Starke Emotionen: Tanzfetsival zieht zum Finale alle Register
Vom dunklen Apartheidstrauma bis zum irisierenden Erotik-Traum: Tanzmainz-Festival schwelgt in emotionaler Vielfalt und bietet bilderstark ein faszinierendes Fest für die Sinne.
Von Marianne Hoffmann
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MAINZ - Das Haus ist voll. Jeder Platz im kleinen Haus ist besetzt, zumindest scheint es so. Das Tanzmainz-Festival zieht die Menschen ins Staatstheater, und Honne Dohrmann ist sichtlich gerührt angesichts dieser Resonanz. Erstaunlich sein Geschick und Gespür, Tanzkompanien nach Mainz zu bringen, die man einfach gesehen haben muss.
Mit „Via Kanana“, performed von Via Katlehong, ist ihm ein weiterer Coup gelungen. Gregory Maqoma, der das Stück erarbeitet hat, gilt als einer der talentiertesten aufstrebenden Choreografen in Südafrika. Mit der „Via Katlehong Dance Company“, benannt nach einem Township in einem Johannesburger Armenviertel, in dem die südafrikanische Kultur des Widerstands begann, kehrte er zum Ursprung des Pantsula-Tanzes zurück. Pantsula ist ein populärer, energischer Street-Dance, der zur Zeit des Apartheidregimes entstand, vergleichbar mit dem amerikanischen HipHop. Widerspenstig und virtuos reproduzieren die Tänzer die Gebärden der Anti-Apartheid zu wütender Musik. Mit „Via Kanana“ ist das gelobte Land gemeint, das man nicht bekam – aber die Suche darf man nicht aufgeben. Man trotzt der Angst und besiegt zerstörte Träume mit ausdrucksvollen Bewegungen aus Licht und Hoffnung.
Das Stück beginnt mit einem Wort, das über zwei aufgestellte Projektionsflächen läuft: corrupt. Dieses Schlagwort vervielfältigt sich und lässt die Tänzer bei ihrem Gummistiefeltanz der Bergarbeiter straucheln. Es ist ein inspirierendes Stück mit einer gewaltigen Botschaft.
FESTIVAL MIT BESUCHERREKORD
Mit 10 400 Besuchern – 2 000 mehr als vor zwei Jahren – verzeichnete das Tanzmainz-Festival, das am Samstag endete, einen Publikumsrekord. An elf Tagen präsentierten Compagnien aus Europa, Südkorea, Brasilien, Taiwan und Südafrika die ganze Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes.
Mit 30 Vorstellungen, Publikumsgesprächen, Workshops und Tanztrainings war das Programm in diesem Jahr das umfangreichste bislang. In vielen Produktionen sei die gesellschaftliche und politische Dimension des Tanzes deutlich geworden, so Tanzmainz-Direktor Honne Dohrmann. Das Festival habe gezeigt, dass der Tanz über alle Grenzen die hinweg die Kraft habe, zum gegenseitigen Verstehen beizutragen.
Ganz anders und schön klassich beginnt der letzte Abend des Festivals. Die temporäre Bar bei Karstadt hat schon geschlossen, während auf der Bühne im großen Haus die „Sao Paulo Dance Company“ gleich mit drei Stücken aufwartet. Für die „Suite für zwei Klaviere“ entwickelte der deutsche Choreograph Uwe Scholz (1958-2004) Bewegungen, die inspiriert sind von dem russischen Musiker Sergei Rachmaninoff (1873-1943) sowie von Überlegungen des Künstlers Wassily Kandinsky (1866-1944). Mithilfe von vier Kandinsky-Werken, in den Bühnenraum projiziert, wird die Beziehung zwischen den verschiedenen Kunstformen beleuchtet. Die Choreografie verbindet Musik, Tanz und Bilder, und die Tänzer zeichnen die Linienführung Kandinskys so geschickt nach, dass der Eindruck eines schwarzen dreidimensionalen Bildes entsteht.
Ganz anders kommt „Melhor Unico Dio“, der schönste Tag, daher. Ein Menschenknäuel von Tänzern in roten Oberteilen und teils durchsichtigen Beinkleidern tanzt gebückt zusammen und erinnert an einen großen Fischschwarm, der durchs Meer pflügt. Sobald einer ausbüchst, wird er von den anderen wieder eingefangen. Es geht um Zusammenhalt, Beziehung, Entwicklung während eines kurzen, intensiven Zeitraums, eben jenem schönsten Tag.
Schnitzlers Reigen ist Vorlage für die dritte Tanzproduktion „Ngali“. Dieses Wort aus der Sprache der Ureinwohner Australiens bedeutet „Wir beide – Du eingeschlossen“. Und so hat Jomar Mesquita eine Choreografie über Liebe, ewige Sehnsüchte und Eifersucht erarbeitet, die unter die Haut geht, aber auch die Lachmuskeln reizt. Wenn die Tänzerin ihrem Auserkorenen nicht die andere Frau gönnt, obwohl er sichtlich hingezogen ist, springt sie ihn an und umklammert seinen Körper mit ihrem, sodass man glaubt, zwei Körper würden verschmelzen. Schnitzler, der für seinen unsittlichen Reigen sogar mit Bühnenverbot belegt wurde, hielt 1904 der Wiener Gesellschaft den Spiegel vor.
Der getanzte Erotiktraum ist letztlich nichts anderes als eine nichtendenwollende Sehnsucht nach dem einen perfekten Liebesglück.
Auf der Tanzparty im Glashaus, als krönender Abschluss des Festivals, konnte dann noch einmal ein jeder seine Tanzfähigkeiten unter Beweis stellen.