Franz Rath: Ein Leben hinter der Kamera

Durch eine Baulücke ist das Hinterhaus von Raths Elternhaus in Eltville zu sehen, hier war sein Fotolabor. Foto: Roswitha Merkel

Der aus Eltville stammende Kameramann hat mit den Großen des Deutschen Films gearbeitet, unter anderem Volker von Schlöndorff. Vor Kurzem ist Rath im Alter von 88 Jahren verstorben

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ELTVILLE. Im Sommer bei einem Besuch in meiner alten Heimatstadt Eltville bin ich ganz plötzlich über die Spuren eines alten Freundes gestolpert. In der Gutenbergstraße war Vollsperrung, das zweigeschossige Haus mit der Nummer 20 wurde abgerissen, beim Blick in die entstandene Baulücke schießt es mir durch den Kopf: „Das ist doch das Haus, in dem mein Freund Franz Rath lebte, damals, nach dem Krieg, als wir im Burghof Theater spielten.“ 50 Jahre später wird er in Köln für sein Lebenswerk zum Ehrenkameramann ausgezeichnet werden. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg.

Durch eine Baulücke ist das Hinterhaus von Raths Elternhaus in Eltville zu sehen, hier war sein Fotolabor. Foto: Roswitha Merkel
Durch eine Baulücke ist das Hinterhaus von Raths Elternhaus in Eltville zu sehen, hier war sein Fotolabor. Foto: Roswitha Merkel
Franz Rath mit Regisseur Volker Schlöndorff (rechts) bei den Dreharbeiten zum Film, „Der junge Törless“. Foto: DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt a.M./ Karl Reiter
2014 erhielt Rath den Bayerischen Filmpreis. Foto: dpa

Das Haus, wo die Raths wohnten, grenzt rückseitig an das alte Kino. Da würde Franz so gerne reingehen. Aber die Mutter erlaubt es nicht. So schleicht er sich jeden Abend heimlich auf den Speicher, drückt sein Ohr an die unverputzte Brandmauer und erlebt auf diese Weise den Film akustisch mit. Am nächsten Morgen auf dem Schulweg betrachtet er am Kino die Fotos mit Willi Birgel, Paul Henkels, Zarah Leander, Brigitte Horney. Für ihn steht fest: Ich gehe zum Film.

Der Vater, Hobbyfotograf mit eigenem Labor und Dunkelkammer, macht den Jungen vertraut mit der Welt der Fotografie. Franz bewirbt sich bei dem bekannten Kulturfilmer Curt Oertel. Der braucht gerade einen Volontär und Kamera-Assistenten für seinen Dokumentarfilm „Luther, der gehorsame Rebell“. Und so kommt es, dass der Franz für den Meister die Kamera auf- und abbaut, die Filmkassetten einlegt und den schweren Aufnahmewagen schiebt. Besonders beeindruckt ihn die Wirkung des Lichtes. Als Beleuchter lernt er die Raffinessen verschiedener Scheinwerfer kennen. Fragen beantwortet Oertel ihm grundsätzlich keine. Auch lässt er ihn nicht durch die Kamera gucken. Das geht nur heimlich.

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Filmauftrag des US-Außenministeriums

Dann bekommt Oertel vom US-Außenministerium den Spezialauftrag, einen Film über die Architektur-Geschichte der USA zu drehen: „Die Neue Welt – vom Wigwam zum Wolkenkratzer“, in 35 Millimeter und Schwarz-Weiß. Mit dabei ist Franz Rath als Kamera-Assistent. Elf Monate reisen sie durch die USA. In New York bekommt Franz von Meister Oertel eine Sonntagsaufgabe: Vor der wunderbaren Bahnhofshalle der Grand Central Station lässt er ihn die großformatige Linhoff-Kamera für eine „Totale“ aufbauen, lässt ihn dieselbe Einstellung in acht Stunden hundertmal mit einer Fünfzigstelsekunde belichten. Die Sonne wandert während der Aufnahme einmal um das Gebäude herum. Das Ergebnis nach der Entwicklung ist beeindruckend: die Halle menschenleer, ein reines Architekturfoto.

Später bewirbt sich Franz beim Hessischen Rundfunk (HR) als Kamera-Assistent. Man dreht noch in Schwarz-Weiß auf 16-Millimeter-Umkehrfilm, meist Beiträge für die Hessenschau, ab und zu auch interessantere Dokumentarbeiträge. Wie einen Verkehrserziehungsfilm, der auf die Gefahren an einem unbeschrankten Bahnübergang hinweisen soll. Franz soll die Szene filmen. Er packt die „Trickkiste“ von Altmeister Oertel aus: Die Kamera ist tief aufgebaut, ein Auto wird ganz nah ans Gleis gestellt. Als der Zug heranrauscht, schaltet Franz die Kamera ein. Sein Kollege sitzt lauernd am Steuer, Rückwärtsgang ist eingelegt, er fährt das Auto mit Karacho zurück. Die Kamera indes läuft mit 18 Bildern pro Sekunde – rückwärts! Im Ergebnis sieht die Szene lebensgefährlich aus. Der Cutter im Studio und die Chefs im HR sind völlig sprachlos.

Später wagt Franz Rath den Sprung in die Selbstständigkeit als Kameramann, dreht eine Anzahl von Dokus. Da kommt Volker – beide haben einst dasselbe Gymnasium besucht – auf ihn zu und fragt, ob er nicht die Kamera bei seinem ersten Spielfilm übernehmen wolle. Es ist Volker Schlöndorff, der sein Handwerk an der Filmakademie in Paris erlernt hat und nun seinen ersten Film in Deutschland plant: „Der junge Törless“ (1966). Auf so eine Gelegenheit hat Franz gewartet. Der Film gilt später als der erste internationale Erfolg des Jungen Deutschen Filmes.

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Im Jahr darauf gewinnt Franz Rath mit „Mord und Totschlag“ den Deutschen Filmpreis in der Sparte „Beste Kameraführung“. Und es folgen weitere Filme mit Schlöndorff. „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ handelt von einem historischen Postraub. Zunächst erzählt die Kamera in langen, ruhigen Bildfolgen die Vorbereitungen, der eigentliche Überfall soll mit turbulenten Handkameraeinstellungen eingefangen werden. An einem Baumstamm, der über einen Hohlweg ragt, wird ein Seil befestigt, in einem Autoreifen am Ende des Seiles schwingt Franz mit der Kamera ein paarmal über die Postkutsche hinweg – geringer technischer Aufwand, ein wenig Artistik-Einsatz, hoher Wirkungsgrad!

Das A und O bei seiner Arbeit über 40 Jahre ist immer wieder das Licht. Jeden Morgen vor dem Dreh stellt er sich mit großer Leidenschaft die Frage, wie er die Wirkung des natürlichen Lichtes für die Kamera optimal nutzen kann. Seine Handschrift wird mittlerweile von Fachleuten an den Bildern erkannt.

2003 dreht Franz Rath mit Margarethe von Trotta seinen letzten Kinofilm „Rosenstraße“, wofür er ein Jahr später den Bayerischen Filmpreis (Sparte Kamera) erhält. Schon 2003 wird er in Köln für sein Lebenswerk mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet und zum Ehrenkameramann ernannt.

Auch für die Stadt Eltville ist es ein ganz besonderes Jahr, denn die 650-Jahr-Feier der Pfarrkirche St. Peter und Paul steht an. Franz ist mit seinen alten Freunden in die Gestaltung der Ausstellungen unter dem Titel „Kirche, Kunst und Klingelbeutel“ involviert. Bereits 1951 hat er mit der Leica seines Vaters vom Kirchturm aus ein Panorama der Stadt fotografiert, über 50 Jahre später macht er die gleiche Aufnahme noch einmal. Die beiden Bilder sind Zeitmarkierungen in der Jubiläumsausstellung 2003.

Von Ferdinand Jacobs