Poesie zum Mitträllern im Darmstädter Staatstheater
Tolle Band, hervorragende Musiker und ein Konzept, das Ovationen beschert: Rilke-Projekt überzeugt in Darmstadt dann am meisten, wenn der Schmuse-Pop schweigt.
Von Bettina Bergstedt
Foto: Dirk Zengel
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DARMSTADT - Tolle Band mit tollen Musikern, hervorragende und prominente Rezitatoren, ein Konzept, das große Säle füllt und den Akteuren auf der Bühne Ovationen beschert: Im Großen Haus des Staatstheaters wurde das mehrfach ausgezeichnete „Rilke-Projekt“ des Komponistenpaars „Schönherz & Fleer“ aufgeführt, diesmal unter dem Titel „Wunderweiße Nächte“.
Man könnte meinen, dass eine Collage aus Neukompositionen und Rilke-Texten, darunter Lyrik, Briefe, Romanfragmente, das Ergebnis harter Arbeit ist, eigentlich ein schöner Wert. Der Titel erschloss sich im Laufe des Abends aber nicht ganz, und Richard Schönherz und Angelica Fleer bezeichnen sich lieber als Schöpfer des Projekts, ihr Zusammenspiel von Worten und Tönen als kongeniale Mischung.
Aber ist es kongenial, wenn der Rhythmus eines Gedichts nicht mehr über Zeilenbrüche hinweg gesprochen werden kann, weil der Vierer-Takt der Musik das Schema für die Endreime vorgibt? Ist es kongenial, wenn der Soft-Rock mit E-Gitarre in der Lautstärke mehrfach den Text überlagert? Ist es kongenial, wenn Rilkes Lyrik zum Deutsch-Popsong mutiert, der ganz auf Eingängigkeit zielt, indem Sänger Edo Zanki in die Rezitation hinein wiederholt singt „...in meinem wilden Herzen...“ oder ein erfrischendes „Ist es möglich“? Oder wenn Rilkes Gedicht „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort“ mit Musik illustriert wird? Da heißt es im dritten Vers: „Ich will immer warnen und wehren: Bleib fern. Die Dinge singen, hör ich so gern.“ Zanki säuselt dazu eine einschmeichelnd-sphärische Melodie auf die Silben „Hahaha“.
RILKE-PROJEKT AUF CD
Das Rilke-Projekt von Angelica Fleer und Richard Schönherz bringt seit bald 20 Jahren Texte Rilkes in eigens komponierten Vertonungen mit prominenten Interpreten zusammen. Alle Programme gibt es auch auf CD; „Wunderweiße Nächte“ mit den Lesungen von Julia Koschitz und Matthias Koeberlin ist im Herbst 2018 bei Lübbe Audio erschienen. www.schoenherz-fleer.de. (bbeg)
Im Rilke-Projekt gehen manchmal Musik und gesprochener Text zusammen. Dann wieder wird nur rezitiert oder musiziert. Vereinzelt werden Gedichte ganz zum Pop-Song mit dem Refrain nach dreimaligem Hören zum Mitträllern. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Und eigentlich waren die schönsten und berührendsten Momente, wenn es das eine oder das andere gab. Dank der souveränen Sprecher Nina Hoger und Ralf Bauer kamen Text und Sinnfälligkeit ganz zu Ehren. Beide sprachen unprätentiös und unaufdringlich und öffneten einen Tiefenraum oder innere Bilder.
Und an „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ hätten sich die Komponisten halten können, da steht es doch: „Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle.“ Rilke schreibt es mehrfach: Gedichte speisen sich aus in Worte gefassten Erfahrungen und Erinnerungen an Städte, Tiere, Menschen, dem Morgen am Meer, Abschieden und Kindheitstagen, „auch bei Sterbenden muss man gewesen sein“.
Der schöne Pop-Sound zielt aber ganz aufs Gefühl. Nichts dagegen, im Gegenteil, als die Band am Ende noch einmal ordentlich loslegt und durch die Instrumente hindurch ihre Soli spielt, ist da ein deutlicher Drang, der heulenden Gitarre, dem Hammondorgel-Sound oder der schieren Sehnsucht des Akkordeons sich im Rhythmus schüttelnd zu folgen. Rilke selber nahm sich bescheidener aus und sagte: Erst ganz zum Schluss (des Lebens) könnte man vielleicht zehn Zeilen schreiben, die gut sind. Da hat er natürlich maßlos untertrieben, nachzulesen in seinen gesammelten Werken – bevorzugt in einer Sternstunde der Stille.