Der Komponist Leon Gurvitch bei der Arbeit. Foto: Henriette Mielke
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WIESBADEN - Am Sonntag, 28. Januar, wird im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Erinnerung an die Opfer“ im Wiesbadener Rathaus die Anne-Frank-Suite des Hamburger Komponisten Leon Gurvitch uraufgeführt.
Herr Gurvitch, wie kommt es, dass die Uraufführung Ihrer Anne-Frank-Suite in Wiesbaden stattfinden kann?
Ich schätze den wunderbaren Cellisten Ramón Jaffé sehr. Im Gespräch über sein Konzert in Wiesbaden anlässlich des Shoa-Gedenktags kamen wir beide zum Schluss, dass gerade die Musik, die ich zur Anne-Frank-Suite komponiert habe, als Premiere zu dieser Veranstaltung sehr gut passen würde.
Für die Besetzung Cello und Klavier haben Sie schon mehrfach komponiert. Liegt Ihnen diese Kombination besonders am Herzen?
Ich habe tatsächlich mehrere Stücke für Cello und Klavier komponiert, unter anderem ein großes Werk, „Nigun“. Das Wichtigste für mich ist aber nicht die Kombination der Instrumente, sondern ihr Inhalt. Obwohl das Cello über besonders viele Möglichkeiten verfügt.
ZUR PERSON
Leon Gurvitch wurde 1979 im weißrussischen Minsk geboren und an der Hochschule für Musik in Minsk und in Hamburg ausgebildet. Er ist Autor von mehr als 300 Kompositionen und Arrangements.
Die Interpreten Ihres Werks sind die Pianistin Monica Gutman und der Cellist Ramón Jaffé. Sie standen bei der Komposition im Dialog mit den Musikern?
Ich habe den Musikern die fertige Komposition geschickt. Aber es war für mich spannend zu erfahren, welche Anmerkungen die beiden hervorragenden Musiker hatten. Über den Probenprozess waren wir ständig in Kontakt.
Sie haben im Jahr 2000 das Leon Gurvitch Project gegründet, um Ihre Vorstellung einer Verbindung von europäischem Jazz und Weltmusik umzusetzen, wie auf Ihrer Webseite formuliert wird. Findet sich diese Verbindung auch in Ihrer neuen Suite?
Die Anne-Frank-Suite hat weder mit Jazz noch mit Weltmusik zu tun. Sie passt auch nicht in eine konkrete Schublade. Sie kann eher als zeitgenössische Musik beschrieben werden – mit einigen Einflüssen von Ernest Bloch und aus der Romantik.
Sie sind in Minsk geboren und haben dort ein Jazz-Orchester mitbegründet. Inwiefern ist Ihre Herkunft aus Weißrussland für Ihren musikalischen Werdegang wichtig?
Ich habe unter anderem in Minsk studiert. Natürlich wurden dort die Grundsteine für meine Laufbahn gelegt. Aber trotzdem sehe ich mich als Europäer, weil ich schon seit sehr langer Zeit in Deutschland lebe.
Grigori Frid hat das Tagebuch der Anne Frank zu einer ziemlich erfolgreichen Oper gemacht, die 1969 uraufgeführt wurde. Kennen Sie das Werk?
Ja, die Aufnahme von Grigori Frids Oper habe ich gehört und finde es ein ganz tolles Werk.
Wann haben Sie das Tagebuch der Anne Frank erstmals gelesen?
Als ich 15 Jahre alt war.
Inwieweit bezieht sich Ihre Komposition auf Anne Franks Leben?
Ich war im Anne-Frank-Museum in Amsterdam und finde ihre Geschichte universell. Sie steht für viele junge Leute, die ihr Leben im Holocaust verloren haben. Ich kann mein Motto zu dieser Suite mit einem Zitat aus dem Anne-Frank-Tagebuch beschreiben: „Nichtsdestotrotz glaube ich an die Güte der Menschen.“ Das hat mich damals schwer beeindruckt.
Das Konzert am 28. Januar steht unter dem Motto „Jüdische Klangwelten“. Verstehen Sie Ihr Werk als spezifisch „jüdisch“?
Nein, so sehe ich es nicht. Sondern eher philosophisch und zum Nachdenken anregend. Denn die Musik sagt mehr als tausende Wörter.
Der Antisemitismus wird in Deutschland zurzeit heftig diskutiert. Für Aufsehen hat unter anderem die Beschimpfung eines Restaurantbesitzers in Berlin gesorgt. Erleben Sie auch in Ihrem Hamburger Alltag eine Zunahme des Phänomens?
Ich sehe keine besondere Zunahme. Der Antisemitismus war immer da. In meinem Kreis sind Leute aus verschiedensten Kulturen, die offen und tolerant sind. Ich persönlich erlebe keinen Antisemitismus. Aber jeder, der sich nach außen als jüdisch zeigt, wird damit konfrontiert. Deswegen sollten Menschen heutzutage besonders wachsam sein, damit wir keine weiteren Anne-Frank-Tagebücher erleben müssen.