Ärzte an der Bäderstraße nutzen das Internet für Weiterbildungen und sparen dadurch Zeit. Für sie geht es auch darum, die Versorgung der Patienten aufrechtzuerhalten.
SCHLANGENBAD. Das Bad Schwalbacher Krankenhaus ist weg, die Ärzte an der Bäderstraße rücken näher zusammen. Sie haben einen fachübergreifenden Qualitätszirkel gegründet, über den sie sich fortbilden und austauschen. Dafür nutzen sie eine Videokonferenz. Möglich macht das eine Kooperation mit dem St. Josefs-Hospital (Joho). Ziel ist eine bessere Versorgung der Patienten.
Vision ist ein Ausbildungsverbund
Mittwochabend in der Praxis von Hausärztin Dr. Sabine Thiel in Schlangenbad: Um einen Tisch sitzen Fachärzte, Hausärzte und eine Apothekerin, weitere Kollegen sind per Webcam zugeschaltet. Sie kommunizieren aus kleinen Fenstern auf den Monitoren. Im großen Bild referiert Dr. Michael Rößler, Chefarzt der Chirurgie im Rüdesheimer Krankenhaus, über die Televisite, die neben den Ärzten im Joho-Klinikverbund inzwischen 22 Hausarztpraxen und ein Pflegedienst nutzen. Auch Thiel macht mit. „Es geht darum, die Versorgung auf dem Land aufrecht zu halten, weil wir dadurch Zeit sparen“, erklärt Thiel, „damit die Patienten ihren Arzt noch kennen und nicht auf eine Telefonhotline verwiesen werden.“
Auf der Basis ihrer guten Erfahrungen hat Thiel nun 14 Kollegen sowie Apotheker und Pflegedienste im neuen telemedizinischen Qualitätszirkel an der Bäderstraße vernetzt. Es sei der bundesweit erste seiner Art, sagt sie. Er soll helfen, durch Optimierung der Ressourcen und Zusammenarbeit der verschiedenen Fachrichtungen die Versorgung der Patienten in einem 20-Kilometer-Radius zu verbessern. Nach der Krankenhausschließung habe man überlegt, wie man weiterhin Qualität bieten und das entstandene Leck abdecken könnte, erklärt Thiel. Im Zirkel hat sie Kollegen um sich geschart, die im Raum Heidenrod, Schlangenbad und Bad Schwalbach praktizieren und verschiedene Fachrichtungen abdecken – vom Gynäkologen bis zum Orthopäden. Sie denkt über die gemeinsame Fortbildung hinaus. So könnten Fallbesprechungen durch kurzfristiges Dazuschalten eines Fachkollegen aus dem Qualitätszirkel für Hausarzt und Patient größere Sicherheit bieten und teure Wege ersparen. Die Vision: Ein gemeinsamer Ausbildungsverbund, mit dem man jungen Kollegen die Niederlassung auf dem Land schmackhafter machen könnte.
Es ist bereits die dritte Videoschalte aus Thiels Praxis. Abgesehen von der gesparten Fahrtzeit entfalle auch die Raumsuche. Allerdings schreibe die Kassenärztliche Vereinigung vor, dass sich die Teilnehmer viermal pro Jahr physisch treffen. Das sei auch gut für das Miteinander, findet die Gründerin der Gruppe.
An diesem Abend nutzt Jascha Wiechelt, Chef-Geriater am Otto-Fricke-Krankenhaus Bad Schwalbach, die Runde in der Praxis, um Kollegen des Qualitätszirkels persönlich kennenzulernen. Für den Rest wird sein Exkurs über die geriatrische Weiterbehandlung im Akutkrankenhaus per Video übertragen. Kleinere Probleme mit dem Ton werden behoben, unter dem Strich funktioniert die Kommunikation aber reibungslos. „Es gibt auch eine Chatfunktion, wenn jemand mal nicht zu Wort kommt, kann er sein Anliegen schreiben“, erklärt Werner Nicolai, der im Joho die IT-Abteilung leitet.
Im datengeschützten virtuellen Raum
Das Krankenhaus hat den Teilnehmern die Software erklärt, die auf Smartphone wie PC funktioniert. Und es hat für den Qualitätszirkel einen eigenen datengeschützten virtuellen Raum auf dem Joho-Server zur Verfügung gestellt. All das kostenlos, weil man die Telemedizin in Zeiten von demografischem Wandel und Fachkräftemangel als Lösungsmodell mit vielen Beteiligten optimieren wolle. Ohne die Unterstützung des Krankenhauses wäre das Modell Bäderstraße nicht möglich, hebt Thiel hervor. Sie sieht die Politik gefordert, damit der Televisite-Service, der unnötige Einweisungen vermeide, eines Tages auch ganz offiziell abgerechnet werden könne.
Der digitale Raum ist unterschiedlich nutzbar: zwischen Ärzten in Praxen und Krankenhaus, zwischen Arzthelferin und Arzt, zwischen Pflegekraft, Arzt und Apotheker. „In drei Jahren wird man über so etwas überhaupt nicht mehr sprechen“, prognostiziert Thiel. Grenzen habe das System freilich dort, wo digitale Medizin an begrenzten Datenraten scheitere, etwa in Heidenrod.