„Musizieren gegen den Untergang“ von Georg Etscheit
Dirigent und Naturschützer: Sein Lebensgefühl zwischen Apokalypse, Dolce vita und Unbedingtheit in der Musik wird in Etscheits Biografie gut lesbar und informativ herausgearbeitet.
Von Dietrich Stern
Als Dirigent war er umstritten, als Umweltschützer ging er keinem Streit aus dem Weg: Enoch zu Guttenberg (1946–2018), hier mit der Sängerin Susanne Bernhard bei einem Konzert des Rheingau-Musikfestivals im Jahr 2015.
(Archivfoto: RMF/Ansgar Klostermann)
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Ein „biografisches Porträt“ des fränkischen Edelmanns Enoch zu Guttenberg interessiert in mehrfacher Hinsicht. Als Dirigent widmete er sein Leben geradezu besessen den großen Werken der musikalischen Tradition. Als ebenso glühender Umweltschützer warnte er schon vor 30 Jahren vor der Vernichtung des Planeten durch gewissenlosen Raubbau. Und als Großgrund- und Schlossbesitzer genoss er ein weich gepolstertes Leben, das eingebettet war in bayerische und zugleich fränkische Folklore.
Der Journalist Georg Etscheit arbeitete an seiner Biografie noch in freundschaftlichem Kontakt mit Guttenberg, der im Juni 2018 vor der Fertigstellung des Manuskripts mit 71 Jahren starb. Der Titel „Musizieren gegen den Untergang“ klingt dramatisch und unklar. Ist persönlicher oder Weltuntergang gemeint? Beide hatten zuvor zusammen ein Buch herausgebracht, „Geopferte Landschaften“, das gegen den Ausbau der Windkraft wegen der befürchteten Verschandelung der Landschaft polemisierte. Doch trotz der persönlichen Nähe bemüht sich Etscheit, alle Seiten von Guttenbergs übervollem und widersprüchlichem Leben gründlich, besonnen und teilweise mit behutsamer Kritik darzustellen. Natürlich ist auch der Plagiats-Skandal um seinen Sohn Karl-Theodor, einfühlsam als „Annus horribilis“ bezeichnet, ein Kapitel wert.
Das adelige Milieu jedoch fasziniert den Biografen beinahe im Stil einer Klatsch-Illustrierten: „Wenn sich der Baron in Guttenberg aufhielt“, (Schloss und Dorf heißen auch so) „nahm er jeden Morgen im eleganten Reitdress eine einfache Mahlzeit in der Schlossküche ein und ging dann hinüber zu seiner (…) Reithalle, in der das Pferd gesattelt und aufgezäumt bereitstand.“ Gewissenhaft referiert Etscheit auch, wie Guttenberg bei seinen Herrenchiemseer Festspielen das Servicepersonal mit exakt jenen Knöpfen ausstattete, die schon die Bediensteten des Königs Ludwig trugen. Hier konnte der „Adelige“ nicht aus seiner Haut.
DAS BUCH
Georg Etscheit
Musizieren gegen den Untergang
Der Dirigent und Umweltschützer Enoch zu Guttenberg. Schott Music in Mainz, 264 Seiten, 22,99 Euro.
Musikalisch konnte er das exzessiv. „Vom ersten Takt an“, schreibt Etscheit, „trachtete der Dirigent voll Inbrunst und Überzeugung danach, das letzte Quäntchen an Ausdruck und Wirkung aus sich, seinen Musikern und seinen Sängern herauszuholen.“ Nun hat auch diese Aussage zwei Seiten. Das „Herausholen“ konnte durchaus gewaltsame Züge annehmen, und beim Ringen um überwältigenden Ausdruck ging stellenweise die Präzision verloren. Guttenbergs unvergängliches Lebenswerk ist seine über fünfzigjährige Verbindung mit der „Chorgemeinschaft Neubeuern“, die er vom bayerischen Dorfchor zu einem der besten Laienchöre Europas entwickelte. Später kamen 20 Jahre enge Verbindung mit dem Münchener „Orchester der KlangVerwaltung“ hinzu.
Sein Markenzeichen blieben die großen Oratorien, Messen und Passionen von Bach bis Verdi, ein eng begrenztes konservatives Repertoire. Etscheit verschweigt nicht die kritischen Stimmen, die dem Kämpfer um absolute musikalische Wahrheit unausgereiftes dirigentisches Handwerk attestierten. So konnte er sich der Biografie zufolge erst gegen Ende seines Lebens in der obersten Liga der klassischen Musik angekommen fühlen.
Im Politischen wird das Buch zu einer kleinen, aufschlussreichen Geschichte der Ökologie-Bewegung in Deutschland. Guttenberg war Mitgründer des BUND und nutzte seine Konzerte zu flammenden Ansprachen gegen die Naturzerstörung, die man auf Youtube hören kann. Wie andere konservative Naturschützer fand er sich später im Lager der Energiewende-Gegner wieder. Sein spannungsreiches Lebensgefühl zwischen Apokalypse, Dolce vita und Unbedingtheit in der Musik wird in Etscheits Biografie gut lesbar und informativ herausgearbeitet.