
Der Prozess um Titelmissbrauch gegen den früheren Frankfurter Awo-Chef Jürgen Richter geht in zweite Runde. Ein Zeuge lässt die Beweisaufnahme platzen.
Frankfurt/ Wiesbaden. Nicht nur der Protagonist fehlte. In seinem Berufungsverfahren wegen vorgeworfenen Titelmissbrauchs ließ sich der ehemalige Frankfurter Awo-Boss Jürgen Richter vor der 7. Strafkammer des Landgerichtes Frankfurt von dem Mannheimer Strafverteidiger Sebastian Münkel vertreten – zusätzlich zu seinem bereits mandatierten „koordinierenden Rechtsanwalt“ Bernhard Lorenz. Es fehlte im Prozess aber auch der zur Beweisaufnahme aufgerufene Zeuge – gleichzeitig derjenige, der in Wiesbaden die Strafanzeige gegen Richter wegen eines angeblich „falschen Doktortitels“ gestellt hatte. Mit dem Effekt, dass die Verhandlung unterbrochen wurde und – dann mit dem erneut geladenen Zeugen – am 18. November fortgesetzt wird.
Jetzt also gleich zwei Anwälte, die Richter zur Verteidigung seines erstinstanzlich angezweifelten Doktortitels aufgeboten hat. Das Amtsgericht Frankfurt hatte den früheren Awo-Funktionär, der auch in Wiesbaden als stellvertretender Kreisvorsitzender einem Awo-Leitungsgremium angehörte, wegen Titelmissbrauchs zu 100 Tagessätzen à 80 Euro verurteilt. Damit wäre Richter vorbestraft.
So brachte der neue Strafverteidiger Münkel, der den früheren Awo-Chef auch im – noch nicht terminierten – weiteren Prozess wegen Betrugsverdachts in Millionenhöhe wegen überhöhter Abrechnungen für Flüchtlingsunterkünfte vertreten soll, eingangs vor, dass die Geldstrafe für seinen Mandanten falsch berechnet und von diesem nicht zu stemmen sei. Durch den staatsanwaltlichen Vermögensarrest bei den Hauptprotagonisten des Awo-Skandals im Dezember 2020 befinde sich Richter sozusagen „am Existenzminimum“, also auf Sozialhilfeniveau.
Ob es eine Promotion gab, ist noch ungeklärt
Eine „Rüge“ ließ der Anwalt dann noch wegen der seiner Meinung nach nicht vorhandenen Zuständigkeit des Landgerichtes protokollieren. Die Vorsitzende Richterin Marlies Schwarzer wies das zurück: „Zuständig für eine Entscheidung des Amtsgerichtes als Berufungskammer sind wir.“
Nicht sein Mandant müsse den Nachweis für eine erfolgte Promotion erbringen, sondern umgekehrt die Verwaltungsstellen, die den akademischen Grad ja bereits 1993 in die Personalpapiere eingetragen hatten: „Wenn das einmal eine Behörde anerkannt hat, egal ob zu Recht oder unrecht, muss sich der Betroffene darauf verlassen können“, so Lorenz‘ Credo. Er beruft sich auf die „Tatbestandswirkung“ (der Verwaltungsakt gilt bis auf Widerruf) und die „Unschuldsvermutung“ als „essenzielle Fragen unserer Rechtsordnung“. Staatsanwalt Jens Dallmeyer konterte so viel juristisches Pathos lakonisch: „Der Angeklagte hat aufgrund der Beweislage niemals einen Doktortitel gehabt. Es gab auch nie eine Genehmigung der Behörden.“
Dies sollte nun die Beweisaufnahme belegen. Es erschienen wie beim ersten Prozess Zeugen aus dem hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, von der ermittelnden Kripo Frankfurt und Wiesbaden sowie dem Berliner Einwohnermeldeamt, weil Richter sich auch dort, seinem Nebenwohnsitz, 2008 einen Doktortitel in seine Ausweispapiere hat eintragen lassen. Die Ministeriumsbeamtin berichtete, dass man keinen Nachweis für eine Genehmigung zur Führung eines ausländischen Doktortitels für den Angeklagten im Jahr 1992 habe finden können. Die Genehmigungspraxis habe sich in 2004 aber dahingehend geändert, dass man den ausländischen Titel tragen darf, aber „auf Verlangen der Ordnungsbehörden ein Nachweis vorgelegt werden muss“.
Auch in Berlin indes Fehlanzeige für Nachweise des Vorgangs aus dem Jahr 2008. Die Kripobeamten berichteten erneut, dass zwar keinerlei Dissertation oder Promotionsbeleg bei den Ermittlungen gefunden werden konnten, sehr wohl aber zwei gefälschte Doktorurkunden auf Richters Computer in einem Ordner mit 32 Zeugnissen und Diplomen abgelegt waren.
Die Beweismittel wurden von Richters Anwälten als „unzulässig“ angezweifelt, da sie bereits bei einer ersten Hausdurchsuchung zum Awo-Komplex sichergestellt worden waren, als es noch gar nicht um den „falschen Doktor“ ging. Das Gericht hatte indes keinen Zweifel an der Verwertbarkeit der Dokumente. Merkwürdig erschien der Vorsitzenden Schwarzer jedoch, dass die Promotionsurkunde aus USA auf den Namen Jürgen G. Richter ausgestellt war, im Ausweis aber Jürgen Eugen Otto Richter steht. Das brachte die Anwälte sichtlich ins Schwimmen, „Gideon“ sei „der religiöse Name“ Richters, so Lorenz. Dies sei aber nicht der amtliche Name, beharrte die Vorsitzende, der auf eine offizielle Urkunde gehöre.