Ohne Hoffnung geht es nicht: „Hiob“ am Schauspiel Frankfurt
„Was ist das Leben?“ – eine Frage, auf die die Figuren in „Hiob“ eine Antwort suchen. Das Schauspiel Frankfurt zeigt eine starke Inszenierung nach Joseph Roths Roman.
Von Björn Gauges
Regisseurin Johanna Wehner konzentriert sich in „Hiob“ ganz auf das Ensemble.
(Foto: Birgit Hupfeld)
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FRANKFURT - Joseph Roth war der große Seher unter den deutschen Romanschriftstellern. Als einer der Ersten nahm er nach dem Ersten Weltkrieg literarisch den Aufstieg des Nationalsozialismus wahr. Als einer der Ersten beschrieb der 1892 in Galizien geborene Jude auch den Untergang der Stetl-Kultur in Osteuropa. Und wie bitter mutet es an, dass sein großer Roman „Hiob“ nun, 92 Jahre nach seiner Veröffentlichung, eine weitere Lesart hinzubekommt. Theaterregisseurin Johanna Wehner konnte bei der Wahl ihrer Vorlage noch nicht ahnen, dass deren zentraler Schauplatz nun erneut vom Krieg heimgesucht wird. Umso mehr zeigt ihr Drama über einen einfachen Menschen, der vom Mahlstrom der Geschichte zerschmettert wird, zeitlose Aktualität. Am Frankfurter Schauspiel feierte „Hiob“ jetzt Premiere: ein Stück, das mit seiner Konzentriertheit auf die Vorlage und einem starken Ensemble zu überzeugen weiß.
Im Zentrum der Geschichte steht Mendel Singer, ein gottesfürchtiger orthodoxer Jude, der um die Jahrhundertwende mit seiner Familie in einem weltabgewandten Stetl lebt, irgendwo in der heutigen Ukraine.
Hohes Tempo durch Abwechslung und Timing
Dieser bitterarme, auch etwas schlichte Mendel ist „ein ganz gewöhnlicher Mann“, der seinem Herrgott für all das dankt, was ihm dankenswert erscheint. Den Sonnenaufgang, das Mittagessen und seinen gesunden Schlaf. Vor allem aber für seine Familie: die treue Ehefrau, zwei aufrechte Söhne und eine schöne Tochter. Dann kommt das vierte Kind auf die Welt: Menuchim – zu Deutsch: der Tröster. Tatsächlich aber wird der Säugling bald schwer krank, er spricht nicht und kann sich nicht bewegen. Und für den vom Leben gebeugten Mendel beginnt eine Leidensgeschichte, die der des biblischen Hiob gleicht.
NÄCHSTE AUFFÜHRUNGEN
Die nächsten Vorstellungen sind am 15., 21., 25., 26. und 30. Mai.
In Frankfurt wird diese Romanvorlage von sieben Ensemblemitgliedern erzählt: Caroline Dietrich, Heidi Ecks, Stefan Graf, Agnes Kammerer, Nils Kreutinger, Christoph Pütthoff und Matthias Redlhammer. Sie übernehmen die einzelnen Figuren im permanenten Wechsel: Mal sprechen mehrere im schnellen Wechsel mit einer Stimme, mal ist es ein Chor, in dem sich mehrere zusammenfinden. So entsteht ein hohes Tempo, das die Schauspieler mit großartigem Timing erzeugen. Und gleichzeitig gelingt auf diese Weise eine verblüffend dichte Figurenzeichnung. So konzentriert sich Regisseurin Wehner in ihrer Inszenierung ganz auf das Ensemble. Nur eine nach vorne offene Hütte dient als Kulissenelement, ansonsten bleibt die riesige, bis weit hinten einsehbare Bühne offen, nackt und schwarz.
Und genau diese Reduktion auf Darsteller, Sprache und die Vorlage sorgt für die emotionale Kraft, die das Stück entwickelt. Dabei ist die Wahl des Dramas durchaus ein Wagnis. Geht es doch um nicht weniger als die großen Fragen, die auf der Bühne verhandelt werden. „Was ist das Leben?“ Mit dieser an das Publikum gerichteten Frage beginnt Christoph Pütthoff die Inszenierung – durchaus auf die ein oder andere Antwort aus den Sitzreihen wartend. In zweieinhalb Stunden Spielzeit wird die „vierte Wand“ immer wieder kurz vom Ensemble durchbrochen, um das Publikum mit dem motivischen Kern „Hiobs“ zu konfrontieren. Worauf hoffen wir? Was macht ein gutes Leben aus? Was kann man selber dafür tun? Und vor allem: Ist das genug?
Das Stück spielt diese Fragen anhand von Mendel und seiner Familie durch. Die hadernde Ehefrau Deborah wollte mehr und anderes vom Leben. Aber was? Der eher schlichte Sohn Jonas mag das Leben bei der Armee, wo er nicht denken muss und doch alles bekommt, was er braucht. Der clevere Bruder Schermajah wird Geschäftsmann und macht in Amerika sein Glück. Die Schwester Mirjam lässt sich treiben und droht dem Vater an die jungen Männer der Garnison verloren zu gehen. Und Mendel selbst: Merkt irgendwann, dass sein gottgefälliges Leben alleine nicht ausreicht, um den ersehnten kleinen Zipfel vom Glück zu erhaschen.
Bei aller Stärke des Ensembles findet Matthias Redlhammer zu großer Form. Schmal, mit hängenden Schultern und unsicherem Blick verkörpert der Schauspieler einen Mann, mit dem das Leben es nicht gut meint. Einem Schicksalsschlag nach dem anderen ist er ausgesetzt, bis er mit dem Leben abschließt, ein lebender Toter, der nichts mehr wünscht und nichts mehr ersehnt. Doch ganz ohne Hoffnung kann das Leben nicht gelingen. Auch das zeigt dieser Mendel, zeigt diese Inszenierung, die ihr Publikum noch lange beschäftigen wird.