Es sieht ein bisschen nach Zauberei aus, wenn Natascha Chin reitet: Ohne Sattel, ohne Zügel, nur mit zwei schwarzen Stöckchen in der Hand sitzt sie auf dem Pferd und dirigiert...
AARBERGEN. Es sieht ein bisschen nach Zauberei aus, wenn Natascha Chin reitet: Ohne Sattel, ohne Zügel, nur mit zwei schwarzen Stöckchen in der Hand sitzt sie auf dem Pferd und dirigiert es durch die Bahn. Leichtfüßig hebt der Wallach die Beine, willig folgt er den Zeichen seiner Reiterin. Mit Hokuspokus hat das nichts allerdings nichts zu tun. Vielmehr reagiert das Pferd auf die feinen Signale, die Chin mit ihrem Körper und den Stöcken gibt. „Die versteht das Pferd intuitiv, weil sie so ähnlich funktionieren, wie die Kommunikation mit den Artgenossen“, erklärt sie.
Natascha Chin nennt ihre Trainingsmethode „InTouch“, was so viel heißt wie „in Verbindung“. „InTouch“ ist eine Mischung aus vielen verschiedenen Ideen und Reitweisen, die allesamt ohne Strafen auskommen. „Man muss dem Pferd erklären, was man von ihm will“ – das ist das Geheimnis, in das die Aarbergenerin ihre Schüler einweihen will. Ihr großes Vorbild dabei ist Honza Blahá, ein tschechischer Pferdetrainer, dem seine Pferde folgen wie Hunde, der ohne Hilfsmittel springt und Lektionen aus der Hohen Schule ohne Zügel reitet. „Ich wollte können, was er kann“, erinnert sich Chin an die erste Begegnung mit dem Tschechen auf der Pferdemesse Equitana.
Schon früh die nötige Disziplin gelernt
Gesagt – getan: Sie absolvierte etliche Kurse bei Blahá und begann, ihre eigenen Pferde nach seiner Methode auszubilden: mit gezielt dosiertem Druck, der das Pferd dazu bringt, in der Nähe des Menschen Schutz zu suchen. „Diese Arbeit mit Pferden ist sehr charakterfördernd“, schmunzelt sie; ihr zuweilen aufbrausendes Temperament musste die 50-Jährige beherrschen lernen. Denn beim Training mit den Pferden gibt es keine Bestrafung – nur Korrekturen, und die sollten konsequent, aber emotionslos ausgeführt werden. „Man muss viel an sich arbeiten, wenn man Pferde auf diese Art ausbilden will“, fasst sie ihre Erkenntnis zusammen.
Die dafür nötige Disziplin hat Chin schon früh gelernt: Als Jugendliche schlug sie eine Laufbahn als Fechterin ein, trainierte am Bundesleistungszentrum in Bonn für eine Karriere im Leistungssport. Doch dem immensen Leistungsdruck hielt sie irgendwann nicht mehr stand und bewarb sich stattdessen als Flugbegleiterin bei der Lufthansa. Von ihrem ersten Gehalt kaufte sie sich das erste Pferd. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, schwärmt sie. Samson, ein Isländer, ist inzwischen 30 Jahre und in Rente. Er teilt seinen Offenstall im Aartal mit den beiden neuen Pferden von Natascha Chin: Romero und Caruso. In den Adern des wilden Braunen und des leichtfüßigen Schimmels fließt spanisches Blut – die „Pura Razza Espanola“ ist mit ihrem Körperbau wie geschaffen für die kunstvollen Lektionen der klassischen Dressur. Und die hat es der Pferdenärrin angetan: In Kursen und Praktika bei Desmond O’Brien, einem früheren Bereiter der Hofreitschule in Wien, feilt sie an Sitz und Hilfen. Ihre Kenntnisse gibt sie anschließend auch an ihre Schüler weiter – die zweibeinigen ebenso wie die vierbeinigen.
Dabei geht es Chin durchaus nicht nur ums Reiten. Im Vordergrund steht die Verständigung mit dem Pferd – Basis dafür ist die Arbeit am Boden. Bei Samu, einem achtjährigen Schimmel, geht es um Grundlegendes: Vertrauen. Samu soll lernen, sich seinem Menschen anzuvertrauen, sich auch in brenzligen Situationen auf ihn zu verlassen, seine Nähe zu suchen, sich nach ihm zu richten. Bisher reagierte er ängstlich auf jedes Rascheln und Knistern und geriet leicht in Panik.
Für Nicht-Eingeweihte mutet das, was die Trainerin auf dem Reitplatz tut, seltsam an: Links und rechts schlägt sie mit der Peitsche neben dem Pferd auf den Boden, während sie sich rückwärts von ihm entfernt. „So erzeuge ich Druck“, sagt sie und wedelt mit der Peitsche. Der hört sofort auf, wenn das Pferd die gewünschte Reaktion zeigt. Nach wenigen Minuten schon hat Samu verstanden und kommt vertrauensvoll auf Chin zu. Die belohnt ihn mit ruhigen Worten; entspannt lässt das Pferd Hals und Kopf fallen.
Inzwischen hat die Frau mit den asiatischen Gesichtszügen ihr Hobby auch zum Beruf gemacht. In kleinen Ställen unterrichtet sie nach ihrer eigenen Methode. Die sei nichts Feststehendes, sondern entwickele sich mit jeder neuen Erfahrung weiter. „Ich bin auf dem Weg“, sagt Natascha Chin.