Wiesbaden: Poetry-Slam-Champion Lars Ruppel zieht die Besucher...

Lars Ruppel erzählt aus seinem Leben und bannt damit sein Publikum in Wiesbaden.Foto:  wita/Paul Müller  Foto:  wita/Paul Müller
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Die Hypnose hatte gewirkt. Es muss etwa gegen 21.30 Uhr gewesen sein, als der Groschen klirrend auf den Boden fiel. Kollektives Staunen. Ikea – damit hatte nun niemand...

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WIESBADEN. Die Hypnose hatte gewirkt. Es muss etwa gegen 21.30 Uhr gewesen sein, als der Groschen klirrend auf den Boden fiel. Kollektives Staunen. Ikea – damit hatte nun niemand gerechnet. Alter Schwede! Doch, einer schon. Lars Ruppel nämlich. Aber er war auch der Hypnotiseur am Sonntagabend in der ausverkauften Kulturstätte „Studio ZR 6“ am Zietenring.

Eigentlich ist Lars Ruppel kein Hypnotiseur. Er ist Poet. Das ist, wie er erzählt, eine seiner wenigen Stärken. „Machen wir uns nichts vor: Poesie ist jetzt nicht so das Knallerthema“, sagt der bald 33-jährige Wahl-Berliner aus der Wetterau. Ein Taschenspielertrick, ohne Zweifel. Einer, den der Deutsche Meister im Poetry-Slam 2014 mit Leichtigkeit beherrscht.

Projekt schafft Zugang zu Demenzpatienten

Es muss also gegen 21.30 Uhr gewesen sein, als der Groschen fiel. Dass es nun fast anderthalb Stunden dauerte, bis es so weit war, lag wahrscheinlich auch daran, dass Lars Ruppel seine zweite Stärke ziemlich gut ausspielen konnte: sein Leben. Er sagt zwar, das sei „nicht so prall“, aber das glaubt ihm am Ende des Abends ohnehin niemand. Denn Ruppel bannt. Wenn er erzählt, wie er mit seinem Projekt „Weckworte“ einen neuen Zugang zu Demenzpatienten findet und das in Workshops weitergibt. Oder damit, wie er auf dem Dachboden sein erstes, mit acht Jahren verfasstes Gedicht wiederfand. Eine Schulaufgabe in einem Übungsheft. Titel: Übung. Er erzählt Anekdoten aus seiner Kindheit, so detailliert und pointiert, dass der Eindruck entsteht, der Hypnotiseur berichte aus dem Leben der Gäste. Vor dem inneren Auge manifestieren sich Freundschaftsbücher und Poesie-Alben. Leere Seiten füllen sich mit Reimen, drumherum baut sich ein längst vergangener Schulhof auf, über den Abzählreime schallen, während in einer anderen Ecke beim Seilhüpfen im Reimschema die künftige Familienplanung ausgefochten wird. Ene, mene, Miste.

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Aber warum macht Lars Ruppel das? Der Sprachkünstler erzählt und erzählt. Insgesamt ungefähr zwei Stunden lang. Zwei Stunden lang starren die Besucher erwartungsfreudig zur Bühne, immer in der Erwartung: Gleich geht es los. Dann war es vorbei. „Jetzt schon!?“, war im Publikum zu hören. Lars Ruppel hätte auch noch stundenlang weitererzählen können. Dass er „nur“ fünf Gedichte deklamierte, war völlig nebensächlich – wenn es überhaupt jemandem aufgefallen sein sollte.

Aber darum ging es Lars Ruppel offenbar auch gar nicht. Er wollte die kindliche Verbindung zu Sprache, zu Reimen und Gedichten herausarbeiten. Er wollte die Sprache als Werkzeug, als mögliche Waffe – und als Verbandszeug zwischenmenschlicher Wunden offenbaren.

Es muss etwa gegen 21.30 Uhr gewesen sein, als der Groschen fiel: Das war keine Poesievorlesung. Das war Balsam für die Seele, „Sprach“-Therapie eines Hypnotiseurs, der eigentlich gar keiner ist.

Von Christian Struck