Der Sprachwissenschaftler Oliver Herbst referiert in Wiesbaden über Stereotype in dem Film „Türkisch für Anfänger“
WIESBADEN. Kleine Komödie, große Kontroversen: Bei der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden referierte der Sprachwissenschaftler und Journalist Oliver Herbst zum Thema „Lacherfolg durch Stereotype in der Sprache“. Im Zentrum standen die Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im Kinofilm „Türkisch für Anfänger“ aus dem Jahr 2012.
Adaption einer Fernsehserie gleichen Namens
Dieser Film von Bora Dagtekin ist eine Adaption seiner Fernsehserie mit gleichem Titel und versucht, auf der Erfolgswelle des Originals zu surfen, was nicht immer gelingt. Aber es ist auch ein riskantes Unterfangen, derlei Unterhaltungskunst wissenschaftlich aufzuarbeiten. Denn „Türkisch für Anfänger“ arbeitet mit unzähligen Klischees, Holzhammer-Humor und Zoten.
Herbst vermochte es jedoch, in seinen Vortrag Impulse zu setzen, die in der anschließenden Diskussion aufgenommen wurden. Durch eingeblendete Szenen beleuchtete er die Klischees zu Deutschen und Türken: Bereits auf der Fahrt zum Flughafen beäugen sich da die junge Lena und ihre Mutter, die in Thailand Urlaub machen wollen, mit einer türkischen Familie. Deren Vater arbeitet in Berlin als Polizist, die Tochter trägt Kopftuch, und Sohn Cem ist ein fröhlicher Lausbub. Im Flugzeug treffen die Familien dann aufeinander – und Oliver Herbst erklärte, wie Regisseur Dagtekin in der Folge auf solide Schauspielkunst (unter anderem von Josefine Preuß und Elyas M’Barek) setzen muss, um überzeichnete Dialoge zu tragen.
So fragt Cem: „Bist du nicht die Schlampe, die mir gerade den Mittelfinger gezeigt hat?“ Und Lena antwortet: „Wenn du noch einmal Schlampe zu mir sagst, verpasse ich dir einen Abschiebestempel direkt zwischen deine Beine.“ Als das Flugzeug notwassern muss, landen Lena, Cem, seine Schwester Yagmur und der Grieche Costa auf einer vermeintlich einsamen Insel. Heißblütig ist dort das türkisch-griechische Trio, wogegen die Deutsche Lena erst „Führer“, dann „Führerin“ sein will. Dazu hat Cem Bildungslücken, während Lena auf ihr Latinum verweist: Alles in allem wirkt die Handlung dieses Films schlicht überladen und verkrampft. Aus dem Wiesbadener Publikum kamen Wortmeldungen, dass es furchtbar wäre, wenn sich der deutsch-türkische Dialog heute tatsächlich in einem derartigen Stadium befände.
Referent Herbst sprach auch über seine Antriebsquelle dazu, sich mit der Wahrnehmung des Islam in Europa zu beschäftigen, die sich nach dem Attentat vom 11. September 2001 dramatisch verändert habe. Er sei oft in der einst blühenden Vielvölkerstadt Sarajevo gewesen, in der seit den Balkankriegen Segregation herrscht. Dort lebten muslimische und christlich-orthodoxe Serben heute mit dem Rücken zueinander, so Herbst. „Türkisch für Anfänger“ sei in diesem Zusammenhang eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2012. Heute, vermutet er, würde man das gleiche Thema wohl anders angehen.
Von Manuela Wenda