen-App?
Gerich: Wir reinigen derzeit 13 Mal pro Woche, stellen aber fest, dass das nicht ausreicht. Dazu müssten wir die Straßenreinigungssatzung anpassen. Zur Knöllchen-App ist zu sagen, dass staatliche Aufgaben nicht auf die Bürger abgewälzt werden sollten. Das hat das Zeug zur Spaltung unserer Stadtgesellschaft. Man kann zwar heute schon Verkehrsverstöße anzeigen, aber die Einführung einer App verringert die Hürden, dies zu tun, erheblich. Auch deswegen sehe ich die Einführung kritisch. Und was die Sicherheit angeht, hoffen wir mit der neuen Innenstadtwache der Stadtpolizei ein gutes Stück weiterzukommen. Ebling: Die Knöllchen-App gefällt uns in dem Sinne nicht, dass sie den Verpetzer-Instinkt in uns weckt. Diese App ist für uns zur Zeit kein Thema. Sicherheit in der Innenstadt ist bei uns sicher aber auch ein Thema. Auch, wenn die Kriminalitätsrate nicht steigt. Es geht dabei eher um das subjektive Gefühl von Sicherheit. Gerade bei laut feiernden Gruppen am Rhein oder ähnlichen Plätzen haben wir daher auch die Präsenz des Ordnungsamts verstärkt und neue Stellen im Vollzugsdienst geschaffen. Wir haben die Delikte im Blick, auch die Unfallschwerpunkte. Man muss keine Sorge haben, sich in Mainz im Öffentlichen Raum zu bewegen, da ist man sicher. Aber bei der Vermüllung schlage auch ich die Hände über dem Kopf zusammen. Hier kann es nicht die Lösung sein, dass wir immer mehr reinigen, weil die Leute immer mehr wegwerfen. Das ist eine Herausforderung. Hier arbeiten wir unter anderem mit Müllscouts am Rheinufer. Die Erfahrungen sind gut, aber der Erfolg ist begrenzt. Da ist guter Rat teuer.