Der Parkplatz ist leer. Weit und breit sind keine Reisebusse zu sehen, die das Stadtbild sonst in jedem Sommer füllen. Nur wenige parkende Autos warten an der Rheinhalle auf...
RÜDESHEIM. Der Parkplatz ist leer. Weit und breit sind keine Reisebusse zu sehen, die das Stadtbild sonst in jedem Sommer füllen. Nur wenige parkende Autos warten an der Rheinhalle auf die Rückkehr ihrer Besitzer. Es ist ein Dienstagnachmittag Mitte Januar. Der Himmel ist bewölkt. Es ist kalt. Wer an der Uferpromenade auf der Rheinstraße entlangläuft, dem fällt vor allem eine Sache auf: Man ist allein. Keine Touristen aus Fernost, die Rüdesheim längst zu ihrem Mekka ernannt haben. Keine fremden Sprachen sind zu hören, keine staunenden Gesichter zu erkennen, die die Umgebung in Augenschein nehmen. Die vielen kleinen Läden, in denen Besucher nach altmodischen Mitbringseln wie Kuckucksuhren und Zinnlöffeln suchen, sind verschlossen. Die Lichter sind alle aus. Es ist dunkel in Rüdesheim.
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Das Glockenspiel erwacht aus seinem Schlaf
Die 144 Meter lange, weltberühmte Drosselgasse wirkt in dieser Zeit fast wie eine Geisterstraße. Es ist unheimlich, so ganz allein durch die Straße zu schlendern, die sonst mit Menschenmassen gefüllt ist und wie eine andere Welt wirkt. Die Stille ist bedrückend. Lediglich das Glockenspiel scheint hellwach, wenn es zu jeder vollen Stunde vom Turm des Rüdesheimer Schlosses herunter in die Gasse läutet. Die Holzfiguren sind niemals müde. Es lässt den Besucher vor Schreck zusammenzucken.
Geschäfte und Restaurants rund um die Drosselgasse machen Betriebsferien oder führen Umbauarbeiten durch. „Liebe Kunden, unser Geschäft bleibt bis Mitte März geschlossen. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Dear Customer, ...“
In einem der Läden brennt dennoch Licht. Die Parfümerie Bauer trotzt der Touristenflaute in der Zeit zwischen Weihnachtsmarkt und Saisonstart. „Wir haben immer aufgehabt. In allen Jahren. Und die Stammkundschaft kommt auch weiterhin“, erklärt Verkäuferin Carmen Höflinger. Dafür haben sie im Januar auch gewisse Aktionen. Rabatte werden der treuen Kundschaft gewährt. „Es sind auf jeden Fall weniger Kunden. Aber im März, sobald die Sonne rauskommt und das Wetter schön wird, geht es hier wieder rund“, sagt sie.
Das ist auch die Zeit, zu der die Seilbahn wieder Besucher hoch zum Niederwalddenkmal befördert. Bis dahin bleibt Rüdesheim in seinem wohlverdienten Winterschlaf. So sehen das zumindest Bewohner, die über die ruhigeren Tage nicht böse sind. „Man genießt die Ruhe irgendwie, wenn das ganze Jahr über Trubel ist“, sagt eine Rüdesheimerin auf dem Marktplatz. Vor wenigen Wochen standen dort noch die Stände des Weihnachtsmarktes der Nationen.
Gäste genießen auch die ruhigeren Zeiten
Nicht ganz Rüdesheim sei dem Winterschlaf verfallen, bemerkt Maresa Nieten, Eigentümerin von Breuers Rüdesheimer Schloss. „Es gibt viele Straußwirtschaften, zu denen wir unsere Gäste gerne schicken“, sagt sie. „Rüdesheim ist auch im Winter ein Erlebnis und viele der Gäste genießen die ruhigeren Zeiten hier.“ Deswegen versuchen viele Hotelbesitzer im Winter mit anderen Kollegen zusammenzuarbeiten, und eigene Angebote zu schaffen: Schifffahrten nach Bingen oder Wanderungen durch die Weinberge etwa.
Der Weg durch die verlassene Drosselgasse führt direkt zum Vorplatz der geschlossenen Seilbahn. Auf einem Rundkurs zurück zur Uferpromenade, vorbei am geschlossenen Foltermuseum und dem Hotel zum grünen Kranz, tauchen viele erleuchtete Fenster auf, die den Blick auf arbeitende Männer in Rohbauten richten. Auch das Rüdesheimer Schloss hat bis Mitte Februar die Türen verschlossen, wie viele andere Hotels auch. „Diese Zeit brauchen wir“, sagt Nieten. Es sei viel zu tun, damit das Hotel wieder in neuem Glanz erstrahlen könne. Die Renovierungsarbeiten seien für die Gäste eine Zumutung. Die sechs Wochen Pause kämen da sehr gelegen. Aber: Wenn die einen schließen, haben die anderen geöffnet. Und dann auch gut zu tun. Gerade Firmen hielten zu dieser Zeit ihre Tagungen in Rüdesheim ab. Und in den Wirtschaften würden die Gäste zu dieser Zeit auf typische Ur-Rüdesheimer treffen, was für viele schon ein Erlebnis an sich sei.
Rölf Wölfert, Vorstand der Rüdesheim Tourist AG, wünscht sich auch mehr Angebote für den Winter, weiß aber, dass viele der Betriebe in Familienhand sind und diese Menschen auch mal eine Pause brauchen. „Viele private Betriebe gehen ab Oktober auf dem Zahnfleisch“, sagt er. „Es ist menschlich total verständlich, dass viele in der Zeit Urlaub machen.“ Die Touristen kämen dennoch, wenn auch in geringerer Zahl, und es gebe rund um den Rheingau auch genug Angebote.
In Zukunft soll ein Ausbau von Seminar- und Tagungsangeboten sowie Wein- und Kulinarikangeboten erfolgen. „Das ist nicht nur ein Rüdesheimer Projekt, sondern eins für den gesamten Rheingau, dass es anzugehen gilt“, betont der Touristik-Chef.
Leben kehrt erst Mitte März in die Drosselgasse zurück
Am Abend haben sich auch die letzten parkenden Autos mit ihren Besitzern davongemacht. Auf der Geisenheimer Straße herrscht dafür reger Betrieb. Viele Autofahrer durchqueren Rüdesheim auf dem Nachhauseweg und füllen die Straßen im Licht der orangenen Straßenlaternen.
Bis der Februar vorbei ist, schläft Rüdesheim noch ein bisschen weiter. Erst Mitte März erwacht die Drosselgasse wieder und die Menschenmassen strömen zurück in die Stadt.
Von Lisa Marie Christ