Erfolg für Ruzickas Benjamin-Oper in Heidelberg

Am Theater Heidelberg gelingt eine packende Wiedergabe von Peter Ruzickas großem Musiktheater über Walter Benjamin. Besonders stark: Milijenko Turk in der Titelrolle.

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HEIDELBERG. Wunder kommen überraschend. Plötzlich steht die Sängerin Yasmin Özkan auf der seitlichen Treppe und lässt den Marguerre-Saal des Heidelberger Theaters mit purem Koloraturen-Wohlklang leuchten. Man kann Walter Benjamins Begeisterung für die junge Frau aus Riga verstehen, die sich für die Revolution begeistert und ein proletarisches Jugendtheater plant. Asja Lacis lernte Benjamin in den zwanziger Jahren auf Capri kennen und wurde seine Geliebte.

Aber Peter Ruzicka erzählt in „Benjamin“ keine Biografie des Philosophen. Der Komponist unternimmt auch gar nicht erst den Versuch, Wissenschaft in Tönen abzubilden. Und doch ist ihm ein packendes Musiktheater gelungen, das Motive von Leben und Werk in vielschichtigen Bildern zusammenführt. Nach der erfolgreichen Uraufführung im vergangenen Jahr ist Heidelberg die zweite Bühne, die sich an dieses komplexe Werk heranwagt. Mit dem groß besetzten Orchester, mit Opern-, Extra- und Kinderchor zeigt der Dirigent Elias Grandy, welch starke Opernmusik Ruzicka geschrieben hat, explosiv in der Ausdruckskraft der Zwischenspiele, deklamatorisch wortbetont in den durchweg gut verständlichen Gesangsszenen, gestisch in der beredten Klangerzählung. Und auch sehr anrührend, denn die sehr abwechslungsreiche, sinnlich unmittelbar wirksame Komposition legt aus Schrecken und Schönheit eine emotionale Spur, an der die Szenen aufgereiht sind. Das klingt am Ende wie ein Requiem für diesen großen Denker, eingeleitet vom Kinderchor, der mit dem Lied vom „bucklicht Männlein“ die Ängste der Kindheit wachruft, die diesen Mann nie verlassen haben. Die Oper meidet das melodramatische Ende mit dem Selbstmord in den Pyrenäen und erzählt doch umso eindringlicher vom fortgesetzten Scheitern. Milijenko Turk verkörpert mit intensivem Bariton diesen Mann, der sich in den Begegnungen mit anderen spiegelt. Mit Brecht (Winfried Mikus) spielt er Schach, mit dem Zionisten Gerschom Scholem (James Homann) debattiert er über die Auswanderung nach Palästina, die Freundin Hannah Arendt rät ihm mit der schönen Stimme von Shahar Lavi zur Flucht aus dem besetzten Frankreich. Nur seine Frau Dora (Denise Seyhan) bleibt lange im Hintergrund, bis sie am Ende den Schrecken der Kindertage wieder wachruft.

Am Erfolg dieses sehr genau geführten Ensembles hat auch die Regie von Ingo Kerkhof Anteil, die Methoden des epischen Theaters zitiert und nicht letzte Identifikation mit den Rollen sucht, sondern die Präzision der Gestaltung erkennbar lässt. Bühnenbildnerin Anne Neuser hat eine Probensituation mit Stühlen und Tischen arrangiert, in der sich das Ensemble die Szenen spielerisch erarbeitet; eine Versuchsanordnung, in der jeder Benjamin sein könnte. Diese Inszenierung verdoppelt die starke Musik nicht, sondern unterstützt sie in ihrer szenisch gedachten Wirkung: Selten sind die Kräfte des Gesamtkunstwerks Musiktheater so glücklich in Beziehung gebracht wie an diesem beeindruckenden Abend.