Gastbeitrag - Kenia-Tagebuch von Gerhard Trabert: Tag 11,...

Gerhard Trabert und Heidi Jelic bei ihrer Rückkehr aus Kenia. Foto: Trabert

Der Mainzer Arzt Gerhard Trabert ist vom 21. September bis 2. Oktober in Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias, unterwegs, um sich dort um die Straßenkinder zu kümmern. Hier...

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Alle Bevölkerungsprognosen deuten in Afrika darauf hin, dass sich die Bevölkerung in den nächsten Jahren verdoppeln wird. Expertisen vermuten, dass Millionen von Afrikanern, aufgrund der Lebensbedingungen in ihren Heimatländern, nach Europa fliehen werden. Wenn wir ernsthaft den derzeitigen und noch größeren zukünftigen Flüchtlingsstrom, verbunden mit zahlreichen Toten auf den gefährlichen Fluchtwegen (Sahara, Mittelmeer), verhindern möchten, müssen wir eine wahrhafte Entwicklungsförderung in Afrika betreiben.

Bisher wird immer wieder der Export deutscher Produkte nach Afrika als Entwicklungshilfemaßnahme gefördert, Lebensmittel, die auf dem europäischen Markt keine Absatzchancen haben werden ebenfalls nach Afrika exportiert und vernichten damit den Aufbau einer einheimischen Lebensmittelversorgung und Industrie. Derzeit werden zwischen ostafrikanischen Staaten und Europa Verhandlungen zu den wirtschaftlichen Beziehungen geführt. Europa versucht brutal die wirtschaftlichen Eigeninteressen den afrikanischen Staaten aufzuzwingen.

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Die Armut hier in Kisumu, der drittgrößten Stadt von Kenia, auf den Straßen und in den Slums so hautnah und intensiv zu erfahren, macht betroffen, traurig, melancholisch und wütend zugleich. Europa ist mit seiner kolonialistischen Vergangenheit und oft noch Gegenwart afrikanischen Staaten gegenübe ein skandalöser Grund für die jetzige Armut in diesem Kontinent. Aufgrund dieser lebensfeindlichen Verhältnisse, dieser oft ausweglosen Situation, fliehen die Menschen in den wohlhabenden Kontinent Europa: Dieser schützt aber zunehmend seine Grenzen und nimmt dabei bewusst in Kauf, dass tausende Menschen bei ihrem verzweifelten Versuch zu überleben, sterben werden.

Straßenkinder haben unsere Liebe verdient

Es ist unsere soziale Verantwortung, ja unsere Pflicht, den Menschen in Afrika wirkliche Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Das heißt: Förderung einer eigenen afrikanischen produktiven Wirtschaft, Unterstützung von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, faire Handelsverträge, legale Einreisemöglichkeiten, das Einhalten der Menschenrechtskonvention. Also: letztendlich ein humanitäres Verhalten. Dafür ist es höchste Zeit!

Dies bedeutet aber auch, in Deutschland und Europa Nationalismus und Rassismus aktiv zu bekämpfen. Die AfD ist eine rassistisch-nationalistische Partei, die mit allen demokratischen Mitteln massiv bekämpft werden muss. Fatal ist es, wenn etablierte Parteien wie die CSU, Gedankengut dieser nationalistischen Bewegung übernehmen und glaubt damit Wählerstimmen akquirieren zu können. Die deutsche Geschichte des Faschismus und Nationalismus zeigt, wie falsch und gefährlich dieser Weg ist.

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Auf der zwischenmenschlichen Ebene haben mich die Begegnungen mit den Straßenkindern, den Frauen, die dank SOLWODI den Weg aus der Armutsprostitution zurück in ein geregeltes Leben gefunden haben, sehr berührt: So zum Beispiel Brian, den wir nach vier Jahren wieder begegnen durften. Ein mittlerweile junger Mann, der sucht und versucht, aber aufgrund seiner Amputation des linken Beines und seiner Wissensdefizite (es war keine Schulbildung für ihn möglich), keine reale Chance in Afrika haben wird. Der kleine Isaac, mit seinen gravierenden Verbrennungs- und Hautverletzungen, der so wundervoll lächeln kann. Daniel, in seinem nostalgischen Rollstuhl und Collins, der beste Freund von Isaac, der sich so sehr um seinen jüngeren Leidensgenossen kümmert. Diese gegenseitige Empathie, dieses Erkennen von Leid und Not, diese Fürsorge der Straßenkinder von Kisumu auch anderen gegenüber haben beeindruckt. Sie haben unsere, dass klingt jetzt vielleicht etwas pathetisch, aber ich schreibe es trotzdem, Liebe verdient.

Hilfe ist nötig

Und da ist Davies mit seinem Team, die eine tolle Arbeit leisten. Sie sind dabei nicht aufdringlich oder fordernd, sie sind einfach da und hören zu, beraten, vermitteln und schenken Nähe und Wärme. Es ist eine Arbeit, die viel Geduld und Frustrationstoleranz erfordert. Davies ist der Chef. Ein Chef, der mittlerweile wohl schon über seine Grenzen geht. Er ist die zentrale Vertrauensperson der Kids, derjenige, der die Gelder für die Arbeit organisieren und eintreiben muss. Derjenige, der dem Team als leuchtende Figur voranzugehen hat und die Politik auf deren Verantwortung diesen Kindern gegenüber immer wieder aufmerksam macht. Und noch vieles mehr. Ich gebe zu, ich habe etwas Angst um diesen mutigen Mann. Zumal er auch eine sehr belastende Familiengeschichte hat. Von seinen neun Geschwistern leben mittlerweile nur noch fünf. Zwei sind an einer Alkoholkrankheit verstorben. Ein Bruder hat sich das Leben genommen.

Ich hoffe zutiefst, dass wir, mit der Unterstützung der Menschen, die unsere Berichte lesen, hören und sehen werden, einen kleinen, aber wichtigen Beitrag bei der Finanzierung der Versorgung der Straßenkinder von Kisumu erreichen werden. Dass wir bei der Einrichtung des „Safe-House“, als zentrale Reintegrationsmöglichkeit und dem Aufbau des Community-Centrum im Armuts-Slum Manyatta helfen können.

Und vor allem hoffe ich, dass wir uns immer auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und gegenseitig vermittelter Würde begegnen - egal, wo jemand lebt, wie jemand lebt und welche Möglichkeiten jemand besitzt. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass dies nicht zu einer Floskel wird.

Von Gerhard Trabert