Türchen 18: Bücher, Film, Musik – die Geschenktipps der Redaktion

Bis zum 24. Dezember öffnen wir für unsere Leser täglich ein Türchen in unserem Adventskalender der Regionen. Die Geschichten sollen Freude bereiten und Ideen geben.

18. Dezember 2022 – 04:30 Uhr

8 min

Johanna Dupré, Nina Wassmundt, Elisabeth Saller, Karl Schlieker, Sascha Kircher, Birgitta Lamparth

Weihnachten naht, und noch immer sind nicht alle Geschenke beisammen? Wer noch Anregungen sucht, wird vielleicht bei diesen Tipps fündig: Redakteure dieser Zeitung stellen ihre Favoriten des Jahres vor und verraten, welche Bücher, Filme, Serien und Musikalben sie 2022 besonders überzeugt haben.

Johanna Dupré, Kulturredakteurin Mainz:

Mein Buchtipp des Jahres: Fatma Aydemirs Roman „Dschinns” hat den Deutschen Buchpreis, für den er nominiert war, nicht gewonnen – aber verdient hätte er ihn. Aydemir hat der deutschen Gegenwartsliteratur damit eine neue Facette hinzugefügt: Einen großen, generationenübergreifenden Familienroman über die Traumata und unerfüllten Träume türkischer Einwanderer. Erzählt ist das Buch, das mit dem Tod des Vaters, Hüseyin, beginnt und dann jedem Familienmitglied ein Kapitel widmet, in einer klaren, frischen Sprache, die schnell einen Sog entwickelt.

Mein Film-/Serien-Tipp des Jahres: Es ist kein neuer Film, aber jetzt kann man ihn erstmals in all seiner Pracht im Heimkino sehen: „Days of Being Wild” (1990) von Wong Kar-Wai ist 2022 bei Plaion Pictures im hochaufgelösten 4k-Format auf Blu-Ray erschienen. Das Melodrama über mehrere unglücklich Liebende im Hong Kong der Sechzigerjahre ist die erste gemeinsame Arbeit des Regisseurs mit dem Kameramann Christopher Doyle. Gemeinsam sollten sie einen visuellen Stil prägen, der viele nachkommende Filmemacher geprägt hat. Wieso, ist auch hier schon zu sehen: Fast jedes Bild aus „Days of Being Wild” könnte ein Gemälde sein.

Mein Musik-Tipp des Jahres: Die Reaktionen auf „Into the Blue” (AWAL), seit acht Jahren das erste neue Album von James Mercers („Shins” ) und Brian Burtons (aka Musikproduzent Danger Mouse) Bandprojekt Broken Bells, waren durchmischt. Für mich ist es trotzdem der Favorit des Jahres: So schön und unmittelbar beruhigend hat Weltflucht lange nicht geklungen. Mal melancholisch, mal psychedelisch beschwingt. Wer kann das momentan nicht gebrauchen?

Filmstill aus Wong Kar-Wais "Days of Being Wild".

Birgitta Lamparth, Kultur- und Stadtredaktion Wiesbaden:

Mein Buchtipp des Jahres: Der „Donnerstagsmordclub” hat wieder zugeschlagen – und der sitzt in einem Seniorenheim. Nachdem der Brite Richard Osmann, eigentlich Fernsehmoderator, die pensionierten Hobby-Detektive schon einmal erfolgreich auf Mörderjagd geschickt hat, legt er jetzt nach. „Der Mann, der zweimal starb” (List, 442 Seiten, 16,99 Euro) stellt die vier Freunde wieder vor einen kniffligen Fall. Und die Leser und Brit-Fans vor das Phänomen, eine zweite Agatha Christie zu entdecken – nur männlich und witziger. Für regnerische Sonntagnachmittage eine absolute Empfehlung – bei einer schönen Tasse Afternoon-Tee.

Mein Film-/Serien-Tipp des Jahres: Endlich gibt es den zweiten Kinofilm von „Downton Abbey” auf Blu-Ray. Diesmal werden die Crawleys und Granthams von einer Filmcrew heimgesucht. Das sorgt auch bei der Dienerschaft für Überraschungen. Währenddessen steht eine Reise an die Cote d’Azur an: Dort geht es um ein geerbtes Anwesen. Was es damit auf sich hat und wie die Erzählstränge zueinander finden, das breitet sich auf 120 Minuten Laufzeit in schwelgerischen Kostümen und wunderbaren Settings aufs Schönste aus.

Mein Musik-Tipp des Jahres: Drei Jahre hat sich Michael Bublé Zeit gelassen für ein neues Album – gut investiert in „Higher” (Warner/Reprise Records). Auch das elfte Studioalbum des Grammy-Gewinners überzeugt mit einem großartigen Mix eigener Kompositionen und überraschender Cover. So können auch Bob-Dylan-Fans vermutlich ihren Frieden machen mit „Make You Feel My Love” und Beatles-Anhänger bekommen eine sehr eigene Interpretation von „My Valentine”.

Lady Mary (Michelle Dockery) zeigt echtes Talent als Sychronsprecherin beim Film - und der Diener Mr. Molesley (Kevin Doyle) als Dialogschreiber.

Karl Schlieker, Wirtschafts- und Politikredaktion:

Mein Buchtipp des Jahres: Schon seit ihren ersten gemeinsamen Tagen bewunderten sie die Intelligenz des anderen und ihr gegenseitiges Verständnis für die Stille und die Leerstellen des Lebens, in denen sie aufblühen. Hernan Diaz erzählt in seinem Roman „Treue“ (Hanser-Verlag, 412 Seiten, 27 Euro) die Geschichte des Wall-Street-Spekulanten Andrew Bevel und seiner rätselhaften Frau Helen während der Weltwirtschaftskrise 1929 aus vier Perspektiven, die sich ergänzen und gleichzeitig widersprechen. Was ist Realität, was Fabel? Nichts ist so, wie es scheint, in diesem kunstvoll konstruierten Roman.

Mein Film-Tipp des Jahres: Wer sich diese Geschichte ausgedacht hätte, wäre schnell als Fantast abgestempelt worden. Eine deutsch-türkische Hausfrau aus Bremen-Hemelingen, deren Sohn ins Lager Guantanamo verfrachtet wurde, verklagt den US-Präsidenten und bekommt Recht. Regisseur Andreas Dresen erzählt den Kampf „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (auf Blu-Ray und DVD) als temporeiche, furiose Feelgood-Tragikkomödie. Wenn es nicht bittere Realität wäre, könnten wir darüber lachen.

Mein Musik-Tipp des Jahres: „Die Nerven“ zerstören mit ihrem rumpelnden Postpunk jede Selbstgewissheit. Stücke wie „Ein Influencer weint sich in den Schlaf“, „Ich sterbe jeden Tag in Deutschland“ oder „Alles reguliert sich selbst“ bringen die Zeitenwende auf den Punkt, obwohl die verstörenden Texte deutlich früher entstanden sind. Das ihren Namen tragende Album „Die Nerven“ reduziert im Trio-Format Gitarre, Bass und Schlagzeug Rockmusik auf ihre Urform.

Beim Schweigemarsch in Washington hört Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) einfach nicht auf zu plappern. Aber man kann ihr einfach nicht böse sein. Szene aus „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.

Sascha Kircher, Reporter in der Hessen- und Politikredaktion:

Mein Buchtipp des Jahres: Eigentlich lese ich kaum Sachbücher – zu lang ist die Liste der Belletristik-Klassiker, die noch abgearbeitet werden muss. Aber „Frenemies” (Verbrecher Verlag, 350 Seiten, 20 Euro) ist Pflichtlektüre – gerade wenn man beruflich mit Rassismus und Antisemitismus befasst ist. Mitherausgeber des Bandes (der Titel ist ein Mix der englischen Worte für Freunde und Feinde) ist Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und eine der intelligentesten Stimmen in der Debatte um die Katastrophen-documenta.

Mein Film-/Serien-Tipp des Jahres: Was habe ich damals „Top Gun” gehasst. Der Actionfilm von 1986 versprühte so viel patriotisches Pathos und Militarismus – fürchterlich! Mit „Top Gun Maverick” habe ich dagegen schnell meinen Frieden gemacht. Dem geschassten Pilotenheld Pete „Maverick” Mitchell bei seinem Comeback als Fliegerass zuzuschauen, macht schlicht Freude. Toller Soundtrack, und es darf sogar geweint werden (was für ein modernes Männerbild!), außerdem sieht Tom „Scientology” Cruise auch mit 60 immer noch verboten gut aus.

Mein Musik-Tipp des Jahres: Casper ist einer der intelligentesten Vertreter des deutschen Rap. Kein Gehabe, Kraftprotzerei oder dicke Hose. Der Deutsch-Amerikaner hat sich im Frühjahr mit „Alles war schön und nichts tat weh” (Columbia/Sony) eindrucksvoll zurückgemeldet. Darauf rappt er schockierend offen-ehrliche Texte, auch Benjamin Griffey scheint in der Pandemie noch mal in sich gegangen zu sein. Gänsehaut beschert der Song „Fabian” über die Leukämie-Erkrankung eines Freundes.

Der deutsch-amerikanische Rapper Casper veröffentlichte 2022 sein fünftes Studio-Album: "Alles war schön und nichts tat weh".

Elisabeth Saller, Reporterin in der Rheinland-Pfalz-Redaktion:

Mein Buchtipp des Jahres: Liebeskummer, Angst, Warteschleifen: In ihren Kolumnen „Kummer aller Art” (Dumont, 176 Seiten, 22 Euro) schreibt Mariana Leky liebevoll über die Sorgen ihrer Mitmenschen und manchmal über sich selbst. Nachbarin Frau Wiese leidet unter Schlaflosigkeit, Frau Schwerter strengt sich richtig an, um zu entspannen, Onkel Ulrich diagnostiziert bei seinem Arzt eine Depression. Die wohltuenden Texte, zuerst in der Zeitschrift „Psychologie heute“ erschienen, sind witzig, melancholisch, ihre Beobachtungen präzise.

Mein Film-/Serien-Tipp des Jahres: Karl (Milan Peschel) ist in nicht nur Bademeister, sondern Schwimmmeister und „Beckenrand Sheriff” (Regie Marcus H. Rosenmüller, Blu-Ray und DVD) im Freibad von Grubberg – und vergrault seine Gäste. Dann soll das Freibad abgerissen werden, Bürgermeisterin (Gisela Schneeberger) und ein Bauherr (Sebastian Bezzel) wollen Wohnungen errichten. Für ein Bürgerbegehren zur Erhaltung des Bads bräuchte Karl 600 Unterschriften. Eine witzige, manchmal nachdenkliche Komödie mit ungewöhnlich guter Kameraführung.

Mein Musik-Tipp des Jahres: Mario Schönhofer und Tobias Weber machen Musik aus Strom. Sie erstellen ihren Sound mit analogen Synthesizern, ohne Computer oder Samples. Auf Konzerten kann man ihnen zuschauen, wie sie Kabel aus dem Synthesizer ziehen und neu hereinstecken. Bald tanzt man selbst zur Musik zwischen Techno, Electro und Synthie-Pop. Das Duo kann auch mit gewöhnlicheren Instrumenten gut umgehen: Die studierten Musiker waren Mitglieder von LaBrassBanda. „Nr. 2“ ist das erste Ströme-Album, erhältlich auf Vinyl (Compost Records) oder digital.

Milan Peschel spielt Karl, den "Beckenrand Sheriff", der für den Erhalt seines Freibads kämpft.

Nina Waßmundt, Redakteurin Zentraldesk:

Mein Buchtipp des Jahres: „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“ Wenn Onkel Günther beim Weihnachtsessen solche Fake News raushaut, sollte man Fakten auf den Tisch packen. Argumentationsmunition liefert der gleichnamige Bestseller von Alexandra Zykunov (Ullstein, 288 Seiten, 10,99 Euro). Sie zerlegt in jedem Kapitel des Sachbuchs einen Bullshitsatz wie „Frauen wollen doch gar keine Karriere machen“ anhand von Studien sachlich und in einer jungen, leicht verständlichen Sprache. Ein tolles Geschenk für Frauen jeden Alters und Männer, die die Welt verstehen und besser machen wollen.

Mein Film-Tipp des Jahres: Der Neuverfilmung von Stefan Zweigs „Schachnovelle” verdanke ich den packendsten Kinobesuch im vergangenen Jahr – 2022 ist der Film auf Blu-Ray erschienen (Regie Philipp Stölzl). Seine Wucht entfaltet er vor allem, weil man Hauptdarsteller Oliver Masucci als Josef Bartok beim Wahnsinnigwerden zuschaut. In der Nazihölle der Isolationshaft versucht er, mit dem Schachspielen seinen Verstand zu beruhigen. Aber auch Albrecht Schuch als Nazi-Scherge beeindruckt. Gute Unterhaltung mit Tiefe.

Mein Musik-Tipp des Jahres: Die vierte Staffel der Serie „Babylon Berlin” wird von fulminanter Musik begleitet: Der Soundtrack „Babylon Berlin Volume 3” (BMG) lässt uns in die goldene Ära abtauchen. Max Raabe besingt in „Ein Tag wie Gold” begleitet vom Palast-Orchester die bittersüße Leichtigkeit des Seins – und sorgt für einen Ohrwurm. Neben dem Bigband-Sound gibt es aber auch Elektro-Swing von der Techno-Marchingband „Meute”. Die leichtfüßige Ablenkung, die wir zum Abschluss eines solchen Dauerkrise-Jahres brauchen.

Max Raabe und das Palast-Orchester feiern mit „Ein Tag wie Gold” die 1920er-Jahre.