Mehr Probe als Konzert: Bekannte Gäste aus New York spielen im Darmstädter 806qm gegen die Erwartungen an.
Von Alexandra Welsch
Mitarbeiterin Lokalredaktion Darmstadt
Deutlich schmissiger als in der ersten Abendhälfte ging es beim Auftritt des New Yorker Trios aus Steve Shelley, Ernie Brooks und Matt Mottel zu. Foto: Dirk Zengel
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DARMSTADT - Es ist immer lohnend, in den Proberaum zu gehen. Das gilt natürlich zuvorderst für Musiker, kann aber auch für Musikkonsumenten interessant sein, weil dabei das noch nicht Durchstrukturierte, Prozesshafte von Musik erlebbar wird. Insofern proberaumartig gestaltete sich ein Konzertabend am Donnerstag im 806qm, bei dem mehrere als Legenden und Veteranen annoncierte Vertreter der Independentszene auf der Bühne standen - oder saßen.
Im Vorprogramm beweisen fünf Herren der Stuttgarter Experimental-Formation "Metabolismus", dass man auch im höheren Alter noch lange vor Instrumenten auf dem Boden knien und abseits des Mainstreams musizieren kann. "Vorstoßend ins Ungewisse des musikalischen Hyperraums", so eine Eigenbeschreibung, erzeugen sie mit einer Unmenge an Tastenkästen, Rasseln, Kling-Klong-Gerätschaften, Flöten oder Stehbass bizarre Klangräume transzendentaler Anmutung, deren Strukturlosigkeit nur ab und an in einen Rhythmus fällt. Nur stellenweise verlässt ein genuscheltes Textfragment ein Paar Lippen, bis schließlich nach dem letzten Stück mitgeteilt wird: "Wir sind durch."
Ein Vorstoß ins Ungewisse unter anderen Vorzeichen ist dann der mit Spannung erwartete Auftritt des New Yorker Trios aus Steve Shelley, Ernie Brooks und Matt Mottel. Wobei vor allem erster als Zugpferd wirkt, handelt es sich dabei doch um den Schlagzeuger der legendären "Sonic Youth" bis zur Auflösung der szeneverehrten Noiserockband 2011. Dennoch zog es erstaunlich wenig Leute in den größeren der beiden Konzertsäle des erst kürzlich wiedereröffneten studentischen Veranstaltungsorts.
KULTUR VOM ASTA
"806qm Kultur in Darmstadt" ist ein Projekt des AStA an der Technischen Universität. Es wurde 1997 als "603qm" in der damaligen Stoeferlehalle begründet. Nach Abriss der Halle ist die Kultur in den Neubau zurückgekehrt und hat die Spielfläche vergrößert. Die Bezeichnung variiert nach der Größe des genutzten Raums, die Clubkonzerte werden in der Regel auf 257qm gespielt. Das Projekt versteht sich nicht nur als Kulturbetrieb, sondern auch als Bindeglied zwischen Universität und Stadt. Geplant sind Klubkultur, Konzerte, Lesungen, Film, Theater und Kunst. (job)
Die Veranstalter wussten selbst kaum, was sie erwartet. Gegen jegliche Vernunft habe man sich entschieden, den Act zu buchen, ohne vorher etwas gehört zu haben. Kein Tonträger, kein Bandname habe existiert. Einzig die drei Musiker "wissen, was dem Publikum präsentiert werden wird".
Deutlich schmissiger als in der ersten Abendhälfte ging es in jedem Fall zu bei dem Trio, das im Grunde in einer klassischen Rockbesetzung auf der Bühne agierte. Allerdings spielte Matt Mottel, Mitgründer der Avantgardeband "Talibam!", statt einer E-Gitarre ein "Keytar" genanntes Umhängekeyboard, hierzulande zu fragwürdigem Ruhm gelangt durch das Seichtpop-Achtziger-Duo "Modern Talking". Doch im Gegensatz dazu entlockt dieser New Yorker Keytarrero dem Instrument eher vorwitzige Linien und Solos, die etwa wie verzerrte Orientalflöten oder das Verbindungsrauschen eines sich einwählenden Modems klingen.
Schlagzeuger Shelley und Bassist Brooks betten seine Spielereien auf einen eher matten Indiesound, dessen Taktung und dunkle Tongebung Bezüge zum Wave und Postpunk der Siebziger und Achtziger Jahre hat. Brooks schickt seinen Bass öfter mal über einen Verzerrer. Auch der eher introvertierte Gesang bewegt sich gerne mal etwas abseits der Spur, während er Betrachtungen aus Amerika nachhängt zwischen Traktoren in Iowa oder Vororttristesse in Boston.
In der zweiten Hälfte wird das Programm atmosphärisch dichter und rhythmisch packender, da wird im Publikum auch getänzelt. Doch bis zum Schluss behält der Abend starken Sessioncharakter. Man kann das als Gegenentwurf zur Kunst als Dienstleistungsbetrieb verstehen. Man kann es aber auch so sehen, wie ein junger Mann im Publikum, der abschließend feststellte: "15 Euro bezahlt für einen Probebesuch."