Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche” hat die Uni Marburg mit dem „Herz aus Stein” ausgezeichnet. Die Versuche mit Rhesusaffen würden Leid verursachen.
MARBURG. Die Marburger Philipps-Universität wurde vom Verein "Ärzte gegen Tierversuche" mit einem Versuch aus der Arbeitsgruppe Neurophysik als einer von fünf Kandidaten für den Negativpreis "Herz aus Stein" nominiert. An der Online-Abstimmung beteiligten sich in einer Woche 6286 Menschen. 1832 (29 Prozent) der Stimmen entfielen auf Marburg, die somit das "Herz aus Stein" 2023 erhält.
Bei dem Versuch "werden Affen durch Durst gezwungen, mit angeschraubtem Kopf in einem Primatenstuhl zu sitzen und auf einen Bildschirm zu starren, während ihre Gehirnaktivität mit Elektroden vermessen wird", heißt es in den Erläuterungen in einer Pressemitteilung des Vereins.
Laut den "Ärzten gegen Tierversuche" seien in einem gemeinsamen Versuch der AG Neurophysik und des "Center for Mind, Brain and Behavior" Versuche mit zwei Rhesusaffen unternommen worden, wobei diesen ein "Kopfhaltersystem" am Schädel montiert worden sei.
Affen werden durch Durst gezwungen, mit angeschraubtem Kopf in einem Primatenstuhl zu sitzen und auf einen Bildschirm zu starren.
Bei einem der beiden Tiere sei dann zusätzlich ein Loch in den Schädel gebohrt und darüber eine Messkammer befestigt worden. Diese sei dann genutzt worden, um Elektroden in das Gehirn zu stoßen.
Die Aufgabe der auf dem Stuhl mit fixiertem Kopf sitzenden Affen sei dann gewesen, einen kleinen roten Punkt auf einem Bildschirm anzustarren, auf dem sich 600 weiße Punkte hin- und herbewegten. Die durch Durst zur Mitarbeit motivierten Tiere hätten dann etwas Flüssigkeit zu trinken bekommen, wenn sie alles richtig gemacht hätten.
Arbeit zur Entwicklung einer Sehprothese
"Dieser Versuch zeigt, wie Affen für die Hirnforschung leiden müssen und wie unnötig solche Versuche sind", heißt es in der Einschätzung des Vereins. "Denn parallel wurden Versuche mit freiwilligen menschlichen Teilnehmern durchgeführt, die für den Menschen relevante Erkenntnisse liefern."
Die Uni-Leitung nahm dazu Stellung und verwahrte sich gegen die "Unterstellungen", dass die Versuche sinnlos und die Uni-Wissenschaftler herzlos seien. "Die Grundlagenforschung der AG Neurophysik liefert wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung von Therapeutika oder biomedizinischen Produkten", betont die Uni-Leitung.
Dieser Versuch zeigt, wie Affen für die Hirnforschung leiden müssen und wie unnötig solche Versuche sind. Denn parallel wurden Versuche mit freiwilligen menschlichen Teilnehmern durchgeführt, die für den Menschen relevante Erkenntnisse liefern.
Im konkreten Fall habe die wissenschaftliche Arbeit zur Entwicklung einer Sehprothese (Retina-Implantat) beigetragen. Die Forschungsarbeit habe dem Nachweis gedient, dass bestimmte Sehreize bei Affen und Menschen gleich verarbeitet würden und zu vergleichbaren EEG-Signalen führten. Erst durch diesen Nachweis könne letztlich die Verarbeitung von Informationen und die Funktion des Gehirns beim Menschen verstanden werden.
Zudem treffe die von dem Verein behauptete Versuchsbeschreibung auch teilweise nicht zu. So hätten die Versuchstiere immer eine Mindestmenge an Wasser zum Trinken erhalten, auch wenn sie die Aufgaben nicht erfüllt hätten. In dem Versuch seien sie dann allerdings wie weltweit in der Wissenschaft üblich mit Wasser oder Fruchtsaft belohnt worden, wenn sie die Aufgabe erfüllt hätten. Zudem betonte die Uni-Leitung auch, dass für den Versuch der AG Neurophysik keine zusätzliche Messkammer implantiert worden sei, da diese bei dem einen Affen bereits wegen anderer Versuche vorhanden gewesen sei. Die Implantation der Messkammer habe in Marburg in einem speziellen Tier-Operationssaal stattgefunden.
Die Operation sei zudem unter Vollnarkose erfolgt, analog zu humanmedizinischen Eingriffen bei Epilepsie- oder Parkinson-Patienten. Außerdem seien bei dem anschließenden Versuch die Mikroelektroden nicht in das Gehirn "gestoßen", sondern in einer schmerzfreien Prozedur über die Messkammer eingeführt worden.
Uni Marburg: OP erfolgt unter Vollnarkose
Seitens der "Ärzte gegen Tierversuche" heißt es dazu: "Ein solches Projekt zur Entwicklung von Retina-Implantaten wurde allerdings 2007 beendet und die Implantate wurden bereits 2008 am Menschen getestet", berichtet Johanna Walter, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei "Ärzte gegen Tierversuche". So werde auch in der Pressemitteilung der Universität Marburg der nun mit dem "Herz aus Stein" ausgezeichnete Versuch der Grundlagenforschung zugeordnet. "Ein Bereich, der per Definition keinen konkreten Nutzen verfolgen muss. Stattdessen werden im Namen des Erkenntnisgewinns selbst grausamste Tierversuche durchgeführt und mit einem sich möglicherweise in ferner Zukunft ergebenden Anwendungsbezug gerechtfertigt. Zudem zeigt der Versuch einmal mehr, wie Affen für die Hirnforschung leiden und mehrfach in verschiedenen Versuchen eingesetzt werden. Dies erinnert an das Schicksal des Affen Jara, dessen Autopsie-Befunde wir im Oktober veröffentlicht haben", so Walter.
Weiterhin wurde bei der Uni-Leitung nachgefragt, wie die konkrete Stellungnahme der Ethik-Kommission zu dem Tierversuch der AG Neurophysik ausgefallen sei und ob die Uni-Leitung detailliert Auskunft zur vorgeschriebenen ethischen Abwägung gegeben habe, bei der Schaden und Nutzen eines solchen Versuchs gegeneinander abgewogen werden.
Dazu antwortete die Uni-Leitung, dass die Stellungnahme der die Genehmigungsbehörde unterstützenden Kommission positiv gewesen sei, die dazugehörigen Dokumente allerdings vertraulich seien.