Die 1995 aus Russland geflüchtete jüdische Autorin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters Sasha Marianna Salzmann entwirft mit ihrer Mainzer Poetikdozentur ein düsteres Literaturkonzept
Von Heiko Beckert
Die Autorin Sasha Marianna Salzmann.
(Archivfoto: dpa)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
MAINZ - Wie kann heutzutage noch Literatur entstehen? Und warum überhaupt? Antworten auf diese Fragen versuchte nun die 1985 in Wolgograd geborene Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann zu geben.
Die Hausautorin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters hat die von der Akademie der Wissenschaften und Literatur ins Leben gerufene Mainzer Poetikdozentur inne. Im Saal N2 der Johannes Gutenberg-Universität erläuterte sie ihre Vorstellungen. Es sind hoffnungsvoll finstere, könnte man sagen.
„Dunkle Räume“ hat Salzmann, die 1995 aus Russland als Kontingentflüchtling nach Deutschland kam, ihre Vorlesung genannt. Denn der Entstehungsort ihres Schreibens ist dunkel wie ein schummriger Nachtclub, der ein Abenteuer verspricht – oder ein Chatroom für besondere sexuelle Lüste. Theaterstücke, Essays oder ihren Roman hat Salzmann nicht am Reißbrett entworfen. Sie spricht lieber von einem „Sprung ins Dunkle“, von „Orientierungslosigkeit“, „Kontrollverlust“. Und wenn das Schreiben gelingt, dann führen die Figuren die Autorin „durch den Darkroom der Literatur“.
Schreiben hat für Salzmann etwas mit Identität, Brüchen, Zweifeln und Krisen zu tun. „Ich glaube nicht an das unvoreingenommene Ich“, sagt die Schriftstellerin vor rund 30 Zuhörern. Sie sei als Kind der Sowjetunion selbst geschrieben worden. Will heißen: Gesellschaft und Muttersprache schreiben herrschende Normen in Menschen ein. Doch Menschen sind nicht so geschaffen, dass sie einfach in ein Normengerüst passen. Salzmann als Migrantin, als Jüdin und als Homosexuelle ist das Gefühl vertraut, nicht dazuzugehören.
Auch das vielfach gelobte Romandebüt „Außer sich“ enthält schon im Titel zwei Aspekte von Salzmanns Poetik: Kontrollverlust und Identitätskrise. Das hört sich sehr privat und intim an. Aber das wäre Salzmann zufolge ein grobes Missverständnis. Tatsächlich sieht sie ihr Schreiben auch als politische Tätigkeit. Literatur könne Leben retten, wenn sie Außenseitern (und wer entspricht schon allen gesellschaftlichen Normen?) zeige, dass sie nicht allein seien, ist die Autorin überzeugt. Ihre Beispiele sind unter anderem Ovid, Shakespeare und James Baldwin. „Das ist politische Arbeit“, sagt Salzmann über ihr Schreiben. An Demonstrationen teilzunehmen sei aber deshalb nicht obsolet.