Literaturnobelpreisträger begibt sich in „Das zweite Schwert“ auf einen Rachefeldzug gegen die modernen Medien und ihren oberflächlichen Umgang mit Sprache.
Von Welf Grombacher
Peter Handke übt mit seinem Buch Medienkritik.
(Archivfoto: dpa)
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Die Feierlichkeiten um die Verleihung des Literaturnobelpreises ließ Peter Handke verstreichen, ohne sich zu erklären. Von versöhnlichen Worten, die manch einer erwartet hätte wegen seiner Äußerungen im Balkankonflikt, ganz zu schweigen. All die, die ihm Vorwürfe machen, ließ er verlauten, sollten erst mal seine Bücher lesen, um zu wissen, worüber sie reden.
Jetzt erscheint mit „Das zweite Schwert“ ein neues Buch von Handke, das erste nach der Nobelpreis-Debatte. Und auch, wenn es schon im April und Mai des Jahres 2019 geschrieben wurde und deswegen kein direkter Kommentar auf die Ereignisse im Herbst sein kann, gibt es dem aufmerksamen Leser doch so manche Antwort auf das störrische Verhalten des Österreichers. Ist die Geschichte, die ihren Titel einer Episode aus dem Lukasevangelium entlehnt, doch eine Art Rachefeldzug gegen die modernen Medien und ihren aus Handkes Sicht oberflächlichen Umgang mit Sprache.
„Nach mehreren Wochen Stromerns durch das nördliche Landesinnere“ seit drei Tagen erst zurück in seinem „Stammwohnsitz-Vorort südwestlich von Paris“, macht sich der Ich-Erzähler, der an den aus „Die Obstdiebin“ (2017) erinnert, wieder auf den Weg. Weil er beim morgendlichen Blick in den Spiegel das „Gesicht eines Rächers!“ zu erblicken glaubt, beschließt er, eine lange offene Rechnung zu begleichen.
Immer schon hatte er Gewaltfantasien. Als Kind, wenn der Stiefvater die Mutter „quer durchs Haus prügelte“, malte er sich aus, ihm mit der Axt den Schädel zu spalten. Später dann wollte er „zur Strafe für die missbrauchten Dichterverse“ dem Yoga-Laden um die Ecke einen Stein ins Schaufenster werfen. Nie aber packte ihn der Zorn so wie damals, als seine Mutter im Zeitungsartikel einer Journalistin als „Anhängerin“, ja sogar „Parteigenossin“ der Nazis diffamiert worden sei. Auf dem Foto dazu, einer Montage, sei ihr Kopf eingeklinkt gewesen „in eine heil-oder-sonstwas schreiende Menschenmasse auf dem Heldenplatz oder sonstwo“.
Die folgende Medienkritik, die Handke seinem Erzähler in den Mund legt, lässt sich durchaus als Abrechnung lesen: „Als den Gipfel der Gewalttätigkeit sah ich im Lauf des Lebens öfter und öfter, und das eine Mal dann mit realem Mordgedanken, die öffentliche, die wie offiziell und naturrechtlich ausgeübte, die … ferntickende, ohne Anrempelworte daherkommende Schriftsprache, verkürzt gesagt, der Zeitungen. Ihre Gewalt, indem sie als die alleinrichtige, die es besser wissende, allesdeutende, allesbeurteilende, enthoben den Dingen, den Werken den Tagen, ihre Schriftzeichen schlang, schlaufte, knüpfte und zuzog, war es, die in meinen Augen auf dem Erdkreis das größte Unheil anrichtete und ihren – das gehörte zur Natur solchen Fernschreibens – wehrlosen Opfern nie wiedergutzumachendes Unrecht zufügte.“
Das neue Buch ist dennoch kein Schlüsselroman
Wer Handkes erste Erklärungen dafür kennt, warum er für seine „Winterliche Reise“ (1996) nach Serbien und später ans Grab von Slobodan Miloševic reiste, dem werden bei der zitierten Passage die Ohren aufgehen. Und doch: Das neue Buch ist kein Schlüsselroman, sondern ein typischer Handke. Wie die Marivel, dieses teilweise in den Untergrund verlegte Flüsschen der Île de France, dem die Hauptfigur träumerisch nachlauscht, mäandert der Erzählstrom dahin. Ein toter Maikäfer am Wegrand interessiert den Erzähler mehr als alle „aktuellen Katastrophen, Massenmorde, Attentate“. Fest entschlossen macht er sich auf. Selbst das Nicken des Rotkehlchens am Wegrand fasst er als Bekräftigung seiner Rachefantasien auf.
Und doch tritt der Wanderer seltsam offen und nachgiebig allen Personen entgegen, denen er begegnet. Am Ende sieht er denn auch von seiner Rache ab – und trifft alle, denen er begegnet ist, zu einem Fest. Und es kommt ihm vor, als hätte er „all die Zeit mit keinem bösen oder schlechten Menschen zu tun gehabt“.