Wiesbaden: Noel Gallagher und seine High Flying Birds...

„Shut up!“ – Noel Gallaghers Reaktion auf die Oasis-Rufe aus dem Publikum in der ausverkauften Schlachthof-Halle ist deutlich. Außerdem sollten sich die Leute aus...wie...

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WIESBADEN. „Shut up!“ – Noel Gallaghers Reaktion auf die Oasis-Rufe aus dem Publikum in der ausverkauften Schlachthof-Halle ist deutlich. Außerdem sollten sich die Leute aus...wie heiße die Stadt noch gleich? Habe er vergessen und auch vorher noch nie gehört. Egal. Jedenfalls diese Leute sollten sich also freuen, dass er jetzt da sei, weil die Chance, dass er noch einmal nach Dingenskirchen – wo es noch nicht einmal Geschäfte gäbe – wiederkomme, sei verschwindend gering. Ob etwa Oasis-Fans anwesend seien? – „Shut up!“

Rückfall in alte Schreibgewohnheiten

Der kreative (Wuschel-)Kopf hinter der 2009 im Streit aufgelösten Band Oasis versucht, sich mit seinen High Flying Birds auf dem aktuellen Album „Who built the moon“ musikalisch deutlich von seiner Brit-Pop-Vergangenheit zu lösen und trägt sein Songwriting durch eine Hardrock-Menagerie der späten 70er spazieren, damit es mal sehen kann, dass es noch andere Akkorde außer Gmaj, Cadd9, Dsus4 und Em7 gibt. Findet das Songwriting offenbar zunächst auch ganz interessant, denn das poppige „Holy mountain“ zeigt Anleihen aus der Blues-Kiste, „Keep on reaching“ bricht sich mit Schlagzeugtachykardie und Bläsersektion den Weg durch die Halle. Dann hat das Songwriting bald die Nase voll von diesem Spaziergang – zumal Noel selbst nicht die Finger von der alten Schreibgewohnheit lassen kann.

Lyrisch geht es nämlich solo genauso zu wie damals schon bei Oasis: Da ist die Seele der anderen erschüttert, weil er oder sie nicht ehrlich waren und das Karma oder Schicksal oder der Geist der Beatles höchstpersönlich das jetzt erkannt habe, weswegen man doch sein Geld dahin stecken solle, wo der Mund ist, während man selbst irgendwie unverschuldet von irgendetwas oder jemandem verlassen worden sei und an einer Klippe zu irgendetwas stehe und im Grunde ja eigentlich doch verdient hätte, glücklich zu sein und wenn man das bislang noch nicht verstanden habe, dann solle man sich gefälligst zur Hölle scheren. Good Grief: Sieben Oasis-Studioalben inhaltlich auf einen fiesen Schachtelsatz eingedampft – das hat Noel und auch Oasis nicht verdient!

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Zurück zur Musik: Bei „It‘s a beautiful world“ liegen dann wieder die Noel-typischen Soundmatten in der Gehörmuschel, die den Brit-Pop der 90er so geprägt haben wie in Großbritannien vielleicht nur noch zu Tode panierter Fisch in der Zeitung von gestern. Dazu gesellt sich eine Lead-Gitarre, die an die sitarhaften Klänge der Oasis-Stücke „Who feels love“ oder „The Hindu times“ erinnert. Die akustische Solonummer „Dead in the water“, die aus „Fixing a hole“ von den Beatles zitiert, führt den sonst in den hohen Stimmlagen gewohnt unsicheren Gallagher dahin, wo er sich wohlfühlt: schmachtende Lagerfeuerromantik mit Klampfe. „Riverman“ vom 2015er-Album „Chasing yesterday“ zitiert aus dem Beatles-Song „Something“ und hebt sich durch die typische Oasis-Brücke zum Refrain hin von den experimentierfreudigen Stücken des neuen und mittlerweile übrigens dritten Solo-Albums ab.

Spätestens bei „If I had a gun“ ist der gute alte Brit-Pop dann wieder da. Und Gallagher gibt den Oasis-Rufen nach. Für einen versöhnlichen Abschied zwischen Noel und Dingenskirchen sorgen nämlich die vom Auditorium grölend mitgeschmetterten Oasis-Klassiker „Wonderwall“, „Little by little“, „Go let it out“, „Half the world away“ und „Don‘t look back in anger“. Letzteres haben Noel und sein kleiner Bruder Liam offenbar auch wieder beherzigt. Was sagt also Noel zur „Reunite“-Aufforderung der Fans? „Shut up!“

Von Christian Struck